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NZA Editorial

 

Gewerkschaftsbonus – tarifpolitischer Irrweg mit Streitpotenzial

Rechtsanwältin Nora Schmidt-Kesseler, Nordostchemie-Verbände, Berlin

Heft 10/2024

Foto von Rechtsanwältin Nora Schmidt-Kesseler, Nordostchemie-Verbände, BerlinGewerkschaften stehen vor einer großen Herausforderung: Ihr Mitgliederbestand schwindet schleichend. Die Ursache? Der demografische Wandel. Es wachsen zu wenig Beschäftigte nach, um die Lücken zu schließen, die das Ausscheiden der geburtenstarken „Boomer“-Generation auch in den Arbeitnehmerorganisationen reißt. 

Als Ausweg aus dieser Bredouille fassen einige Gewerkschaften die Anpassung ihres „Geschäftsmodells“ ins Auge. Sie versuchen, tarifliche Leistungen in Flächentarifverträgen exklusiv ihren Mitgliedern vorzubehalten. Die nichtorganisierten Beschäftigten werden als Trittbrettfahrer oder Schwarzfahrer tituliert, weil diese über Bezugnahmeklauseln in ihren Arbeitsverträgen von den Tarifabschlüssen profitieren. Die Folgen eines solchen Strategieschwenks wären weitreichend. Ob man es nun „Nachteilsausgleich“, „Bonus“ oder „Mitgliedervorteil“ nennt: Auf Basis der Gewerkschaftszugehörigkeit zu unterscheiden, würde insbesondere in einem Flächentarifvertrag erhebliche rechtliche Risiken mit sich bringen. Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln in Tarifverträgen existiert bislang nur in Bezug auf Haustarifverträge.

Differenzierungen in einem Flächentarifvertrag haben eine andere Qualität und bergen ungeklärte Fragen. Bonusregelungen und durch Arbeitgeber finanzierte exklusive Mitgliederbegünstigungen zielen klar darauf ab, den Organisationsgrad der Gewerkschaften zu erhöhen. Neue Mitglieder zu gewinnen, ist jedoch Aufgabe der Gewerkschaften und nicht der Arbeitgeberseite.  Rechtliche Fragen würde zudem die drohende Spaltung der Belegschaften aufwerfen. Denn Differenzierungen zugunsten von Gewerkschaftsmitgliedern führen zu einer Zweiklassengesellschaft im Betrieb. Die jahrelange gemeinsame Anstrengung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu etablieren, würde konterkariert. Auch könnte die Equal-Pay-Richtlinie verletzt sein. Vor allem in den Industriegewerkschaften ist der Anteil der weiblichen Mitglieder gering. Längere Kündigungsfristen eigens für organisierte Beschäftigte würden de facto bedeuten, dass Frauen schneller gekündigt werden könnte als männlichen Kollegen. Kurzum: Das Risiko, durch eine Bevorzugung von Gewerkschaftsmitgliedern gegen Gleichheitsgrundsätze zu verstoßen und dadurch langwierige rechtliche Auseinandersetzungen auszulösen, ist groß. 

Ein Gewerkschaftsbonus ist nicht nur ein tarifpolitischer Irrweg, weil er die Tarifbindung auf Arbeitgeberseite schwächt. Er birgt auch im Betrieb erhebliches Streitpotenzial. Ein Konzept der Tarifvertragsparteien zur Stärkung der Tarifbindung auf beiden Seiten ist indes die bessere Lösung. Tarifverträge vereinfachen und attraktiver gestalten und die Tarifbindung in der ESG-Berichterstattung anerkennen. Dem Engagement von Gewerkschaftsmitgliedern für die Allgemeinheit und das Gemeinwohl könnte mit einer verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Gewerkschaftsbeiträgen Rechnung getragen werden. Zukunftsweisende Vorschläge liegen auf dem Tisch.

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