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NZA Editorial

 

Wirklich eine Zeitenwende beim Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB?

Professor Dr. Abbo Junker, Ludwig-Maximilians-Universität München

Heft 19/2024

Foto von Prof. Dr. Abbo Junker

Kürzlich wurde in dieser Zeitschrift (Editorial zu Heft 17/2024) – nicht zu Unrecht – eine „Kursänderung bei Unterrichtungsschreiben“ konstatiert. Seit der 2. Senat des BAG die Zuständigkeit vom 8. Senat übernommen habe, sei Bewegung in die Rechtsprechung zu § 613a V BGB gekommen. Der 8. Senat des BAG habe zuvor die Anforderungen an die Unterrichtung „ständig nach oben“ geschraubt, wohingegen der 2. Senat des BAG in zwei Entscheidungen vom 21.3.2024 (2 AZR 79/23, NZA 2024, 829, und 2 AZR 95/23, NZA 2024, 835) denjenigen, die Unterrichtungsschreiben verfassen müssen, eine gewisse Erleichterung verschafft und die Folgen fehlerhafter Unterrichtung abgemildert habe.

Aber was bedeutet dies für die Praxis? Meines Erachtens wird nicht hinreichend in den Blick genommen, dass der 8. Senat des BAG die europaweit einmaligen Anforderungen an „Unterrichtungsschreiben zwecks Ingangsetzung der Widerspruchsfrist“ nicht aus Lust und Tollerei oder in einem Anfall von Buchstabenjuristerei eingeführt hat, sondern vielleicht (auch) deshalb, weil die Kombination der letzten beiden Absätze des § 613a BGB in der Fassung von 2002 ein probates Mittel bietet, die betroffenen Arbeitnehmer vor den Folgen dubioser Betriebsübergänge zu schützen.

Der Standardfall ist derjenige, dass die Konzernspitze ein Konzernunternehmen, dessen Überlebensperspektive zweifelhaft ist, nicht – mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Konsequenzen – schließt, sondern an ein Unternehmen verkauft, bei dem sozialplanmäßig nichts zu holen ist; den Arbeitnehmern wird dieser Zusammenhang klar, wenn nach Ablauf der Widerspruchsfrist Insolvenz angemeldet wird. Allgemein ist, wenn Widerspruchsfälle vor Gericht kommen, bei dem Betriebsübergang häufig etwas faul, denn sonst würden die Arbeitnehmer nicht nach Fristablauf dem Übergang der Arbeitsverhältnisse widersprechen, sondern beim Erwerber weiterarbeiten.

Der EuGH bietet den mitgliedstaatlichen Gerichten seit einiger Zeit ein anderes Mittel an, um anrüchige Fälle im Sinne eines Arbeitnehmerschutzes zu entscheiden: Sie haben zu prüfen, ob der Betriebsübergang nach der Gesamtheit der Umstände einen Rechtsmissbrauch darstellt mit der Folge, dass ein Übergang der Arbeitsverhältnisse nicht stattgefunden hat (13.6.2019 – C-664/17, NZA 2019, 889 Rn. 49 ff. – Ellinika Nafpigeia). In der Literatur wurde schon damals darauf hingewiesen, dass ein deutsches Gericht § 242 BGB (Rechtsmissbrauch als Verstoß gegen Treu und Glauben) nur so lange nicht bemühen müsse, wie in der Konstellation „Betriebsübergang mit dem Endziel der kostengünstigen Betriebsschließung“ oder vergleichbaren Gestaltungen eine fehlerfreie Unterrichtung nicht darzustellen ist (Sagan/Brockfeld Anm zu EuGH AP Nr. 23 zu Art. 1 RL 2001/23/EG).

Es ist daher keine Überraschung, dass der 2. Senat des BAG die EuGH-Entscheidung zum Rechtsmissbrauch an prominenter Stelle anspricht (2 AZR 79/23, NZA 2024, 829 Rn. 22). Der Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB und die Anforderungen an die Unterrichtung stehen im Verhältnis kommunizierender Röhren. Eine Zeitenwende ist somit nicht im Ergebnis zu erwarten, sondern allenfalls in der Begründung.

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