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NZA Editorial

 

  • Betriebsrentenstärkungsgesetz II – Der große Wurf?

    Fachanwälte für Arbeitsrecht Dr. Rolf Kowanz und Jan-Jacob Roeder, LL.M., Hamburg/Berlin

    Heft 18/2024

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 18/2024 Jan-Jacob Roeder, LL.M.Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 18/2024 Dr. Rolf Kowanz

    Die wachsende Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung bei sich leerenden Rentenkassen heute noch zu betonen, ist fast schon ein Allgemeinplatz. Ebenso offenkundig sind aber auch die Hemmnisse, die in Deutschland seit vielen Jahrzehnten dafür sorgen, dass die betriebliche Altersversorgung (bAV) nicht den Stellenwert einnehmen kann, der ihr als „dritte Säule“ neben der staatlichen Rente und der privaten Vorsorge gebührt. Einer der wichtigsten Gründe für die fehlende flächendeckende Verbreitung der Betriebsrente war und ist die Haftungsfrage: In Deutschland haftet der Arbeitgeber nicht nur für die Beiträge, die er für den Arbeitnehmer zum Aufbau der betrieblichen Altersversorgung leistet, sondern auch für die Versorgungsleistungen selbst. Solche „Defined Benefit“-Zusagen („DB“) sind in anderen europäischen Ländern seit vielen Jahren längst Geschichte. Dort geht der Trend zu „Defined Contribution“-Zusagen („DC“) nach dem „Pay and Forget“-Prinzip: Der Arbeitgeber zahlt die von ihm zugesagten Beiträge in die betriebliche Altersversorgung ein, trägt aber nicht mehr das Risiko, dass mit diesen Beiträgen auch tatsächlich die erhofften (Mindest-)Versorgungsleistungen erwirtschaftet werden. In vielen Mitgliedstaaten sind DC-Zusagen seit langem vorherrschend. Andere, wie zB die Niederlande, vollziehen derzeit den Wechsel von DB zu DC durch umfassende Gesetzesreformen.

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  • Kursänderung bei Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB

    Rechtsanwalt Dr. Boris Dzida, Freshfields Bruckhaus Deringer, Hamburg

    Heft 17/2024

    Foto von Rechtsanwalt Dr. Boris Dzida

    Seit der 2. Senat des BAG die Zuständigkeit für § 613a BGB vom 8. Senat übernommen hat, ist Bewegung in die Rechtsprechung zu Unterrichtungsschreiben und zum Widerspruchsrecht gekommen. Der 2. Senat fand eine verfahrene Situation vor, denn der 8. Senat und die betriebliche Praxis hatten sich ein jahrelanges Wettrennen geliefert: Das BAG schraubte die Anforderungen an § 613a V BGB ständig nach oben, die Praxis konterte mit immer ausführlicheren Unterrichtungsschreiben. Gelegentlich sind 30-seitige Unterrichtungsschreiben gesehen worden. Zum Mindeststandard von fünf Seiten schrieb Schmitz-Scholemann treffend: „Jedenfalls entspricht es ziemlich genau der Länge eines Beipackzettels für Mucosolvan-Hustensaft und wird wahrscheinlich genau so oft wie dieser vollständig gelesen und verstanden, nämlich nie“ (NZA-Beilage 2015, 107 (112)). 

    2021 gab der 2. Senat ein Signal für eine mögliche Kursänderung: Es könne dahinstehen, ob an den vom 8. Senat aufgestellten Anforderungen an Unterrichtungsschreiben und den Voraussetzungen für den Beginn der Widerspruchsfrist festzuhalten sei oder ob bei Fehlern, die für die Willensbildung der Arbeitnehmer unerheblich sind, eine differenzierte Betrachtung erforderlich ist (BAG 22.7.20212 AZR 6/21, NZA 2021, 1405 (1406)). 

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  • Ist eine Neujustierung von Arbeits- und Sozialrecht nötig?

    Rechtsanwältin Dr. Susanne Clemenz, Gütersloh, und Rechtsanwalt Professor Dr. Georg Annuß LL.M., München

    Heft 16/2024

    Foto von Rechtsanwalt Prof. Dr. Georg AnnußFoto von Rechtsanwältin Dr. Susanne Clemenz

    In der Zeit vom 25. bis 27.9.2024 wird der 74. Deutsche Juristentag in Stuttgart stattfinden. Die Abteilung Arbeits- und Sozialrecht wird sich dieses Mal mit einer zentralen Frage des Arbeitsrechts befassen: „Wen schützt das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht? – Empfiehlt sich eine Neuausrichtung seines Anwendungsbereichs?“

    Diese Frage ist nicht nur eine rein juristische. Durch die Arbeit finden Menschen ihren Platz in der Gesellschaft. Die Art und Weise, wie Arbeit organisiert, geordnet und reguliert wird, hat entscheidenden Einfluss auf das Miteinander in einer Gesellschaft. Es geht also um ein Thema, das angesichts der rasanten technologischen wie auch politischen Entwicklungen der letzten Jahre nicht nur zu einer breiten rechtspolitischen Diskussion einlädt, sondern auch ohne dogmatische rote Linien und offen für neue Ideen diskutiert werden muss. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Sie findet sich beispielsweise bereits im Supiot-Report der EU aus dem Jahr 1999 sowie im Grünbuch der Europäischen Kommission „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ (KOM/2006/0708 endg.). In der rechtspolitischen Diskussion hat sie allerdings kaum Widerhall gefunden, so dass die Frage nach dem Leitbild der arbeitsrechtlichen Regulierung und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen bislang nicht vertieft behandelt wurden.

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  • Nachträgliche Klagezulassungsfrist zu kurz für Schwangerschaft

    Rechtsanwalt Dr. Steffen Krieger, Gleiss Lutz, Düsseldorf

    Heft 15/2024

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 15/2024 Dr. Steffen Krieger

    Zwei Wochen vergehen (zu) schnell, zumindest zu Beginn einer Schwangerschaft, meint der EuGH in seinem Urteil vom 27.6.2024 – C-284/23 (NZA 2024, 969 – Haus Jacobus). Hier hatte der EuGH erneut Stellung zur Auslegung von Art. 10 und 12 der Richtlinie 92/85/EWG zu beziehen. Bereits in einer früheren Entscheidung (EuZW 2010, 190 − Pontin) hatte er eine luxemburgische Regelung, die eine Frist von 15 Tagen für das Geltendmachen der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen nachträglich festgestellter Schwangerschaft vorsah, für unvereinbar mit Unionsrecht gehalten.

    Auch in Deutschland sieht § 5 I 2, III KSchG nur eine Frist von zwei Wochen für die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage für den Fall vor, dass die Frau von ihrer Schwangerschaft erst nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG erfährt. Diese Frist sei zu kurz bemessen und verstoße deswegen gegen den Effektivitätsgrundsatz des Art. 4 III 2 EUV, so der EuGH. Danach müssen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen ergreifen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Art. 12 der Richtlinie 92/85/EWG konkretisiert dies dahingehend, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Vorschriften zu erlassen, die einen effektiven Rechtsschutz ermöglichen.

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  • Novelle zur Betriebsratsvergütung – alles nun gut?

    Professor Dr. Stefan Greiner, Bonn

    Heft 14/2024

    Foto von Professor Dr. Stefan Greiner, Bonn

    Am 28.6.2024 hat der Bundestag die Novelle zur sog. Betriebsratsvergütung beschlossen (BT-Drs. 20/9469, 20/9875). Bei der Ermittlung des Vergleichsentgelts nach § 37 IV BetrVG erfolgt nun eine Neubestimmung, soweit dafür ein „sachlicher Grund … vorliegt“. Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer Betriebsvereinbarung und Festlegung von Vergleichspersonen können gerichtlich nur auf „grobe Fehlerhaftigkeit“ überprüft werden. Rechtswidrige Benachteiligung und Begünstigung werden durch den neuen § 78 S. 3 BetrVG ausgeschlossen, wenn die (kollektivvertraglich oder durch das Unternehmen) festgelegten „Anforderungen und Kriterien erfüllt“ sind und „die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt“.

    Ist damit die Verdienstausfallentschädigung der ehrenamtlich und unentgeltlich (§ 37 I BetrVG) tätigen Betriebsräte nach den Stürmen des Braunschweig-Wolfsburger Ermittlungsverfahrens (vgl. BGH NZA 2023, 301) nun wieder rechtssicher auf Kurs? Für die Causa Volkswagen und die bisherige Vergütungspraxis in vielen weiteren Fällen erzielt die Neuregelung wohl eine stabilisierende Wirkung: Durch die Topoi des „sachlichen Grundes“ und des „Ermessens“ wird eine halbwegs plausibel begründbare Karriereentwicklung jedenfalls vom Hautgout der strafrechtlich sanktionierbaren Untreue befreit. Diese Wirkung könnte wegen § 2 III StGB auch auf laufende Strafverfahren durchschlagen. Die Neuregelung würde dann wie eine Amnestie wirken, was man angesichts der schon zuvor unklaren Rechtslage durchaus gutheißen mag. Ein echtes Strafverfolgungsinteresse besteht in den allermeisten Fällen nicht; nicht für jedes Rechtsproblem ist die grobe Keule des Strafrechts die geeignete Antwort. Wie weit diese strafbarkeitsausschließende Wirkung reicht, bleibt freilich offen. Ist das Vergütungsniveau leitender Angestellter erreicht, dürfte angesichts des Verlusts von Wählbarkeit und Repräsentationsfähigkeit (vgl. § 5 IV Nr. 3, 4 BetrVG) trotz der Neuregelung die Rechtswidrigkeitsgrenze erreicht sein.

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  • Altersbefristung in Textform – Ein Kompromiss für weniger Bürokratie!

    Professor Dr. Gregor Thüsing, Bonn

    Heft 13/2024

    Foto von Professor Dr. Gregor Thüsing, Bonn

    Es geht ja doch. Das Kabinett hat sich zu einem Kompromiss durchgerungen und einen neuen § 41 II SGB VI ins parlamentarische Verfahren gegeben: „Eine Vereinbarung, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vorsieht, bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Textform. § 14 IV des Teilzeit- und Befristungsgesetzes gilt nicht.“ Bereits vorher hatte man sich drauf geeinigt: Beim NachwG soll auch der digitale Nachweis möglich sein. Aber das würde faktisch ins Leere laufen, wenn nicht auch das Schriftformgebot des Teilzeit- und Befristungsgesetzes angepackt würde; man bräuchte ja dann im Regelfall immer einen schriftlichen Vertrag, sehen doch die meisten Arbeitsverträge eine Beendigung mit Erreichen der Regelaltersgrenze und damit eine Befristung vor.

    Das BAG (z.B. v. 3.9.2003 – 7 AZR 106/03, NZA 2004, 255) sieht den Zweck der Schriftform darin, dass einem Arbeitnehmer „deutlich vor Augen geführt werden [soll], dass sein Arbeitsverhältnis mit dem Abschluss des befristeten Vertrags zu einem bestimmten Zeitpunkt automatisch enden wird und daher keine dauerhafte Existenzgrundlage bilden kann. Außerdem dient das Schriftformerfordernis einer Erleichterung der Beweisführung. Dadurch soll unnötiger Streit über das Vorliegen und den Inhalt der Zeit- oder Zweckbefristung vermieden werden.“

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  • Ein Europa für das digitale Zeitalter

    Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Justus Frank, Maître en droit, LL.M.

    Heft 12/2024

    Foto von Rechtsanwalt Dr. Justus Frank, Maître en droit, LL.M.

    Die jüngst verabschiedete PlattformarbeitsRL ist das nächste europäische Mosaiksteinchen zur Regulierung der digitalen Arbeitswelt. Der neue Rechtsrahmen enthält neben der von Fischels/Sokoll (NZA 2024, 721) untersuchten Vermutung der Arbeitnehmereigenschaft allen voran umfassende Vorgaben zum algorithmischen Management. Plattformbetreiber müssen danach unter anderem besondere Datenverarbeitungsverbote beachten. Eine Datenerhebung soll bspw. generell untersagt sein, wenn Plattformarbeit nicht ausgeführt oder angeboten wird. Was unscheinbar anmutet, könnte weitreichende Folgen haben. Plattformbetreiber werden sich fragen, ob sie inaktiven Plattformarbeitern hiernach noch Aufgaben per Push-Nachricht anbieten dürfen. Der Einwilligungsvorbehalt in Art. 8 II GRCh spricht dafür. Eine besondere Bedeutung kommt auch den Transparenzanforderungen zu. Plattformbetreiber sind nicht nur verpflichtet, über die Nutzung automatisierter Überwachungs- und Entscheidungssysteme detailliert zu informieren. Sie müssen ihre Prozesse auch so umstellen, dass sie automatisierte Entscheidungen auf Verlangen betroffener Plattformarbeiter, einschließlich Selbstständiger, überprüfen, erklären und ggf. berichtigen können. Eine umfassende Übersicht über die Restriktionen eines algorithmischen Managements unter der PlattformarbeitsRL erscheint im nächsten Heft.

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  • Videokonferenztechnik im arbeitsgerichtlichen Verfahren

    Präsident des LAG Baden-Württemberg a. D. Professor Dr. Johannes Peter Francken, Freiburg

    Heft 11/2024

    Foto Professor Dr.  Johannes Peter Francken

    Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 26.5.2023 zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten (BR-Drs. 228/23; BT-Drs. 20/8095) befindet sich endlich auf der gesetzgeberischen Zielgeraden. Nachdem der Gesetzentwurf in der Fassung des Rechtsausschusses durch den Bundestag am 17.11.2023 angenommen worden war (3. Beratung BT-Plenarprotokoll 20/138), rief der Bundesrat am 15.12.2023 den Vermittlungsausschuss an (BR-Drs. 604/23 (B)). Dieser wird sich mit dem Gesetzentwurf nach nunmehr sechs Monaten (!) im Juni 2024 befassen. Von ihm sind für das arbeitsgerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungsvorschläge zu erwarten.

    Wegen der Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens werden die prozessualen Grundlagen für die Durchführung von Videoverhandlungen jetzt im ArbGG geregelt (insbesondere in § 50a ArbGG-E). An der Anwesenheit des gesamten Spruchkörpers im Sitzungszimmer wird auch bei Videoverhandlungen im Gegensatz zu § 128a III ZPO-E festgehalten. Dies war eine übereinstimmend und vehement vorgetragene Forderung von Verbänden und Arbeitsgerichtsbarkeit (Francken NZA-Editorial Heft 12/2023; s. auch Bader NZA-Editorial Heft 2/2023; Düwell jurisPR-ArbR 32/2023 Anm. 1; Francken NZA 2022, 1225; Heimann NZA-aktuell Heft 1/2023 S. VIII; Natter NZA-Beilage 2022, 37 (42)). Da dem Spruchkörper in Kammerterminen und Senatssitzungen ehrenamtliche Richter/innen angehören, die ihre Sachkunde, Erfahrungen und Kenntnis der betrieblichen Praxis in das Gerichtsverfahren einbringen, muss die wechselseitige und unmittelbare Kommunikation zwischen Berufsrichter/innen und ehrenamtlichen Richter/innen jederzeit gewährleistet sein. Dies ist durch die körperliche Präsenz des gesamten Spruchkörpers an der Gerichtsstelle auch bei Videoverhandlungen weiterhin sichergestellt.

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  • Gewerkschaftsbonus – tarifpolitischer Irrweg mit Streitpotenzial

    Rechtsanwältin Nora Schmidt-Kesseler, Nordostchemie-Verbände, Berlin

    Heft 10/2024

    Foto von Rechtsanwältin Nora Schmidt-Kesseler, Nordostchemie-Verbände, BerlinGewerkschaften stehen vor einer großen Herausforderung: Ihr Mitgliederbestand schwindet schleichend. Die Ursache? Der demografische Wandel. Es wachsen zu wenig Beschäftigte nach, um die Lücken zu schließen, die das Ausscheiden der geburtenstarken „Boomer“-Generation auch in den Arbeitnehmerorganisationen reißt. 

    Als Ausweg aus dieser Bredouille fassen einige Gewerkschaften die Anpassung ihres „Geschäftsmodells“ ins Auge. Sie versuchen, tarifliche Leistungen in Flächentarifverträgen exklusiv ihren Mitgliedern vorzubehalten. Die nichtorganisierten Beschäftigten werden als Trittbrettfahrer oder Schwarzfahrer tituliert, weil diese über Bezugnahmeklauseln in ihren Arbeitsverträgen von den Tarifabschlüssen profitieren. Die Folgen eines solchen Strategieschwenks wären weitreichend. Ob man es nun „Nachteilsausgleich“, „Bonus“ oder „Mitgliedervorteil“ nennt: Auf Basis der Gewerkschaftszugehörigkeit zu unterscheiden, würde insbesondere in einem Flächentarifvertrag erhebliche rechtliche Risiken mit sich bringen. Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln in Tarifverträgen existiert bislang nur in Bezug auf Haustarifverträge.

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  • Betriebliches Eingliederungsmanagement – „Update ausstehend!“

    Präsident des LAG Dr. Jürgen vom Stein, Köln

    Heft 9/2024

    Foto Dr. Jürgen vom SteinAls der Gesetzgeber am 1.5.2004 in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein neues arbeitsrechtliches Rechtsinstitut etablierte, war es das erklärte Ziel, bei gesundheitlichen Störungen durch Einführung eines verpflichtenden Klärungsverfahrens die Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz zu stärken, um das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft zu sichern (BT-Drs. 15/1783,16). 

    20 Jahre später fällt eine (Zwischen-)bilanz der Regelung in § 167 II SGB IX zwiespältig aus. Einerseits hat das Klärungsverfahren in der betrieblichen Praxis sicherlich den Blick auf Prävention und leidensgerechte Beschäftigungsalternativen geschärft und Hilfestellungen aktiviert. Das bEM stellt daher einen wichtigen Beitrag zur Beschäftigungssicherung und für eine humane Arbeitswelt dar. 

    Andererseits werden nur rund 40 % der erforderlichen bEM tatsächlich angeboten. In kleineren Betrieben, im Handwerk und im Dienstleistungsbereich sind es noch weniger (Wrage/Sikora/Wegewitz, BAuA-Faktenblatt 37, 2020). Die Betriebspraxis kritisiert vielfach, dass belastbare aktuelle Erkenntnisse zu Aufwand, Wirksamkeit und Erfolg des Rechtsinstituts fehlen und eine rechtliche Überwölbung des gesamten Verfahrens mit richterrechtlichen Erweiterungen und ungeklärten Fragen stattgefunden habe. Hohe organisatorische Anforderungen sowie Unsicherheiten sowohl auf Seiten der Betroffenen als auch auf Seiten der Arbeitgeber seien die Folge.

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  • Unternehmensmitbestimmung in der SE: Der Ball liegt beim EuGH!

    Professorin Dr. Katharina Uffmann, Ruhr-Universität Bochum, und Fachanwalt für Arbeitsrecht Klaus Thönißen, LL.M. (San Francisco), Essen

    Heft 8/2024

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 8/2024 Klaus ThönißenFoto der Autorin von NZA-Editorial Heft 8/2024 Katharina Uffmann

    2024 ist wieder ein spannendes Jahr für die unternehmerische Mitbestimmung in der SE: Auf Vorlage des 1. Senats des BAG vom 17.5.2022 (1 ABR 37/20 (A), NZA 2023, 44) wird der EuGH am 16.5.2024 darüber entscheiden, ob und ggf. bis wann bei einer sog. arbeitnehmerlosen SE das bei Gründung nicht durchgeführte Verhandlungsverfahren nachzuholen ist, wenn die arbeitnehmerlose SE herrschendes Unternehmen von Arbeitnehmern beschäftigenden Tochtergesellschaften wird. 

    Das BAG hält eine Nachverhandlung, obwohl in der SE-Beteiligungsrichtlinie (2001/86/EG, kurz SE-RL) nicht normiert, für unionsrechtlich geboten. Der 1. Senat kreiert damit einen neuen Nachverhandlungstatbestand, was für die Attraktivität der SE als mitbestimmungsorientierter Rechtsformoption bei Umstrukturierungen praktisch erhebliche Folgen hätte. 

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  • Nadelstichtaktik

    Professor Dr. Richard Giesen, ZAAR, Ludwig-Maximilians-Universität München

    Heft 7/2024

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 7/2024, Prof. Dr. Richard GiesenIm 12. März erlaubte das LAG Hessen (10 GLa 229/24) der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), einen Streik zu führen, der nur 22 Stunden vor seinem Beginn angekündigt worden war. Dem waren erstaunliche Dinge vorangegangen. Die GDL hatte unter Streikandrohung gefordert, binnen einer von ihr festgesetzten Frist müsste die Arbeitgeberseite ein schriftliches Angebot vorlegen. Hier diktierte eine Seite die Art des Umgangs, was mit freien Tarifverhandlungen wenig zu tun hatte. Der Vorsitzende Weselsky hatte einen vorangegangenen Streik unter unzutreffender Inhaltsangabe eines Moderatorenvorschlags ausgerufen – weshalb er später gegenüber der Süddeutschen Zeitung einen „Denkfehler“ eingestand, um dem Vorwurf eskalationsfördernder Täuschung zu entgehen. Die GDL führte den Arbeitskampf im Interesse der von den Gewerkschaftsverantwortlichen gegründeten „Fairtrain e. G.“, was deutliche Zweifel an ihrer Tariffähigkeit aufkommen ließ. Und sie hatte daran festgehalten, die DB solle das Tarifeinheitsgesetz (§ 4a II TVG) nicht anwenden. Zudem wurden viele Betriebe bestreikt, in denen die angestrebten Tarifverträge gar nicht anwendbar sein würden, und zwar wegen der dortigen Minderheitsposition der GDL nach § 4 II TVG. Das alles sprach gegen die Rechtmäßigkeit des Streiks, wenn auch der Öffentlichkeit die Details möglicherweise nicht in Gänze gegenwärtig waren. Gegenwärtig waren der Öffentlichkeit aber sicherlich zwei Merkmale des Streiks, nämlich erstens, dass er den Schienenverkehr in Deutschland weitgehend lahm legte, und zweitens, dass die Ankündigungsfrist zu kurz war. Fahrten waren, vor allem für Menschen, die beim Reisen auf Hilfe angewiesen sind, nicht mehr planbar. Das war gewollt, denn die ausdrückliche GDL-Ankündigung lautete, die Bahn würde aufgrund der neuen „Wellenstreiktaktik“ nunmehr „kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr“ sein. Umso erstaunlicher war, was die Hörer und Leser der Berichterstattung am 12. März als Kernbegründung des LAG erfuhren: Das Instrument des Wellenstreiks sei als Nadelstichtaktik zulässig, so der Vorsitzende Richter.

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  • Das neue Postgesetz: Subunternehmerverbot in der Paketbranche?

    Professor Dr. Stefan Greiner, Bonn

    Heft 6/2024

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 6/2024, Professor Dr. Stefan GreinerDirektanstellungsgebote haben Konjunktur. Nachdem der Gesetzgeber in der Frühphase der Corona-Pandemie mit § 6a GSA Fleisch einen „Testballon“ gestartet hat, ist mit der Paketbranche nun der nächste Wirtschaftsbereich im Visier: Der Bundesrat hat hier im Mai 2023 (BR-Drs. 117/23) ein grundsätzliches Verbot von Subunternehmerstrukturen gefordert und dies Anfang Februar 2024 in seiner Stellungnahme zum Postrechtsmodernisierungsgesetz (BR-Drs. 677/23) bekräftigt. 

    Eine Verbesserung behördlicher Kontrollen und die Stärkung von Tarifbindung und Mitbestimmung sind durchaus legitime Regelungsziele. Mit dem vorgeschlagenen Regelungsinstrument wären aber brachiale Eingriffe in die Berufsfreiheit verbunden. Die Entscheidung, in welchen Bereichen ein Unternehmen in voller Verantwortung tätig sein will, ist eine klassische unternehmerische Kernentscheidung. Zudem würde das Berufsbild des selbstständigen Kleinunternehmers faktisch abgeschafft. Unter den spezifischen Bedingungen der Paketbranche würde eine Marktzugangshürde errichtet, die – im Widerspruch zur Grundidee des europäischen Binnenmarktes – zu einer Re-Nationalisierung und Re-Monopolisierung des Paketmarktes führen kann. Die scharfen Eingriffswirkungen lassen sich – wie der Verfasser gutachterlich ausgeführt hat – durch die Regelungsziele nicht rechtfertigen.

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  • Die 35-Stunden-Woche – Ein-, Zwei- oder Mehrbahn-Straße?

    Rechtsanwalt Professor Dr. Cord Meyer, Berlin/Stemwede

    Heft 5/2024

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 5/2024 Cord MeyerDie Gewerkschaften fordern in den aktuellen Tarifauseinandersetzungen eine 35-Stunden-Woche – bei vollem Lohnausgleich – als gemeinsames Credo von der GDL bis ver.di. Im Gegensatz zu den Zeiten, als die IG Metall erstmals die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche erhob, ist das arbeitsmarktpolitische Umfeld drastisch verändert: Anstelle eines damals – tendenziell – Über-Angebots an Arbeitnehmern, herrscht heute ein Arbeitskräftemangel vor. Dies bedeutet etwa im DB Konzern, dass das Angebots-Volumen gegenüber den Kunden im worst case um ca. 10 % absinkt, wenn die verkürzte Arbeitszeit nicht durch andere – zudem im Zweifel nur befristet beschäftigte – Arbeitnehmer kompensiert wird. Und das in einer Zeit, in der die Politik von einer „Verkehrswende“ von der Straße auf die Schiene nicht nur im Kontext des 49 EURO-Tickets spricht. Die aktuellen Tarifkonflikte fokussieren sich auf die ohnehin kritischen Zweige der Infrastruktur und Daseinsvorsorge – von dem ÖPNV bis hin zum SPNV.

    Die insbesondere im Falle der GDL hingegen eher an ein Diktat erinnernde Forderung nach der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich – und zwar „flächendeckend“ in allen EVU (= Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen) aufgrund einer diese strikt knebelnden Junktim-Klausel – widerspricht zum einen dem im Allgemein-Interesse liegenden Auftrag der Daseinsvorsorge durch Absicherung der Mobilität in unserer Republik. Das BAG begründete zum anderen den Schwenk zur Tarifpluralität am 7.7.2010 (NZA 2010, 1068) damit, dass in der Realität des Arbeits- und Wirtschaftslebens eine Tendenz zur Individualisierung bestehe. Nimmt man diese Aussage als zutreffende Feststellung der gesellschaftlichen Entwicklung ernst, so verwundert es schon, dass aktuell Gewerkschaften meinen, ihren Mitgliedern rigide eine „Einbahn-Straße“ verordnen zu müssen. Liegt es umgekehrt nicht im Interesse auch der Res Publica, dass individuelle Lösungen als „Mehrbahn-Straßen“ dem Trend der Zeit entsprechen? Das BAG jedenfalls sieht eine Absenkung der Arbeitszeit nicht eindeutig als günstigere Lösung nach § 4 III TVG an (vgl. BAG 27.1.2004 – 1 AZR 148/03NZA 2004, 667). 

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  • Rechtsprechungsänderung im Massenentlassungsrecht?

    Rechtsanwalt Professor Dr. Mark Lembke, LL.M. (Cornell), Greenfort, Frankfurt a. M.

    Heft 4/2024

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 4/2024, Mark Lembke

    Am 14.12.2023 (6 AZR 157/22 (B), NZA 2024, 119) kündigte der 6. Senat des BAG eine Änderung seiner Rechtsprechung zu §§ 17 ff. KSchG an: „Nach nochmaliger Prüfung der Rechtslage“ sei er zur Auffassung gelangt, ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige (§ 17 I KSchG) habe ebenso wie alle anderen denkbaren Fehler im Anzeigeverfahren (§ 17 III KSchG) nicht die Nichtigkeit der Kündigung (§ 134 BGB) zur Folge. Die gebotene Sanktion müsse vielmehr der Gesetzgeber bestimmen (Rn. 7). Bezüglich der Sanktion bei Fehlern im Konsultationsverfahren (Nichtigkeit der Kündigung) sei eine Änderung der Rechtsprechung hingegen nicht veranlasst (Rn. 51). Im Hinblick darauf wurde der 2. Senat angefragt, ob er dieser Änderung folge oder an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhalte (vgl. § 45 III 1 ArbGG). 

    Höchstrichterliche Rechtsprechung entsteht aufgrund eines „prinzipiell irrtumsanfälligen Erkenntnisprozesses“ (BVerfG NZA 1993, 213 (214)) und kann Änderungen unterliegen. Daher kann es einem Unternehmen (wie zB Air Berlin) passieren, dass es jahrelang die Instanzen durchläuft und unterliegt, um nun zu erfahren, dass die Entscheidungen (aus der ersten Runde) doch nicht richtig waren. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit sollten die höchsten Gerichte „bessere Einsicht“ nur auf Grundlage ganz überzeugender Argumente äußern. Dies ist beim Vorlagebeschluss des 6. Senats nicht uneingeschränkt der Fall.

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  • (Keine) Entbürokratisierung im Arbeitsrecht

    Professor Dr. Markus Stoffels, Heidelberg

    Heft 3/2024

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 3/2024 Professor Dr. Markus Stoffels

    Die Regierungskoalition schickt sich an, das geltende Recht von verzichtbaren bürokratischen Hemmnissen zu befreien. Das Bundesjustizministerium spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem „Bürokratie-Burnout“, an dem viele Unternehmen litten. Das nun vorgestellte Vierte Bürokratieentlastungsgesetz, das viele Gesetzesänderungen bündelt, soll eine Entlastung von 682 Millionen Euro bringen (Referentenentwurf abrufbar auf den Seiten des BMJ). Auch der Bundesminister für Arbeit und Soziales war aufgefordert, einen substanziellen Beitrag zu liefern. Hier richtete sich der Blick vor allem auf das gerade novellierte Nachweisgesetz, das – obwohl die europäische Arbeitsbedingungen-Richtlinie dies nicht vorschreibt – am Erfordernis eines schriftlichen Nachweises (§ 2 I NachwG) festgehalten hat. Hierfür hatte der Bundesarbeitsminister scharfe Kritik einstecken müssen (zB Gaul/Pitzer/Piontek DB 2022, 1833, 1834: „nicht mehr zeitgemäß“; weiterführende Überlegungen de lege ferenda finden sich übrigens bei Bayreuther NZA 2023, 593).

    Heils Vorschlag lautet nun: Falls Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihren Arbeitsvertrag nicht in Papierform schließen, sondern in elektronischer Form mit qualifizierter elektronischer Signatur (§ 126a BGB) in einem ausdruckbaren Format, so würde dies künftig genügen, vorausgesetzt alle wesentlichen Vertragsbedingungen befinden sich im Text des Arbeitsvertrags. Entsprechendes soll für in elektronischer Form geschlossene Änderungsverträge bei Änderungen wesentlicher Vertragsbedingungen gelten. Ausgenommen werden sollen die Wirtschaftsbereiche und Wirtschaftszweige nach § 2a I Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz. Die Regelung im Nachweisgesetz, der zufolge die elektronische Form ausgeschlossen ist, bliebe indes unverändert. Zuwiderhandlungen – etwa durch Übersendung des Nachweises per E-Mail – wären weiterhin bußgeldbewehrt. Das ist kein echter Fortschritt, sondern eine Mogelpackung. Welcher Arbeitnehmer ist derzeit in der Lage, eine digitale Signatur zu erstellen? Dafür bedarf es einer Anmeldung bei einem von der Bundesnetzagentur anerkannten Zertifizierungsdienst. Ich zitiere aus Jauernig/Mansel, 19. Aufl. 2023, § 126a BGB Rn. 1: „Die Verwendung der elektronischen Form bedarf eines erheblichen technischen und (für viele auch intellektuellen) Anwender-Aufwands. (…) Für den (Normal-)Verbraucher ist die elektronische Form keine reizvolle Alternative zur gesetzlichen Schriftform.“

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  • Arbeitsrecht reloaded?

    Rechtsanwältin Dr. Doris-Maria Schuster und Rechtsanwalt Dr. Jonas B. Hofer, Hamburg/Stuttgart

    Heft 2/2024

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 2/2024 Dr. Jonas B. HoferFoto der Autorin von NZA-Editorial Heft 2/2024 Dr. Doris-Maria SchusterDer 6. Deutsche Arbeitsrechtstag steht vor der Tür. Das Thema ist dieses Mal ein großes und grundlegendes, nämlich „Die moderne Arbeitswelt zwischen regulatorischer Überfrachtung, notwendigen Schutzmechanismen und den Anforderungen des Marktes“. Vom 31.1. bis 2.2.2024 diskutieren namhafte Vertreter der Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Justiz in Berlin darüber, ob unser Arbeitsrecht noch zeitgemäß ist und den Herausforderungen des Markts standhalten kann.

    Eine kränkelnde Wirtschaft, die voranschreitende Verlagerung gesellschaftlicher Aufgaben auf die Arbeitgeber, die zunehmende Komplexität regulatorischer Vorgaben im Arbeitsleben und die schwindende Bedeutung von tariflicher und betrieblicher Interessenvertretung prägen inzwischen unseren Arbeitsalltag. All das wirft die Frage auf, ob die moderne Arbeitswelt der zunehmenden Masse an teils gut gemachten, teils aber auch nur gut gemeinten Regelungen standhalten wird oder unser Arbeitsrecht neu gedacht und grundlegend reformiert werden müsste. Dem gehen drei hochkarätig besetzte Panels auf dem 6. Deutschen Arbeitsrechtsrechtstag nach. 

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  • Das Arbeitsrecht im digitalen Zeitalter

    Rechtsanwalt Professor Dr. Achim Schunder, Frankfurt a. M.

    Heft 1/2024

    Liebe Leserinnen, liebe Leser, 

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 1/2024 Achim Schunderder Jahreswechsel gibt Anlass, eine kleine Bilanz bei der Gesetzgebung im Arbeitsrecht zu ziehen und ein Schlaglicht auf die, die Arbeitsrechtspraxis derzeit bewegenden Faktoren zu werfen. 

    Die Bundesregierung stand im Dezember 2023 vor der zweiten Spielhälfte ihrer Regierungstätigkeit. Im Jahr 2022 ist kurz vor Ablauf der Umsetzungsfrist die Arbeitsbedingungen-Richtlinie aus 2019 in das Nachweisgesetz mehr schlecht als recht implementiert worden (s. dazu Rolfs/M. Schmid NZA 2022, 945). Die Coronagesetzgebung (IfSG, Verordnungen aus Gründen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes) prägten noch das Jahr 2022, während ein Jahr später – gottlob – auch in rechtlicher Hinsicht das Virus seinen Schrecken verloren hat. Im Juni 2023 ist nach über anderthalb Jahren des Fristablaufs das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft getreten (s. Dzida/Seibt NZA 2023, 657 und aktuell Musiol NZA 2024, 29, in diesem Heft). Kurz vor der Weihnachtspause haben Bundestag und Bundesrat die Vorschläge der Expertenkommission von Rainer Schlegel, Ingrid Schmidt und Gregor Thüsing zur Betriebsratsvergütung (NZA 2023, 1303) legislativ umgesetzt und das BetrVG entsprechend ergänzt. Zu erwähnen ist noch die Entgelttransparenzrichtlinie, die im Juni 2023 in Kraft getreten und bis Juni 2026 umzusetzen ist (dazu Rolfs/Lex NZA 2023, 1353). Es ist zu wünschen, dass der Gesetzgeber hier nicht wieder kurz vor Fristablauf reagiert, sondern bei dieser komplexen Kodifikation zeitnah die Umsetzung angeht (s. dazu Winter NZA 2024, 9, in diesem Heft).

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  • Tarifpluralität in der Betriebsverfassung

    Professor Dr. Cord Meyer, Berlin

    Heft 24/2023

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 24/2023 Cord MeyerFragte man den jüngst verstorbenen Dr. Dirk Neumann, warum er als Vorsitzender Richter am Tarifsenat des BAG am richterrechtlich begründeten Grundsatz der Tarifeinheit festgehalten habe, so bekam man die knappe Antwort: Im Interesse der Praktikabilität und der klaren Ordnung im Betrieb. 

    Nach Freigabe von Tarifpluralität durch den 4. Senat unter Vorsitz von Klaus Bepler am 7.7.2010 (NZA 2010, 1068) wurden auch die rechtlichen Zweifelsfragen im Bereich der Betriebsverfassung evident: Wie wirkt sich die Tarifpluralität auf die Tarifsperren aus § 77 III und § 87 I ES BetrVG aus, wenn im Betrieb zwei Tarifverträge mit Inhaltsnormen miteinander konkurrieren? Wie ist die Tarifpluralität aufzulösen, wenn die von einer Gewerkschaft vereinbarte Inhaltsnorm auf eine von der anderen Gewerkschaft abgeschlossene Betriebsnorm trifft, die nach § 3 II TVG alle Arbeitsverhältnisse im Betrieb erfasst? Ist eine Trennung nach den Gewerkschaftsmitgliedern möglich und benötigt ein Betriebsrat hierzu nicht eine Kenntnis der jeweiligen normativen und/oder arbeitsvertraglichen Bindung an den jeweiligen Tarifvertrag?

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  • Soziales Entschädigungsrecht und das Arbeitsrecht

    Professor Dr. Jens M. Schubert, Leuphana Universität Lüneburg

    Heft 23/2023

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 23/2023, Jens M. Schubert

    Am 1.1.2024 tritt das modernisierte und verbreiterte Opferentschädigungsrecht als Bestandteil des SGB XIV vollständig in Kraft (Art. 60 SozERG) und ist nun als „Soziales Entschädigungsrecht“ zu merken. Insbesondere Opfer von Gewalttaten sollen vom Staat (neben den zivilrechtlichen Ansprüchen gegen die Täter) vielfältige Unterstützung erfahren bzw. Rechtsansprüche, auch Rehabilitationsangebote erhalten. Hintergrund ist die grundsätzlich gesehene Verantwortung des Staates bei der Bewältigung von Gewalttaten als Element des Sozialstaatsprinzips. 

    Aber was hat dies mit dem Arbeitsrecht zu tun? Zum einen ist das soziale Entschädigungsrecht nicht auf ein bestimmtes Umfeld beschränkt – auch der Arbeitsplatz ist vom Gesetz erfasst (und wird auch im offiziellen Antragsvordruck abgefragt). Zum anderen ist es der Gewaltbegriff selbst. Er umfasst körperliche und psychische Gewalttaten (§ 13 SGB XIV) und ist nicht etwa auf Krieg oder Terrorakte beschränkt, wie man vielleicht meinen könnte (vgl. BT-Drs. 19/13824, S. 176; zum Arbeitsplatz bereits LSG Hessen 22.9.2016 – L 1 VE 7/12, BeckRS 2016, 122896 Rn. 31). Beide Gewaltformen sind in § 13 SGB XIV legaldefiniert.

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