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NZA Editorial

 

Tarifpluralität in der Betriebsverfassung

Professor Dr. Cord Meyer, Berlin

Heft 24/2023

Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 24/2023 Cord MeyerFragte man den jüngst verstorbenen Dr. Dirk Neumann, warum er als Vorsitzender Richter am Tarifsenat des BAG am richterrechtlich begründeten Grundsatz der Tarifeinheit festgehalten habe, so bekam man die knappe Antwort: Im Interesse der Praktikabilität und der klaren Ordnung im Betrieb. 

Nach Freigabe von Tarifpluralität durch den 4. Senat unter Vorsitz von Klaus Bepler am 7.7.2010 (NZA 2010, 1068) wurden auch die rechtlichen Zweifelsfragen im Bereich der Betriebsverfassung evident: Wie wirkt sich die Tarifpluralität auf die Tarifsperren aus § 77 III und § 87 I ES BetrVG aus, wenn im Betrieb zwei Tarifverträge mit Inhaltsnormen miteinander konkurrieren? Wie ist die Tarifpluralität aufzulösen, wenn die von einer Gewerkschaft vereinbarte Inhaltsnorm auf eine von der anderen Gewerkschaft abgeschlossene Betriebsnorm trifft, die nach § 3 II TVG alle Arbeitsverhältnisse im Betrieb erfasst? Ist eine Trennung nach den Gewerkschaftsmitgliedern möglich und benötigt ein Betriebsrat hierzu nicht eine Kenntnis der jeweiligen normativen und/oder arbeitsvertraglichen Bindung an den jeweiligen Tarifvertrag?

Das BAG hat mit einem zeitlichen Versatz begonnen, diese Fragen einer dogmatischen Lösung zuzuführen: Mit Beschluss vom 18.11.2014 (1 AZR 257/13, NZA 2015, 306) entschied das BAG, das jedenfalls im Zeitraum von aktuellen Tarifverhandlungen die Frage nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft unzulässig sei. Dies spricht im Umkehrschluss dafür, dass der Arbeitgeber jedenfalls jenseits der Tarifrunden eine entsprechende Frage bei Tarifpluralität im laufenden Arbeitsverhältnis adressieren kann, um seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis wie auch gegenüber den Sozialversicherungen und der Finanzverwaltung ordnungsgemäß erfüllen zu können. Beginnend mit Beschluss vom 14.4.2015 (1 ABR 66/13, NZA 2015, 1077) entschied das BAG, dass der Arbeitgeber bei einer Ein- oder Umgruppierung nach § 99 BetrVG bei Tarifpluralität im Betrieb dem Betriebsrat eine beabsichtigte Eingruppierung jeweils getrennt nach den konkurrierenden Tarifverträgen mitzuteilen habe. Es steht dabei zu vermuten, dass hierdurch die Betriebsräte keine Kenntnis von der jeweiligen Mitgliedschaft erlangen sollen, weil dadurch die Konkurrenz unter den „gewerkschaftlich orientierten Lagern“ in den Betriebsräten weiter angefacht würde. Ggf. droht den Mitgliedern einer Gewerkschaft auch insoweit die Gefahr einer Diskriminierung? 

Mit jüngstem Beschluss vom 25.1.2023 (4 ABR 4/22, NZA 2023, 979) entschied das BAG, dass bei Tarifpluralität jeder der im Betrieb konkurrierenden Tarifverträge eine Sperrwirkung nach § 87 I ES BetrVG gegenüber der Mitbestimmung des Betriebsrates im Bereich der sozialen Angelegenheiten entfalte. Bei einer Konkurrenz von Inhalts- mit Betriebsnormen im Betrieb sperre jedenfalls die Inhaltsnorm als Ausdruck eines gewerkschaftlichen Geltungsanspruchs gegenüber einem Tarifvertrag mit einer Öffnungsklausel zugunsten der Betriebsparteien. 

Abzuwarten bleibt, wie das BAG in der kommenden Zeit die Kollisionsfragen unter dem Grundsatz der gesetzlich angeordneten Tarifeinheit nach § 4a II TVG beantworten wird. Hier dürfte – bei aller Vorsicht – anders als bei Tarifpluralität zu erwarten sein, dass sich allein der Tarifvertrag der Mehrheits-Gewerkschaft im Betrieb durchsetzt und somit insbesondere eine Sperrwirkung entfaltet.

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