Professor Dr. Adam Sagan, MJur (Oxon), Bayreuth
Heft 13/2022
„Don’t ask silly questions!“ – Das war die klare Ansage von Sir David Edward, ehemals Richter am Gerichtshof der Europäischen Union, beim 5. Europarechtlichen Symposion des BAG im Jahr 2006 (zit. bei Spelge AE 2010, 223). Die unheilvolle Sentenz ist im Arbeitsrecht zum geflügelten Wort geworden.
Zu den „dummen Fragen“ zählten weite Teile des arbeitsrechtlichen Publikums damals etwa die Vorlage des ArbG Berlin, die 2005 zum Urteil des EuGH in der Rechtssache Junk (NZA 2005, 213) führte. Es stellte sich heraus, dass das ArbG den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Für seine Entscheidung hat der EuGH überwiegend Zustimmung erfahren. Die Kritik an der Vorlage ist erstaunlicherweise dennoch nicht verstummt. Thüsing insinuiert, sie habe Rechtsunsicherheit geschaffen und mehr Schaden als Nutzen angerichtet; lege das BAG nicht vor, sollten die Instanzen ein etwaiges Vertragsverletzungsverfahren abwarten (Europäisches Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2017, § 1 Rn. 66). Das geht am Vorlagerecht der Instanzgerichte nach Art. 267 AEUV vorbei. Die Unsicherheit nach Junk war nicht das Resultat der Vorlage, sondern der beharrlichen Vorlageverweigerung des BAG, an der es in puncto Vertrauensschutz auch nach Junk festhielt und damit gegen das Grundgesetz verstieß (BVerfG NZA 2015, 375).
Beim diesjährigen 10. Europarechtlichen Symposion des BAG hat Koen Lenaerts, Präsident des EuGH, versöhnlichere Töne als Edward angestimmt. Ausdrücklich hat er sich beim BAG sowie beim ArbG Hamburg für die Vorlagen zu den umstrittenen Kopftuchfällen in den verbundenen Rechtssachen WABE u.a. (NZA 2021, 1085) bedankt. Sie gaben dem EuGH Gelegenheit, den problematischen Kurs zu korrigieren, den er 2017 in den Rechtssachen Bougnaoui und G4S Secure Solutions eingeschlagen hatte. Lenaerts hat alle deutschen Arbeitsgerichte zum Dialog mit dem EuGH ermutigt. Sie sollten Vorlagen als Chance verstehen, sich mit ihrer Deutung des Unionsrechts über Luxemburg hinaus in allen EU-Mitgliedstaaten Gehör zu verschaffen. In der jüngeren Vergangenheit stellt der EuGH die amtlichen Übersetzungen der Vorlageentscheidungen in die verschiedenen Amtssprachen der EU auf seinem Internetportal zur Verfügung (curia.europa.eu). Vorlageersuchen können daher in allen Mitgliedstaaten rezipiert werden und sollten für das Verständnis der europäischen Rechtsprechung zumindest nicht weniger bedeutsam sein als die Schlussanträge der Generalanwälte.
Die Worte von Lenaerts dürften in Erfurt nicht auf taube Ohren gestoßen sein. Seit Januar 2022 ist Inken Gallner neue Präsidentin des BAG, am 28.6.2022 ist sie förmlich in ihr neues Amt eingeführt worden. Frisch ernannt, hat sie zu Recht klargestellt, dass der Dialog zwischen den Gerichten im Vorlageverfahren ein unverzichtbares Schlüsselelement im europäischen Gerichtssystem ist, das die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleistet (Gallner FS LAG Köln, 2022, 41 f.). Arbeitsgerichte jeder Instanz mögen Vorabentscheidungen des EuGH einholen (Gallner AuR 2022, 165 f.).
In Erfurt weht ein neuer Wind. „Don’t ask silly questions!“ ist hoffentlich bald kein geflügeltes Wort mehr, sondern das Unwort einer überwundenen Episode. Wer nicht fragt, bleibt dumm.