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NZA Editorial

 

  • Urlaub bis in alle Ewigkeit?

    Rechtsanwalt Professor Dr. Michael Fuhlrott, Hamburg

    Heft 11/2022

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 11/2022 Michael FuhlrottDas Urlaubsrecht ist eine Materie, deren Halbwertszeit auch im Lichte der Schnelllebigkeit des Arbeitsrechts besonders kurz bemessen ist. Es ist geprägt durch regelmäßige „Hinweise“ und Vorgaben des EuGH an die deutschen Arbeitsgerichte zur unionsrechtskonformen Auslegung der nationalen Vorschriften. Mit einem aktuellen Schlussantrag des Generalanwalts Jean Richard de la Tour (v. 5.5.2022 – C-120/21, BeckRS 2022, 9475) zur Frage der Verjährung von Urlaubsansprüchen zeichnet sich am Horizont weiteres Ungemach für urlaubsgewährende Arbeitgeber ab, während sich urlaubswillige Arbeitnehmer an den ersten Strahlen aufgehender Urlaubssonne wärmen dürften.

    Hintergrund des zeitnah anstehenden Urteils des EuGH ist ein Rechtsstreit um Urlaubsabgeltung einer aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Steuerfachangestellten, die für die Vorjahre Urlaubsansprüche und damit einhergehend entsprechende Abgeltung verlangte. Während das ArbG Solingen (BeckRS 2019, 48586) die Klage hinsichtlich der nach deutschem Recht verjährten Urlaubskontingente abwies, sprach das LAG Düsseldorf (BeckRS 2020, 10788) der Klägerin den Urlaub zu. Der im Rahmen der Revision befasste 9. Senat ließ in seiner Vorlage an den EuGH (NZA 2021, 413) Sympathien dafür erkennen, die nationalen Verjährungsvorschriften auch dann anzuwenden, wenn ein Arbeitgeber seinen urlaubsrechtlichen Mitwirkungs- und Obliegenheitspflichten nicht nachgekommen sei. Denn letztlich dienten die Verjährungsvorschriften dem Rechtsfrieden und der -sicherheit, womit sie Ausfluss des grundgesetzlich verankerten Rechtsstaatsprinzips seien, das auch im Unionsrecht seine Stütze finde.

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  • Bundesbeauftragter für Antidiskriminierung – auch der Zweitbeste?

    Professor Dr. Gregor Thüsing, Bonn

    Heft 10/2022 

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 10/2022 Gregor ThüsingEs war im Koalitionsvertrag schon so vereinbart worden, doch dann ging es unerwartet schnell. Die Leitung der Antidiskriminierungsstelle übernimmt künftig ein Unabhängiger Bundesbeauftragter für Antidiskriminierung. Der Bundestag hat dies am 28. April so beschlossen, und die Regelung soll schnellstmöglich in Kraft treten. Denn den treibenden Grund für diese Regelung benennt die Gesetzesbegründung: In der Vergangenheit haben Konkurrentenklagen eine Neubesetzung mit der Wunschperson verhindert. Für einen gewählten Bundesbeauftragten aber gilt Art. 33 II GG nicht – Klagen wären also zwecklos. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Einander widersprechende Gerichtsentscheidungen zeigen, dass die derzeitige Regelung der Besetzung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle keine hinreichend sichere Rechtsgrundlage für gerichtsfeste Besetzungsentscheidungen bietet.“ Und: „Dieser Regelung bedarf es, da das öffentlich-rechtliche Amtsverhältnis als demokratisches Wahlamt auf Zeit nicht vom Regelungsbereich des Art. 33 II GG erfasst ist … Damit soll künftig eine rechtssichere Besetzung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ermöglicht und deren Unabhängigkeit gestärkt werden.“

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  • „Soll = Muss“ – die neue Formel bei Massenentlassungsanzeigen?

    Rechtsanwalt Professor Dr. Mark Lembke, LL.M. (Cornell), Greenfort, Frankfurt a. M.

    Heft 9/2022

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 9/2022 Mark Lemke

    „Die Rechtsprechung des EuGH und des BAG ziehen für den Arbeitgeber, der Massenentlassungen durchführen muss, einen Pflichtenkatalog nach sich, den er dem Gesetzestext nur unvollständig entnehmen und den er kaum fehlerfrei bewältigen kann“ (Spelge NZA-Beil. 2021, 34). Insoweit ist der Vorsitzenden des 6. Senats des BAG zuzustimmen. Diverse Begriffe in § 17 KSchG (wie „Entlassung“, „Betrieb“, „Arbeitnehmer“) sind im Einklang mit der MERL 98/59/EG auszulegen. Dies führt zu Unsicherheiten bei der Bestimmung des relevanten Standorts, der zuständigen Behörde und der Zahl der regelmäßig beschäftigten bzw. zu entlassenden Arbeitnehmer (auch Leiharbeitnehmer, Fremd-Geschäftsführer oder Personen iSd § 17 V KSchG?). Bei Fehlern droht die Unwirksamkeit der Kündigung bzw. Aufhebungsvereinbarung.

    Jüngst entschied das LAG Hessen unter Berufung auf Spelge (vgl. MHdB ArbR, 5. Aufl. 2021, § 121 Rn. 180, 189, 231), in der Anzeige seien nicht nur die „Muss-Angaben“ (§ 17 III 4 KSchG), sondern auch die „SollAngaben“ (§ 17 III 5 KSchG) anzugeben, sonst sei die Kündigung unwirksam. Die MERL verlange die Mitteilung „aller zweckdienlichen Angaben“ und gebiete eine entsprechende europarechtskonforme Auslegung (LAG Hessen NZA-RR 2021, 598 Rn. 27 ff.). 

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  • Hinweisgeberschutzgesetz: ein neuer Anlauf

    Rechtsanwalt Dr. Boris Dzida, Freshfields Bruckhaus Deringer, Hamburg

    Heft 8/2022 

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 8/2022 Boris Dzida

    Die Ampel-Koalition hat von ihrer Vorgängerin eine überfällige Aufgabe geerbt: Die Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie in deutsches Recht. Zum zweiten Mal nach 2020 hat das Justizministerium nun einen Referentenentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz vorgelegt. Leider ist der große Wurf wieder nicht gelungen. Der neue Entwurf beruht auf dem alten Entwurf, behält dessen Schwächen an vielen Stellen bei und macht sogar noch Rückschritte. Dem wichtigen Anliegen, Whistleblowing durch einen ausgewogenen Hinweisgeberschutz breite Akzeptanz zu verschaffen, wird der Entwurf nicht an allen Stellen gerecht.

    Immerhin einen Fortschritt gibt es: Der sachliche Anwendungsbereich des geplanten Gesetzes ist nicht mehr so weit gefasst wie noch im Entwurf der vormaligen Großen Koalition. Während sich die EU-Whistleblowing-Richtlinie auf Verstöße gegen besonders wichtige Bereiche des Unionsrechts beschränkt, wollte der Referentenentwurf von 2020 den Anwendungsbereich auf alle Verstöße erstrecken, die straf- oder bußgeldbewehrt sind (Dzida, NZA Editorial 6/2021, S. III). Diese Uferlosigkeit war einer der Gründe, warum der alte Entwurf innerhalb der Großen Koalition keine Mehrheit fand. Der neue Entwurf setzt nun den Kompromiss aus dem Ampel-Koalitionsvertrag um: Neben Verstößen gegen Unionsrecht soll das künftige Gesetz Verstöße gegen das Strafrecht einbeziehen, Hinweise auf Ordnungswidrigkeiten dagegen nur in besonders gravierenden Fällen. 

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  • Wie man intransparentes Unionsrecht transparent umsetzt

    Professor Dr. Christian Rolfs, Köln

    Heft 7/2022

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 7/2022 Christian RolfsBis August muss der Gesetzgeber die Richtlinie 2019/1152/EU über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in nationales Recht umsetzen. Ihre größte Herausforderung liegt darin, dass sie die Arbeitgeber verpflichtet, im Vertragsnachweis über „das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, einschließlich der formellen Anforderungen und der Länge der Kündigungsfristen“ zu informieren. Die potenziell zu beachtenden Verfahrensschritte lassen sich jedoch bei Beginn des Arbeitsverhältnisses nicht einmal ansatzweise mit Anspruch auf Vollständigkeit beschreiben. Anhörung des Betriebs- oder Personalrats, bei Funktionsträgern dessen Zustimmung bzw. gerichtliche Zustimmungsersetzung, bei Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz die vorherige Zustimmung der nach Landesrecht zuständigen Behörde bzw. des Integrationsamts, Anhörung der Schwerbehindertenvertretung und Massenentlassungsanzeige bezeichnen nur schlagwortartig die Verfahrensschritte, die vom Arbeitgeber unter im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch gar nicht absehbaren Umständen der Kündigung einzuhalten sind. Zudem ist die deutsche Sprachfassung „Kündigung“ wohl zu eng, in den meisten anderen Sprachen ist unspezifischer von „Beendigung“ (termination, cessation) die Rede, sodass auch Befristung, Aufhebungsvertrag etc. erfasst werden müssen. 

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  • Gesetzlicher Mindestlohn – Druck von unten

    Rechtsanwalt Dr. Paul Gooren, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin

    Heft 6/2022

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 6/2022

    Die Ampelkoalition macht Tempo beim Herzensthema und Wahlkampfversprechen der SPD, der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 EUR. Nachdem das BMAS Anfang Februar den Referentenentwurf veröffentlicht hatte, wurde der Regierungsentwurf bereits am 23.2.2022 beschlossen. Mit einer Verabschiedung durch den Bundestag ist in den nächsten Wochen bzw. Monaten zu rechnen. Die Erhöhung erfolgt dann planmäßig zum 1.10.2022.

    Als der allgemeine Mindestlohn 2015 eingeführt wurde, war die Polarisierung groß. Inzwischen ist er gesellschaftlich und politisch weitgehend akzeptiert. Dementsprechend bezieht sich die aktuelle Diskussion auch primär auf technische Aspekte. Während die Befürworter den Mindestlohn zu einem Instrument der Bekämpfung der Altersarmut und der Ermöglichung einer echten gesellschaftlichen Teilhabe („living wage“) weiterentwickeln wollen, sehen Skeptiker insbesondere das bisherige System in Frage gestellt: Nach der Konzeption des MiLoG beschließt die Mindestlohnkommission über die Erhöhung und orientiert sich hierbei „nachlaufend an der Tarifentwicklung“ (§ 9 II 2 MiLoG); die Bundesregierung kann die vorgeschlagene Anpassung übernehmen, nicht aber eigene Änderungen durchführen. Die kommende gesetzgeberische Erhöhung wird insofern als Systembruch angesehen. Ferner wird – trotz (oder gerade wegen) der ständigen Betonung einer „einmaligen“ gesetzlichen Erhöhung – befürchtet, dass weitere Erhöhungen vor jeder Bundestagswahl zum Wahlkampfthema werden. 

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  • Wir müssen über Grundsätzliches reden

    Professor Dr. Matthias Jacobs, Bucerius Law School, Hamburg und Professor Dr. Jens M. Schubert, Leuphana Universität Lüneburg

    Heft 5/2022

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 5/2022 Dr. Matthias JacobsFoto des Autors von NZA-Editorial Heft 5/2022 Dr. Jens M. Schubert

    Das Arbeitsrecht regelt die Beziehungen von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen sowie ihrer jeweiligen kollektiven Vertretungen. Dabei spielen seit jeher gesellschaftliche Entwicklungen in Bewertungsfragen und – noch sichtbarer – in gesetzgeberische Maßnahmen hinein. Der gesetzliche Mindestlohn, die Frage, ob es eine unternehmerische Mitbestimmung geben soll, oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind Beispiele, die jeweils mehr als Trends oder Modeerscheinungen waren und sind. Sie werden von einer deutlichen Mehrheit als notwendige Weiterentwicklung des Arbeitsrechts angesehen. Solche Anforderungen dürfen nicht etwa übersehen werden, sondern sind vom Souverän gesetzt. Das gilt umso mehr dann, wenn es um Merkmale eines Menschen geht, die dieser nicht einfach ablegen kann und die deshalb von der Rechtsordnung in besonderer Weise eingeordnet und bewertet werden. Wir sprechen von Menschenrechten, die von der Verfassung, im internationalen Recht und – in ihrer Umsetzung – auch einfach-gesetzlich geschützt sind und ebenso vom Arbeitsrecht jeweils nach neuesten Erkenntnissen geschützt werden müssen. 

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  • Die Macht des Betriebsrats – Auch beim Betriebsübergang?

    Fachanwältin für Arbeitsrecht Dr. Barbara Bittmann und Rechtsanwältin Dr. Lisa Maria Völkerding, CMS Hasche Sigle, Düsseldorf

    Heft 4/2022 

    Foto der Autorin von NZA-Editorial Heft 4/2022 Dr. Lisa Maria VölkerdingFoto der Autorin von NZA-Editorial Heft 4/2022 Dr. Barbara Bittmann

    Über den schillernden Begriff der „Zuordnung“ ist im Kontext von § 613a BGB schon viel geschrieben worden. Je mehr man sich jedoch mit ihm befasst, geht es einem wie dem Betrachter der Seerosen von Claude Monet. Was aus der Ferne noch eine Form ergab, wirkt bei näherer Betrachtung zunehmend konturenlos. Zahlreiche Fragen sind ungeklärt. So werden zB die Folgen einer individualrechtlich unwirksamen Versetzung noch vereinzelt behandelt. Ganz dünn wird es jedoch, wenn es um eine betriebsverfassungswidrige Versetzung und ihre Folgen für die Zuordnung zu einem Betrieb oder Betriebsteil geht.

    Im Jahr 2022 erwartet uns vor diesem Hintergrund eine spannende Klarstellung des BAG. Es geht um die Frage, ob der Betriebsrat des „alten“ Arbeitgebers die Aufhebung einer mitbestimmungswidrigen Versetzung verlangen und so den Übergang eines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber verhindern kann (wohlgemerkt obgleich der Arbeitnehmer selbst nicht von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht hat). Das LAG München hatte diese Frage verneint. Die mögliche betriebsverfassungsrechtliche Fehlerhaftigkeit einer Versetzung könne der Zuordnung nicht entgegenstehen (Beschl. v. 7.12.2020, BeckRS 2020, 49594). Dies folge insbesondere aus dem systematischen Verhältnis sowie dem Sinn und Zweck der §§ 99 BetrVG und 613a BGB. 

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  • § 119 BetrVG als Offizialdelikt – Übers Ziel hinaus!

    Rechtsanwalt Professor Dr. Jobst-Hubertus Bauer und Rechtsanwältin Dr. Johanna Friedel, Gleiss Lutz, Stuttgart

    Heft 3/2022

    Foto der Autorin von NZA-Editorial Heft 3/2022 Dr. Johanna FriedelFoto des Autors von NZA-Editorial Heft 3/2022 Dr. Jobst-Hubertus Bauer

    Ab März stehen in Deutschland wieder regelmäßige Betriebsratswahlen an. Trotz Bemühungen, die Repräsentation von Arbeitnehmern durch Betriebsräte auch in Kleinbetrieben zu erhöhen, ist der Anteil der betrieblichen Mitbestimmung seit Jahren rückläufig (IAB-Betriebspanel 2019/Begründung des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes). Die Ampel-Koalition führt dies wohl darauf zurück, dass Arbeitgeber vermeintlich keine Mittel und Wege scheuen, betriebliche Mitbestimmung in ihren Betrieben zu verhindern, und will deshalb alsbald „die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung“ künftig als Offizialdelikt einstufen (Koalitionsvertrag, S. 71). „Viele trauen sich aus Angst um den Job nicht, die Behinderung von Betriebsratsgründungen oder Betriebsratstätigkeiten zur Anzeige zu bringen“, hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kürzlich dazu verlautbaren lassen. Bei dieser Begründung handelt es sich allerdings um eine durch nichts belegte Vermutung. 

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  • Crowdworking – Brüssel Calling

    Rechtsanwalt Dr. Thomas Klebe, Apitzsch/Schmidt/Klebe, Frankfurt a.M.

    Heft 2/2022

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 2/2022 Dr. Thomas Klebe

    Das BAG hat mit Urteil vom 1.12.2020 (NZA 2021, 552) auch in Deutschland klargestellt, dass bei digitalen Plattformen Beschäftigte, hier Crowdworker, Arbeitnehmer/innen sein können. Dies wird weltweit durch viele Gerichte, vor allem zu Fahr- und Lieferdiensten wie Uber oder Deliveroo, bestätigt. Laut EU-Kommission arbeiten in der Union rund 28 Mio. Menschen für digitale Plattformen, ca. 55% verdienen dabei weniger als den Nettomindeststundenlohn ihres Landes. Ein Grund: 90% der rund 500 in der EU aktiven Plattformen klassifizieren sie als Selbständige – ohne Anspruch auf die sozialen Standards eines Arbeitsverhältnisses wie Mindestlohn oder Urlaub. Die Kommission hält 5,5 Mio. für möglicherweise falsch eingeordnet, also für Arbeitnehmer/innen. Damit ist im Internet eine Parallelarbeitswelt entstanden, häufig mit Tagelöhnern wie im 19. Jahrhundert. Ausnahmen, wie die Plattformen, die sich mit der IG Metall auf einen Code of Conduct und eine Ombudsstelle geeinigt haben, können keine systemische Antwort sein. 

    Die EU-Kommission hat deshalb am 9.12.2021 zwei wichtige Initiativen ergriffen. Sie hat den Entwurf einer Richtlinie vorgelegt, mit der sie die Bedingungen von Plattformarbeit, die, gleich wo der Sitz der Plattform ist, in der EU geleistet wird, verbessern will, und Leitlinien zum europäischen Wettbewerbsrecht, die Kollektivvereinbarungen auch für Soloselbständige ermöglichen sollen. Der Richtlinienentwurf sieht eine Vermutungsregelung mit Beweislastumkehr für Selbständige vor, die den Arbeitnehmer/in-Status anstreben, eine Regelung, die es in 10 EU-Ländern bereits in der einen oder anderen Form gibt. Voraussetzung ist, dass zwei von fünf in Art. 4 genannten Eigenschaften zutreffen. Dabei geht es um klassische Fragen des Weisungsrechts des Arbeitgebers, aber auch um Merkmale, die für Unternehmer konstitutiv sind, wie die Bildung einer Kundenbasis oder der eigene Marktauftritt. Können sich Selbständige auf die Vermutung stützen, kann die Plattform diese mit nationalem Recht bzw der EuGH-Rechtsprechung und entsprechender Beweislast widerlegen. Die Regelung wird durch Informations-, Organisations- und Dokumentationspflichten der Plattformen gegenüber allen Beschäftigten, deren Gewerkschaften und Behörden ergänzt. Diese Pflichten betreffen etwa die Algorithmen, mit denen sie die Beschäftigung managen, ein Beschwerdesystem mit Menschen auf der anderen Seite, nicht nur Chatbots, und digitale Kommunikationskanäle für die Beschäftigten untereinander und mit ihren Interessenvertretern (vgl. den aktuellen Koalitionsvertrag). Die Information zu Funktion und Wirkung der Algorithmen ist ua wichtig, um realistische Bewertungen für ein Statusverfahren zu erhalten. 

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  • Das Arbeitsrecht im „Krisenmodus“

    Rechtsanwalt Professor Dr. Achim Schunder, Frankfurt a. M.

    Heft 1/2022

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 1/2022 Dr. Achim Schunder

    Liebe Leserinnen, liebe Leser, die Covid-19-Pandemie hat uns nach wie vor im Griff. Die von mir zu Beginn des Jahres 2021 geäußerte Hoffnung auf ein Ende der „Krise“ hat sich leider nicht verwirklicht.

    Trefflich titelte Wolfgang Däubler zum Arbeitsschutzkontrollgesetz (NZA 2021, 86) „Arbeitsschutzrecht schafft neues Arbeitsrecht“. Dass das Arbeitsschutzrecht – bedingt durch die vielfältigen Änderungen des Infektionsschutzgesetzes (zuletzt im Dezember 2021, s. Andrea Kießling NVwZ 2022, 14) und eine fast unüberschaubare Anzahl von Verordnungen – eine auch das allgemeine Arbeitsrecht prägende Dimension angenommen hat, war 2019 noch unvorstellbar. So trägt das 34. Passauer Arbeitsrechtssymposion den Titel „Arbeitsrecht in Zeiten der Corona Pandemie“ (NZA-Beilage 1/2021). Uns sind die Begriffe wie das mittlerweile vieler Orten gelebte Homeoffice bzw. die mobile Arbeit, Arbeitsschutzstandard und Arbeitsschutzregel (s. Sagan/Brockfeld NZA-Beilage 2020, 15) ebenso in Fleisch und Blut übergegangen, wie die im letzten Quartal 2021 empor gekommenen Begriffe von G2, G2 plus und G3 (s. dazu Fuhlrott/Schäffer NZA 2021, 1679 sowie das Editorial von v. Steinau-Steinrück NZA H. 23/2021, S. III). Hierzu gehört auch § 129 BetrVG mit „virtuellen“ Betriebsversammlungen und Betriebsratssitzungen sowie Einigungsstellensitzungen und -beschlussfassungen (s. dazu Jacobs/Voigt NZA 2021, 1764).

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