Präsident des LAG Baden-Württemberg a. D. Dr. Eberhard Natter, Karlsruhe
Heft 8/2025

Am 31.1.2025 hat die Reformkommission „Zukunft des Zivilprozesses“ einen umfangreichen Abschlussbericht vorgelegt (abrufbar unter www.bmj.de). Auf nicht weniger als 239 Seiten beschreiben die Autoren, wie sie sich den Zivilprozess der Zukunft vorstellen. Die Einsetzung der Reformkommission geht auf einen Beschluss der Justizministerinnen und Justizminister des Bundes und der Länder vom 10.11.2023 zurück. Diese beauftragten die Kommission, Vorschläge für den Zivilprozess der Zukunft zu erarbeiten und das Verfahrensrecht vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung zu überprüfen.
Die Kommission schlägt nichts weniger als eine grundlegende Umgestaltung des Zivilprozesses vor. Digitale Werkzeuge einschließlich künstlicher Intelligenz sollen im Zivilprozess der Zukunft umfassend genutzt werden. Ein Bund-Länder-Justizportal soll künftig als zentraler Zugang zu allen Justizdienstleistungen dienen. Die Kommunikation im Zivilprozess soll über eine cloudbasierte Kommunikationsplattform erfolgen. Hierbei soll ein digitales Verfahrensdokument erprobt werden, das den Parteien einen gegliederten Vortrag ermöglicht. Die Einführung weiterer digitaler Instrumente soll mit einer umfassenden Umgestaltung des Prozessrechts einher gehen. Vorgeschlagen wird eine obligatorische frühe Verfahrensförderung. Ein Organisationstermin soll in komplexen Verfahren dazu dienen, einen Verfahrensplan festzulegen. Dem Gericht soll es ermöglicht werden, eine formelle Strukturierung des Parteivortrags verbindlich vorzugeben. Die mündliche Verhandlung soll „belebt“ werden.
Aber was ist mit dem Arbeitsgerichtsprozess – fragt sich der erstaunte Leser? Die Aufzählung der zahlreichen Autoren des Abschlussberichts weist keine Personen aus, die einen beruflichen Bezug zum Arbeitsrecht besitzen. Das arbeitsgerichtliche Verfahren wird nicht einmal in einer Fußnote erwähnt. Und das, obwohl § 46 II 1 ArbGG eine umfassende Verweisung auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung enthält. Hat man übersehen, dass (fast) jede Änderung der ZPO Auswirkungen auf das arbeitsgerichtliche Verfahren haben kann (hierzu jüngst Düwell NZA 2024, 1681)?
Viele der unterbreiteten Vorschläge verdienen Unterstützung. Aber gibt es im Arbeitsgerichtsprozess nicht schon längst mit dem Gütetermin eine obligatorische frühe Verfahrensförderung? Und müssen die Verhandlungen vor den Arbeitsgerichten tatsächlich „belebt“ werden? Einen Bedeutungsverlust der mündlichen Verhandlung, den die Autoren des Abschlussberichts für den Zivilprozess konstatieren, gibt es im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht.
Wie geht es weiter? Die Justizministerien treiben die Digitalisierung des Zivilprozesses mit Macht voran. Sie werden hierbei von den progressiven Kreisen der Ziviljustiz unterstützt, die sich kürzlich mit ihren „Münchener Thesen“ zu Wort gemeldet haben. Im weiteren Diskussionsprozess müssen die Stimmen der arbeitsrechtlichen Kreise zu Gehör gebracht werden. Sonst droht die Gefahr, dass die Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens „untergehen“. Arbeitsgerichtsbarkeit, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften und die (Fach)Anwaltschaft sind daher aufgerufen, sich an der Diskussion über die Zukunft des Prozessrechts zu beteiligen.
