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NZA Editorial

 

Kirchenaustritt als Kündigungsgrund?

Professor Dr. Felipe Temming, LL.M. (LSE), Leibniz Universität Hannover

Heft 15/2025

Name des Autors von NZA-Editorial 15/2025 Dr. Felipe Temming

Die Frage, ob der Austritt aus der katholischen Kirche einen Kündigungsgrund für einen kirchlichen Arbeitgeber darstellt, ist brisant. Er ist eines der schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche, die das kanonische Recht kennt. Generalanwältin Medina hat am 10. Juli ihre Schlussanträge in dem Verfahren „Katholische Schwangerschaftsberatung/JB“ auf Vorlage des BAG (NZA 2024, 543) verkündet (BeckRS 2025, 16012). Es ist der zweite Anlauf des BAG, den EuGH hiermit zu befassen (NZA 2022, 1674).

Die Ansicht der Generalanwältin überrascht nicht: Das Unionsrecht steht den Arbeitgeberkündigen entgegen. Hierfür dekliniert sie die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Egenberger (NZA 2018, 569) und IR (NZA 2018, 1187) aus dem Jahre 2018 schnörkellos durch. Das heißt: Mit Blick auf die konkrete Tätigkeit – Schwangerschaftsberatung – ist die kontinuierliche Kirchenzugehörigkeit keine berufliche Anforderung, die wesentlich und gerechtfertigt ist. Damit sind Art. 4 II UAbs. 1 und UAbs. 2 RL 2000/78/EG nicht erfüllt. Das überzeugt. Eine verkündungsnahe Tätigkeit ist mit Blick auf die Beratungstätigkeit von Schwangeren zu verneinen, zumal die Arbeitgeberin diese Tätigkeit nicht von der Mitgliedschaft in der katholischen Kirche abhängig gemacht und letztlich noch nicht einmal verlangt hatte, dass Arbeitnehmer oder Bewerber einer Religion überhaupt angehörten. Zudem hatte sich die Arbeitnehmerin nicht öffentlich wahrnehmbar kirchenfeindlich geäußert; der behördliche Akt des Kirchenaustritts reicht hierfür nicht aus.

Sollte sich dieses Verfahren bis zur Bekanntgabe eines Verkündungstermins nicht erledigen, spricht wenig dafür, dass der EuGH Egenberger und IR revidiert. Vor dem Hintergrund eines entsprechenden EuGH-Urteils wird der Ball dann beim BVerfG liegen, wo die Verfassungsbeschwerde zum Egenberger-Verfahren schlummert (2 BvR 934/19). Dann muss der europäische Kulturkampf um die unterschiedlichen Kontrollmaßstäbe im Kirchenarbeitsrecht ausgefochten werden. Siegt das Weltliche über das Kirchliche (EGMR, EuGH, BAG) oder wird es umgekehrt sein (BVerfG)? Es ist ein Konflikt, der seit über 40 Jahren schwelt. Wenngleich der EuGH Art. 17 AEUV nicht die kirchenautonomiewahrende Funktion von Art. 137 WRV iVm Art. 140 GG eingehaucht hat, eignet sich dieser Disput nicht, die Identitäts- oder ultra-vires-Kontrolle greifen zu lassen. Muss das BVerfG den Kampf für sich entscheiden? Konfliktvermeidend wäre es, wenn das BVerfG an seiner Entscheidung vom 22.10.2014 (NZA 2014, 1387) festhält, zur Vermeidung von Missverständnissen aber zugleich klarstellt, dass auch sein zweistufiges Prüfprogramm (Plausibilitätskontrolle und Abwägung) keine Inkohärenzen und Automatismen toleriert. So könnte das Gericht ebenfalls den Bogen zu den kündigungsschutzrechtlichen Prinzipien schlagen, die in § 1 KSchG und § 626 BGB verankert und gem. Art. 137 III 1 WRV iVm Art. 140 GG zu beachten sind. Eingedenk des Gebots der Interessenabwägung (Verbot absoluter Kündigungsgründe) und des Gleichbehandlungsgebots (Verbot der herausgreifenden Kündigung) würde ein verständiger Arbeitgeber im konkreten Fall unter Ausschöpfung des gesamten Sachverhalts dann von einer Kündigung absehen. JB ist keine Apostatin. Art. 5 III GrO aF oder Art. 7 IV GrO stehen dem nicht entgegen.

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