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NZA Editorial

 

Das Tarifeinheitsgesetz vor dem EGMR

Professor Dr. Daniel Ulber, Halle

Heft 15/2022

Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 15/2022 Daniel Ulber

Das Tarifeinheitsgesetz und kein Ende. Nunmehr hat sich auch der EGMR mit dem Gesetz befasst und es – nicht einstimmig – für vereinbar mit der EMRK erklärt (NZA 2022, 1058, in diesem Heft). Das gilt jedenfalls mit den Einschränkungen mit denen das BVerfG (NZA 2017, 915) das Gesetz für verfassungskonform erklärt hat. In Folge dieser Entscheidung hatten sich die Beschwerdeführer an den EGMR gewandt, der § 4a TVG für mit der EMRK vereinbar erklärt hat. Die Entscheidung ist aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des EGMR nicht völlig überraschend.

Den Eingriff in das durch Art. 11 II EMRK geschützte Recht auf Kollektivverhandlungen durch § 4a TVG hielt der EGMR für gerechtfertigt. War die Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit des Tarifeinheitsgesetzes noch von Überlegungen geprägt, die bereits die Legitimität der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele in Frage stellten, finden diese beim EGMR kein Gehör. Es sei legitim für ein gewisses Maß an Befriedung und Solidarität bei Tarifauseinandersetzungen im Betrieb zu sorgen. Die Ordnungsfunktion des Tarifvertrags findet so wohl ihre Anerkennung durch den EGMR, jedenfalls soweit der Gesetzgeber sie als Rechtfertigungsgrund nutzt. Gewerkschaften von Berufsgruppen mit Schlüsselpositionen daran zu hindern, auf Kosten der übrigen Belegschaft ihre Interessen durchzusetzen, sei legitim. Auch wenn der EGMR sich hinsichtlich der Vielfalt der Tarifsysteme in den Mitgliedstaaten zurückhält, darf man wohl konstatieren, dass er mit der in Deutschland vorherrschenden Sichtweise der Tarifautonomie als kollektiv ausgeübten Privatautonomie nicht allzu viel anzufangen weiß. Bei der Regelung der Tarifeinheit den Ausgleich der widerstreitenden Interessen vorzunehmen, sieht der EGMR als eine durch den Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers geschützte Entscheidung an. Er verweist dabei auch darauf, dass es kein allgemeines Verständnis der Vertragsstaaten der EMRK gebe, dass repräsentative Tarifverträge andere Tarifverträge nicht verdrängen dürften. Tarifpluralität ist kein „common ground“. Als Folge nimmt der EGMR den Kontrollmaßstab deutlich zurück. Ob der BVerfG verlangte Minderheitenschutz notwendig ist, um die Vereinbarkeit mit der EMRK abzusichern, scheint offen zu bleiben. Wichtig ist dem EGMR aber – ebenso wie dem BVerfG – der Hinweis, dass nach seiner Lesart das Recht, Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen, durch das Gesetz nicht berührt wird. 

Was bleibt? Ganz sicher nicht die verbreitete Rezeption von Entscheidungen wie der vorliegenden, der EGMR habe das Gesetz „bestätigt“. Er stellt lediglich fest, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, nämlich dass ein staatliches Gesetz die EMRK nicht verletzt. Ein Gütesiegel für das Gesetz liegt darin nicht. Befriedet wird die Materie auch nicht wirklich, weil die unübersehbaren praktischen Probleme bei der Anwendung von § 4a TVG bleiben. Und schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Verfahren vor dem EGMR noch nicht ausgeschöpft ist, weil eine Anrufung der Großen Kammer noch möglich ist. Ungeachtet dessen bleibt die rechtspolitische Kritik am Gesetz möglich und wird sicher bleiben.  Download

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