Rechtsanwältin Dr. Susanne Clemenz, Gütersloh, und Rechtsanwalt Professor Dr. Georg Annuß LL.M., München
Heft 16/2024
In der Zeit vom 25. bis 27.9.2024 wird der 74. Deutsche Juristentag in Stuttgart stattfinden. Die Abteilung Arbeits- und Sozialrecht wird sich dieses Mal mit einer zentralen Frage des Arbeitsrechts befassen: „Wen schützt das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht? – Empfiehlt sich eine Neuausrichtung seines Anwendungsbereichs?“
Diese Frage ist nicht nur eine rein juristische. Durch die Arbeit finden Menschen ihren Platz in der Gesellschaft. Die Art und Weise, wie Arbeit organisiert, geordnet und reguliert wird, hat entscheidenden Einfluss auf das Miteinander in einer Gesellschaft. Es geht also um ein Thema, das angesichts der rasanten technologischen wie auch politischen Entwicklungen der letzten Jahre nicht nur zu einer breiten rechtspolitischen Diskussion einlädt, sondern auch ohne dogmatische rote Linien und offen für neue Ideen diskutiert werden muss. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Sie findet sich beispielsweise bereits im Supiot-Report der EU aus dem Jahr 1999 sowie im Grünbuch der Europäischen Kommission „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ (KOM/2006/0708 endg.). In der rechtspolitischen Diskussion hat sie allerdings kaum Widerhall gefunden, so dass die Frage nach dem Leitbild der arbeitsrechtlichen Regulierung und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen bislang nicht vertieft behandelt wurden.
Mit diesem Schwerpunktheft, in dem neben Vertretern aus der Rechtswissenschaft auch Vertreter der Ökonomie und Sozialphilosophie ihre Gedanken mit uns teilen, möchten wir eine möglichst breite Diskussion in Gang bringen, die jenseits der bekannten „Sachzwänge“ (partei- und verbands-) politischer Umsetzbarkeit den Status Quo der arbeitsrechtlichen Regulierung kritisch überprüft und auch neue Wege sowie Gedanken zu einer künftigen Arbeitsrechtsordnung formuliert. So beantwortet Prof. Dr. Uwe Jirjahn die durch das Thema des Deutschen Juristentags gestellte Frage damit, „dass das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht die Demokratie in Deutschland schützt“ (S. 1122), woraus ein wesentlich breiterer Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber resultieren würde, als es dem herrschenden Verständnis entspricht. In eine ähnliche Richtung weist die nachdrücklich erhobene Forderung von Prof. Dr. Lisa Herzog, „Arbeit so zu gestalten, wie es der gleichen Würde aller Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft entspricht, um damit auch die politische Demokratie zukunftsfest zu machen“ (S. 1118).
Auf dem 74. Deutschen Juristentag wird sich zeigen, ob wir weiterhin in Konvention und althergebrachten Denkweisen verhaftet bleiben oder zu einem „Out of the box Denken“ im besten Sinn in der Lage sind. Die Grundlage dafür bildet ein Gutachten von Prof. Dr. Christian Rolfs, das durch drei Referate (Prof. Dr. Georg Annuß, Barbara Geiger und Prof. Dr. Eva Kocher) begleitet wird. Wir freuen uns sehr, dass zur weiteren Vorbereitung dieser Diskussion so viele kluge Köpfe unserer Einladung gefolgt sind, und hoffen, dass ihre in diesem Heft versammelten Beiträge viele derzeit vielleicht noch Unentschlossene motivieren, an der Diskussion auf dem 74. Deutschen Juristentag teilzunehmen und sich dort ebenfalls einzubringen.