Dr. Hans-Jürgen Hillmer
Standort Deutschland am Scheideweg: Fortschritte oder Lähmungen?

Es klingt gut: „Wir fördern Investitionen und Innovationen für nachhaltiges Wachstum, neuen Wohlstand und Arbeitsplätze.“ Wer wollte sich da verweigern? Und doch erweckt die aktuelle politische Diskussion den Anschein, als drohe Deutschland wirtschaftspolitischer Stillstand. Was da aus Sicht der Wirtschaft alles auf dem Spiel steht, verdeutlicht der nachfolgende Überblick.
Praxis-Info!
Problemstellung
Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands soll laut Sondierungspapier der CDU/CSU und SPD vom 8.3.2025 „mit Vertrauen, Entschlossenheit und Planungssicherheit“ wieder gestärkt werden. Über die Förderung von Investitionen und Innovationen für nachhaltiges Wachstum, neuen Wohlstand und Arbeitsplätze soll dem Mittelstand und darunter vor allem dem Handwerk der Rücken gestärkt werden. Dass insbesondere das Handwerk derlei Impulse dringend benötigt, ist Creditreform-Ergebnissen zur „Wirtschaftslage und Finanzierung im Handwerk 2024/25“ zu entnehmen, die am 13.3.2023 taggleich mit der ersten Lesung des Bundestags veröffentlicht wurden (siehe hierzu BC-Newsletter vom 13.3.2025). Ein kurzer Blick in die Abschnitte Wirtschaft und Arbeit dieses Sondierungspapiers zeigt, welche Maßnahmen mit der Investitions- und Innovationsförderung auf den Weg gebracht werden könnten, sofern parteitaktisches Handeln durch einen gemeinsamen Kraftakt überwunden wird.
Wirtschaftsfördernde Maßnahmen
1. Steuerreformen und Investitionsanreize
Die breite Mittelschicht soll durch eine Einkommensteuerreform entlastet werden. Ferner soll eine Unternehmenssteuerreform spürbare Anreize für unternehmerische Investitionen in Deutschland setzen. Bereits als Einzelmaßnahmen gesetzt sind:
- Erhöhung der Pendlerpauschale
- Steuerfreiheit der Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte bzw. an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen.
- Soweit Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, soll diese Prämie steuerlich begünstigt werden.
- Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht hat und freiwillig weiterarbeitet, bekommt sein Gehalt bis zu 2.000 € im Monat steuerfrei (Aktivrente).
Ergänzend zur noch nicht näher beschriebenen Unternehmenssteuerreform sollen zur Vergabe von Eigen- und Fremdkapital bei Investitionen im Zusammenspiel von öffentlichen Garantien (z.B. KfW) und privatem Kapital Investitionsfonds aufgelegt werden, z.B. für Venture Capital, Wohnungsbau und Energieinfrastruktur.
Als eine Hightech-Agenda für Deutschland soll ein schlagkräftiges Programm für Forschung, Innovationen, Technologien, Transfer und Entrepreneurship vorgelegt werden. Insbesondere soll die Fusionsforschung mit dem Ziel, dass der erste Fusionsreaktor der Welt in Deutschland stehen soll, stärker gefördert werden.
Um die Chancen von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung stärker nutzen zu können, soll es eine massive Aufstockung der Mittel für Forschung und Entwicklung geben.
2. Branchenspezifische Förderungen
Das Sondierungspapier enthält ein auf Technologieoffenheit gestütztes Bekenntnis zum Automobilstandort Deutschland und seinen Arbeitsplätzen. Strafzahlungen aufgrund der Flottengrenzwerte sollen abgewehrt und die E-Mobilität durch einen Kaufanreiz gefördert werden. Bei der Bewältigung der Transformation sollen auch die Zulieferer unterstützt werden.
Um die Gastronomie und Verbraucher zu entlasten, ist beabsichtigt, die Umsatzsteuer für Speisen dauerhaft auf 7% zu reduzieren. Für Forst- und Landwirte soll die Agrardiesel-Rückvergütung vollständig wieder eingeführt werden.
3. Energiekosten und Energiemärkte
Für schnelle Entlastungen um mindestens 5 Cent pro kWh sollen in einem ersten Schritt die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmaß gesenkt und die Übertragungsnetzentgelte halbiert werden. Über eine dauerhafte Deckelung der Netzentgelte werden dauerhaft niedrige und planbare, international wettbewerbsfähige Energiekosten angestrebt. Ergänzend soll ein größeres Energieangebot der Stabilisierung und Reduzierung der Stromkosten dienen; es ist beabsichtigt, die energieintensive Industrie CO2-neutral zu machen. Es sollen Leitmärkte für klimaneutrale Produkte geschaffen und über ein Bekenntnis zu Klimazielen sollen Klimaschutz, soziale Ausgewogenheit und wirtschaftliches Wachstum pragmatisch und unbürokratisch zusammengebracht werden.
4. Arbeitsmarktpolitik
Starke Wachstumsimpulse sollen auch vom Arbeitsmarkt ausgehen und dort bereits absehbare Rezessionsschrammen ausmerzen.
- Mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik wird das Ziel verfolgt, erwerbsfähige Arbeitslose in dauerhafte Beschäftigung bringen.
- Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit soll weiter gestärkt werden, um so härter gegen diejenigen vorzugehen, die illegale Beschäftigung betreiben oder die „schwarz“ arbeiten.
- Die Entwicklung des Mindestlohns kann einen Beitrag zu stärkerer Kaufkraft und einer stabilen Binnennachfrage in Deutschland leisten. Auf diesem Weg wird ein Mindestlohn von 15 € im Jahr 2026 für erreichbar gehalten.
- Ziel ist auch eine höhere Tarifbindung. Tariflöhne müssen wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben. Deswegen soll ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg gebracht werden.
- Da sich Beschäftigte und Unternehmen hinsichtlich der Arbeitszeit mehr Flexibilität wünschen, soll im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit geschaffen werden.
5. Sonstige Maßnahmen: Bürokratieabbau, Digitalisierung und Freihandel
Bürokratieabbau forcieren: Überbordende Bürokratielasten sollen durch die Abschaffung von Berichts-, Dokumentations- und Statistikpflichten reduziert werden. Es ist vorgesehen, die Zahl der gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsbeauftragten signifikant zu reduzieren.
Digitalisierung voranbringen: Die Digitalisierung ist zentral für die Modernisierung des Staates – sie macht Verwaltung effizienter, transparenter und bürgerfreundlicher. Dazu müssen digitale Behördengänge flächendeckend ermöglicht, Datenregister vernetzt und Verwaltungsprozesse automatisiert werden. Ein einheitliches Bürgerkonto soll den Zugang zu digitalen Diensten erleichtern.
Ausbau des Freihandels: Vier von der amtierenden Regierung in den Bundestag eingebrachte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sollen wortgleich beschlossen werden. Angestrebt wird ferner das Inkrafttreten des Mercosur-Abkommens und der Abschluss neuer Freihandelsabkommen, darunter auch mit den USA. Gleichzeitig soll die heimische Industrie vor unfairen Handels- und Subventionspraktiken geschützt werden.
Praxishinweise: - Abzuwarten bleibt nun, ob und wie schnell die in großen Teilen durchaus schlagkräftigen Effekte im Rahmen des sog. Sondierungspapiers (siehe hier) tatsächlich umgesetzt werden. In unserer pluralistischen Welt wird nicht jedem alles gefallen. Vieles wird aber für viele nützlich sein! Wer wie der Verfasser die Spitzen der deutschen Wirtschaft gehört hat, die sich an den unmittelbar vorhergehenden Tagen am 12.3.2025 und am 11.3.2025 in München eingefunden hatten, kann nachvollziehen, wie sehr die deutsche Wirtschaft auf neue politische Weichenstellungen angewiesen ist. Rechthaberische Rückzugsgefechte eindeutiger Verlierer sind jedenfalls nicht zielführend: Da die Ampel ja derzeit nur noch Rot oder Grün anzeigen kann, sollten der Gelbphase zuzuordnende Sparfüchse die ideologisch anmutende Verteidigung der uneingeschränkten Schuldenbremse aufgeben, um dringend nötige Anschubkräfte nicht auszubremsen. Wer verloren hat, kann ja vielleicht auch mal dazulernen.
- Sollte hingegen der gemeinsame Kraftakt gelingen, könnte in vielen Unternehmen und auch in unzähligen Privathaushalten mancher Sektkorken knallen, so beispielsweise in der Automobilindustrie (Stichworte: Pendlerpauschale, Kaufprämien) und bei rüstigen Rentnern (Stichwort „steuerfreie Aktivrente“), die ihrerseits einen gewichtigen Beitrag zur Lösung der dem Mittelstand nachgesagten Fachkräfteprobleme leisten könnten.
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Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 4/2025
BC20250410