Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Justus Frank, Maître en droit, LL.M.
Heft 12/2024
Die jüngst verabschiedete PlattformarbeitsRL ist das nächste europäische Mosaiksteinchen zur Regulierung der digitalen Arbeitswelt. Der neue Rechtsrahmen enthält neben der von Fischels/Sokoll (NZA 2024, 721) untersuchten Vermutung der Arbeitnehmereigenschaft allen voran umfassende Vorgaben zum algorithmischen Management. Plattformbetreiber müssen danach unter anderem besondere Datenverarbeitungsverbote beachten. Eine Datenerhebung soll bspw. generell untersagt sein, wenn Plattformarbeit nicht ausgeführt oder angeboten wird. Was unscheinbar anmutet, könnte weitreichende Folgen haben. Plattformbetreiber werden sich fragen, ob sie inaktiven Plattformarbeitern hiernach noch Aufgaben per Push-Nachricht anbieten dürfen. Der Einwilligungsvorbehalt in Art. 8 II GRCh spricht dafür. Eine besondere Bedeutung kommt auch den Transparenzanforderungen zu. Plattformbetreiber sind nicht nur verpflichtet, über die Nutzung automatisierter Überwachungs- und Entscheidungssysteme detailliert zu informieren. Sie müssen ihre Prozesse auch so umstellen, dass sie automatisierte Entscheidungen auf Verlangen betroffener Plattformarbeiter, einschließlich Selbstständiger, überprüfen, erklären und ggf. berichtigen können. Eine umfassende Übersicht über die Restriktionen eines algorithmischen Managements unter der PlattformarbeitsRL erscheint im nächsten Heft.
Die Regelungstiefe der PlattformarbeitsRL wird noch einmal deutlich übertroffen von der jüngst ebenfalls verabschiedeten KI-VO. Komplexe Softwarelösungen gehören schon heute zum Standard des modernen HR und dürften mit zunehmender technologischer Entwicklung mitunter die sachlichen Anwendungsvoraussetzungen der KI-VO erfüllen. Wird die Schwelle zum „KI-System“ überschritten, werden die jeweiligen HR-Systeme häufig als hochriskant gelten. Als ihr Betreiber müssen Arbeitgeber dann zahlreiche Pflichten im Blick behalten. Hierzu gehören nicht nur spezifische Informationspflichten gegenüber Arbeitnehmern und Betriebsräten, sondern auch die Pflicht zur menschlichen Aufsicht. Diese ist auf nicht weniger als eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem von einem KI-System generierten Ergebnis gerichtet. Da ein KI-generiertes Ergebnis nicht Gegenstand eines Entscheidungsprozesses sein muss, erfasst die menschliche Aufsicht gar mehr Fälle als die vergleichbare Pflicht unter Art. 22 I DS-GVO.
Die weitreichenden Regulierungen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die EU an anderer Stelle eine treibende Kraft der Digitalisierung der Arbeitswelt ist. Ein Blick auf die umfangreichen Anforderungen der Corporate Sustainability Reporting Directive genügt, um zu erahnen, dass es künftig einer qualitativ hochwertigen Datenaufbereitung und -verknüpfung bedarf, um den europäischen Nachhaltigkeitskriterien gerecht zu werden. Während der Alltag in den Betrieben mitunter noch immer von einem „Flickenteppich“ an HR-Systemen geprägt ist, sollte die europäische Gesetzgebung Mahnung genug sein, eine ganzheitliche HR-Digitalisierung zur „Chefsache“ zu machen.