Rechtsanwälte Dr. Ulrich Sittard und Dr. Benjamin Pant, Freshfields, Düsseldorf
Heft 24/2024
Die Weihnachtszeit ist die Zeit der Wünsche. Das war auch im Jahre 1972 – der Geburtsstunde von § 87 I Nr. 6 BetrVG – schon so. Damals erklangen die meisten Weihnachtslieder aber von Schallplatten. Heute genügt ein Kommando, um die intelligente Sprachsteuerung im eigenen Wohnzimmer dazu aufzufordern, den gewünschten Weihnachtshit abzuspielen. Seit 1972 vom Wortlaut her unverändert unterwirft § 87 I Nr. 6 BetrVG die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, der Mitbestimmung des Betriebsrats. Dem Gesetzgeber ging es hierbei um technische Einrichtungen, die den Zweck haben, das Verhalten oder die Leistung zu überwachen (BT-Drs. VI/1786, 48 f.). Das BAG hat gleichwohl bereits 1975 betont, dass es aus seiner Sicht allein auf die objektive Eignung zur Überwachung ankomme (BAG Beschl. v. 9. 9.1975 – 1 ABR 20/74, NJW 1976, 261 = AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 2). An dieser Auslegung hält es trotz Digitalisierung und damit rasant gestiegener Bedeutung von IT-Tools und der Weiterentwicklung des deutschen und europäischen Datenschutzrechts weiterhin fest. Zumindest begrüßenswert ist eine praxisnahe Tendenz, die Zuständigkeit nicht auch noch allzu streng auf lokaler Ebene zu verorten (BAG, Beschl. v. 16.7.2024 – 1 ABR 16/23, NZA 2024, 1654).
Die Anzahl der unter § 87 I Nr. 6 BetrVG fallenden IT-Tools ist seit den 70er Jahren exponentiell gestiegen. Technische Einrichtungen stellen nicht selten die wesentlichen Betriebsmittel dar und sind damit die Maschinen einer digitalen Arbeitswelt. Hätte man in den 70er Jahren (oder heute?) zur politischen Debatte gestellt, ob die Einführung und Anwendung nahezu aller wesentlichen Maschinen eines Betriebs der gleichberechtigten Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen sollten, wäre dies wohl kaum mehrheitsfähig gewesen. Die extensive Auslegung von § 87 I Nr. 6 BetrVG führt häufig zu genau diesem – im Lichte der unternehmerischen Freiheit jedenfalls sehr angreifbaren – Ergebnis. Freilich lässt sich hiergegen der berechtigte Wunsch nach Persönlichkeitsrechtsschutz und digitaler Transparenz anführen. Die Frage ist allerdings, ob dieser Wunsch überhaupt noch durch die Betriebsparteien im Verhandlungsweg systembezogen erfüllbar ist: Eine nicht unübliche dreistellige Anzahl von IT-Betriebsvereinbarungen pro Jahr in Großunternehmen, die zunehmende Anzahl von rechtlich ambitionierten Rahmenvereinbarungen und die zuweilen zu beobachtende Überforderung der Betriebsparteien mit den Funktionsweisen einzelner IT-Tools sprechen jedenfalls nicht dafür.
Auf unserem Wunschzettel steht daher eine digitalisierungsgerechte Anpassung von § 87 I Nr. 6 BetrVG. Lösungsansätze hierfür gibt es. Sie umfassen eine Rückbesinnung auf den Gedanken der Zweckbestimmung ebenso, wie die gesetzgeberisch legitimierte Zulässigkeit von Verwertungsverboten für Daten, die entgegen der Zweckbestimmung erlangt wurden. Ob der Wunsch in Erfüllung gehen könnte, wenn sich Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite zusammen eine Modernisierung der Norm wünschen und sie in ein Schutzkonzept einbetten, das nicht mehr digitalisierungsfeindlich ist? Es wäre dem Standort Deutschland zu wünschen.