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NZA Editorial

 

Nichtige Mindestlohnrichtlinie? Kein Rückschlag, sondern Chance

Professor Dr. Gregor Thüsing, LL.M (Harvard), Bonn

Heft 3/2025

Foto des Autors von NZA-Editorial 3/2025 Dr. Gregor Thüsing

Viele haben es bereits vorher schon so gesagt (ua Franzen EuZA 2024, 3; Thüsing/Hütter NZA 2021, 170; Vogt EuZA 2023, 50; kritisch auch Kreßel NZA 2025, 71), der Generalanwalt hat es nun bestätigt (Rs C-19/23, BeckRS 2025, 103). Er schlug am 14. Januar „dem Gerichtshof vor, die Mindestlohnrichtlinie in vollem Umfang für nichtig zu erklären, weil sie mit Art. 153 V AEUV und damit mit dem in Art. 5 II EUV niedergelegten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung unvereinbar ist“.

Viele hat das überrascht – und dennoch: Recht hat er. Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist zwar in Art. 153 I AEUV eine Kompetenz für den Bereich der „Arbeitsbedingungen“ begründet, in dessen Abs. 5 heißt es aber ebenso klar: „Dieser Artikel gilt nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht.“ Die Regelung war schon enthalten im Protokoll über die Sozialpolitik von 1992 und war die Frucht der Überlegung: Im Recht von Arbeitskampf und Gewerkschaften, aber eben auch beim Mindestlohn sind die nationalen Traditionen so verschieden, dass wir eine einheitliche europäische Regelung gar nicht erst anstreben. Sich darüber nun hinwegzusetzen, ist starker Tobak und eben ein weiterer Fall von ultra vires, einem Handeln europäischer Institutionen jenseits der Grenzen der Ermächtigung durch das sie legitimierende Vertragswerk, wie es das BVerfG im Hinblick auf das Handeln der EZB festgestellt hat.

Generalanwalt Nicholas Emiliou knüpft an die vorangegangene Rechtsprechung des EuGH an, mit deutlichen Worten: „Mir ist jedoch klar, dass der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Impact nicht so weit gegangen ist, dass der Ausschluss des ‚Arbeitsentgelts‘ ausschließlich für die Höhe des Arbeitsentgelts (dh seine genaue Zahl oder Höhe) gilt. … In Anbetracht dieses Urteils sehe ich keinen Grund, in Art. 153 V AEUV eine Einschränkung einzufügen (nämlich, dass der Ausschluss des ‚Arbeitsentgelts‘ tatsächlich nur die Höhe des Arbeitsentgelts erfasst), die nicht expressis verbis in dieser Bestimmung enthalten ist. Meines Erachtens soll der Begriff ‚Arbeitsentgelt‘ alle Aspekte der Lohnfestsetzungssysteme der Mitgliedstaaten und nicht nur die Höhe des Arbeitsentgelts erfassen.“ 

Die vielen relativierenden Versuche, auch aus dem deutschen Schrifttum (auf das sich der Generalanwalt leider nicht bezieht), können daher nicht überzeugen. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH den Argumenten folgen wird. Es dient der Glaubwürdigkeit des Gerichtshofs, wenn er eben auch einmal gegen europarechtliche Expansion entscheidet, und die Gesetzgebung auf das zurückführt, zu dem sie legitimiert ist. Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung ist eben ernst zu nehmen. Europa und vor allem die so wichtige soziale Sicherung durch Europa erfahren dadurch keinen Rückschlag. Eine solche Entscheidung schafft vielmehr die Chance für ein solideres rechtliches Fundament, auf das eine kommende, passgenauere Architektur aufbauen kann. Die Chance sollte der EuGH nutzen – im Interesse aller.

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