Professor Dr. Gregor Thüsing, LL.M (Harvard), und Wiss. Mitarbeiter Simon Mantsch, Bonn
Heft 22/2024
Herrenberg und seine Musikschule in der Bismarckstraße 9 haben eine Berühmtheit erlangt, wie sie das BSG vielleicht gar nicht vorhergesehen hat. Die Entscheidung (NZS 2022, 860 mAnm Zieglmeier NZS 2022, 863) hat für Irritation gesorgt, weil man nicht weiß, ob die in der Gewichtung neuen Maßstäbe auch für ähnliche oder auch nicht ganz so ähnliche Fälle gelten sollen. Die einleitenden Textbausteine Kassels waren die altbekannten, doch war die Subsumption eine neue und somit für viele unerwartet. Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung haben den Ball aufgenommen und die „Versicherungsrechtliche Beurteilung von Lehrern und Dozenten“ als Reaktion auf Herrenberg am 4.5.2023 neu justiert. Doch auch diese Hinweise, die schon in ihrer Pauschalität kaum überzeugen, lassen für die zukünftige Prüfungspraxis viele Fragen offen.
Faktische Auswirkungen der rechtlichen Unsicherheit sind kaum übersehbar. PRO MUSIK und ähnliche Verbände jaulen laut auf, aber die Kreise ziehen sich weiter – selbst an Universitäten stellt sich nun die Frage, ob etwa Lehrbeauftragte nunmehr als Beschäftigte zu qualifizieren sind. Im Ergebnis kann das nicht richtig sein und dies gilt qua Gesetz. „Die Lehrbeauftragten nehmen ihre Lehraufgaben selbstständig wahr. Der Lehrauftrag ist ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis eigener Art; er begründet kein Dienstverhältnis“ (so geregelt zB in § 43 HG NRW). Obwohl auch Lehrbeauftragte sicherlich ein Stück weit in den Lehrbetrieb und somit in die Organisation der Universität eingegliedert sind, sollen sie nach dem insoweit unmissverständlichen Willen des Gesetzgebers keine Beschäftigten sein. Nun mag man platt sagen: Bundesrecht bricht Landesrecht. Doch am öffentlich-rechtlichen Status kommt auch das Bundesrecht nicht vorbei, und das Kriterium der Eingliederung ist und bleibt ein schillerndes. Sowohl für die Abgrenzung im Arbeitsrecht als auch jene im Sozialrecht ist es relevant, doch erfolgt die Auslegung in den jeweiligen Gerichtszweigen dann doch mitunter recht unterschiedlich und hat – sicherlich etwas überspitzt gesagt – fast den Charakter einer „Wundertüte“. Dies offenbart Reformbedarf.
Aber wie soll es nun weitergehen? An § 7 SGB IV zu schrauben, nur weil der alte Text neu interpretiert wird, wäre der falsche Weg und politisch ohnehin nicht umsetzbar. Das BSG selbst wird im folgenden Jahr anhand verschiedener Revisionen die Gelegenheit haben, seine Ausführungen zu konkretisieren, ggf. sogar zu korrigieren. Unabhängig davon wäre es sinnvoll, wenn sich die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung zusammensetzen und herausarbeiten, wo sie die Grenzen von Herrenberg sehen, etwa in dem Sinne, dass sie – anders als bislang – herausarbeiten, welche Positivkriterien für eine selbstständige Tätigkeit sprechen – und dann auch zB im Kontext mit Lehrtätigkeiten an Universitäten. Es braucht Rechtssicherheit, wer abhängig beschäftigt und wer selbstständig tätig ist. Für beides muss Platz bleiben – das zeigen auch die Beschlüsse des 74. Deutschen Juristentages der Abteilung Arbeits- und Sozialrecht (NZA 2024, 1404). Auf nach Herrenberg!