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NZA Editorial

 

Unternehmensmitbestimmung in der SE: Der Ball liegt beim EuGH!

Professorin Dr. Katharina Uffmann, Ruhr-Universität Bochum, und Fachanwalt für Arbeitsrecht Klaus Thönißen, LL.M. (San Francisco), Essen

Heft 8/2024

Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 8/2024 Klaus ThönißenFoto der Autorin von NZA-Editorial Heft 8/2024 Katharina Uffmann

2024 ist wieder ein spannendes Jahr für die unternehmerische Mitbestimmung in der SE: Auf Vorlage des 1. Senats des BAG vom 17.5.2022 (1 ABR 37/20 (A), NZA 2023, 44) wird der EuGH am 16.5.2024 darüber entscheiden, ob und ggf. bis wann bei einer sog. arbeitnehmerlosen SE das bei Gründung nicht durchgeführte Verhandlungsverfahren nachzuholen ist, wenn die arbeitnehmerlose SE herrschendes Unternehmen von Arbeitnehmern beschäftigenden Tochtergesellschaften wird. 

Das BAG hält eine Nachverhandlung, obwohl in der SE-Beteiligungsrichtlinie (2001/86/EG, kurz SE-RL) nicht normiert, für unionsrechtlich geboten. Der 1. Senat kreiert damit einen neuen Nachverhandlungstatbestand, was für die Attraktivität der SE als mitbestimmungsorientierter Rechtsformoption bei Umstrukturierungen praktisch erhebliche Folgen hätte. 

Das Vorabentscheidungsersuchen ist aber auch methodisch brisant. Das BAG spielt erneut den Ball der teleologisch motivierten richterlichen Rechtsfortbildung der SE-RL in das Feld des EuGH, um vermeintliche Mitbestimmungslücken zu schließen. Und mit Blick in die Vergangenheit ist es nicht ausgeschlossen, dass der EuGH erneut als Ersatzgesetzgeber auftreten wird. Bekanntlich hatte er schon in der SAP-Entscheidung (vgl. EuGH 18.10.2022C-677/20, NZA 2022, 1477 – SAP SE) den fragwürdigen Weg des BAG aufgegriffen und die Gestaltungsfreiheit der Verhandlungspartner bei dem Abschluss maßgeschneiderter Mitbestimmungsvereinbarungen jedenfalls für die Gründungsform der Umwandlung stark eingeschränkt.

Kommt es also erneut zu einer richterrechtlichen Fortbildung der SE-RL am Unionsgesetzgeber vorbei? Wenn es nach den seit dem 7.12.2023 vorliegenden Schlussanträgen des Generalanwalts de la Tour geht, ist die Antwort darauf erfreulicherweise ein klares Nein. Denn mit Blick auf das Nachholen von Verhandlungen führt der Generalanwalt überzeugend aus: „In diesem Stadium der Überlegungen erscheint mir daher gesichert, dass das Fehlen einer Vorschrift über nachträgliche Verhandlungen zur Beteiligung der Arbeitnehmer im Fall einer ohne BVG gegründeten SE auf eine bewusste Entscheidung des Unionsgesetzgebers zurückgeht, auch wenn dieses Fehlen von den Befürwortern des Systems der Arbeitnehmerbeteiligung, insbesondere im Sinne der Mitbestimmung, als Lücke interpretiert werden kann.“ (vgl. Schlussanträge C-706/22, BeckRS 2023, 35321 Rn. 62, bespr. von Pauly/Liesner NZA-RR 2024, 111). 

Es ist zu hoffen, dass der EuGH dem folgt und so der Versuchung widersteht, über die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung hinaus rechtsschöpferisch tätig zu werden. Einerseits, weil nur so eine unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten unzulässige inhaltliche Veränderung der SE-RL verhindert werden würde; neue Verhandlungstatbestände müssen durch den Unionsgesetzgeber statuiert werden. Andererseits würde ein wichtiges Signal an die derzeitige Regierungskoalition gesendet, die im Koalitionsvertrag verabredet hat, sich für eine Weiterentwicklung der Unternehmensmitbestimmung in der SE einzusetzen, um den bislang möglichen sog. Einfriereffekt abzuschaffen. Mit einer nationalen „Konkretisierung“ des Missbrauchstatbestands ist das aber nicht möglich, sondern nur über eine legislative Neuausrichtung der SE-RL; das geht nur auf Ebene der EU.

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