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NZA Editorial

 

Nachträgliche Klagezulassungsfrist zu kurz für Schwangerschaft

Rechtsanwalt Dr. Steffen Krieger, Gleiss Lutz, Düsseldorf

Heft 15/2024

Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 15/2024 Dr. Steffen Krieger

Zwei Wochen vergehen (zu) schnell, zumindest zu Beginn einer Schwangerschaft, meint der EuGH in seinem Urteil vom 27.6.2024 – C-284/23 (NZA 2024, 969 – Haus Jacobus). Hier hatte der EuGH erneut Stellung zur Auslegung von Art. 10 und 12 der Richtlinie 92/85/EWG zu beziehen. Bereits in einer früheren Entscheidung (EuZW 2010, 190 − Pontin) hatte er eine luxemburgische Regelung, die eine Frist von 15 Tagen für das Geltendmachen der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen nachträglich festgestellter Schwangerschaft vorsah, für unvereinbar mit Unionsrecht gehalten.

Auch in Deutschland sieht § 5 I 2, III KSchG nur eine Frist von zwei Wochen für die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage für den Fall vor, dass die Frau von ihrer Schwangerschaft erst nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG erfährt. Diese Frist sei zu kurz bemessen und verstoße deswegen gegen den Effektivitätsgrundsatz des Art. 4 III 2 EUV, so der EuGH. Danach müssen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen ergreifen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Art. 12 der Richtlinie 92/85/EWG konkretisiert dies dahingehend, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Vorschriften zu erlassen, die einen effektiven Rechtsschutz ermöglichen.

Die Entscheidung des EuGH steht im Spannungsfeld zu seiner Rechtsprechung, nach der die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Zudem hat der Gerichtshof entschieden, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, für nationale Regelungen, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, Fristen festzulegen. Dabei soll jedoch insbesondere der Bedeutung der zu treffenden Entscheidungen für die Parteien, der Komplexität der Verfahren und der anzuwendenden Rechtsvorschriften, der Zahl der potenziell Betroffenen und den anderen zu berücksichtigenden öffentlichen oder privaten Belangen Rechnung getragen werden. Dies zweifelt der EuGH für die Frist des § 5 III 1 KSchG an. Eine angemessene Rechtsberatung sei in diesem Zeitraum erschwert. Woher der EuGH das nimmt, bleibt allerdings offen. Selbsterklärend ist die These jedenfalls nicht. Schon eine Google-Recherche liefert in Sekunden die Antwort, dass eine während der Schwangerschaft erklärte Kündigung unwirksam ist.

Der Ausflug des EuGH ins Zivilprozessrecht hat einmal mehr missliche Folgen für die Praxis. Nach den Vorgaben des EuGH müssen die Arbeitsgerichte die Zweiwochenfrist des § 5 III 1 KSchG für den Fall der nachträglich festgestellten Schwangerschaft unangewendet lassen. Gilt dann keine Frist mehr und kann die Unwirksamkeit der Kündigung – bis zur Grenze der Verwirkung – noch Monate später geltend gemacht werden? Oder kann die entstandene Lücke durch eine analoge Anwendung von § 4 KSchG geschlossen werden? Und reicht eine um eine Woche längere Frist auch aus der Perspektive des EuGH aus, um angemessenen Rechtsrat einholen zu können? (s. auch Euler NZA 2024, 1037, in diesem Heft).

Wir Arbeitsrechtler haben uns inzwischen daran gewöhnt, dass der EuGH aus nationalen Gesetzen „Schweizer Käse“ macht. Der praktischen Handhabbarkeit des Rechts hilft es aber nicht, wenn nur Eingeweihte wissen, welche vermeintlich klaren Regelungen wirklich gelten und welche nicht. 

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