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Rückstellung für öffentlich-rechtliche Anpassungsverpflichtung: Zeitpunkt der Entstehung

BC-Redaktion

BFH-Urteil vom 6.2.2013, I R 8/12

 

Eine behördliche Anweisung, nach der Altanlagen einen festgelegten Emissionswert ab einem bestimmten Zeitpunkt einhalten sollen (hier: Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002), kann in der Regel nicht dahin verstanden werden, dass die Verpflichtung zur Wahrung des Grenzwerts im Sinne der Rechtsprechung zu Verbindlichkeitsrückstellungen rechtlich bereits vor Ablauf dieses Zeitpunkts entsteht.

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Für eine Feuerungsanlage, die mit Holzresten und mit Heizöl betrieben werden konnte, ordnete die zuständige Umweltbehörde mit Verfügung vom 1.7.2005 an, die gemäß TA Luft 2002 vorgeschriebene Emissionsbegrenzung für den Abgasparameter staubförmige Emissionen (20 mg/cbm) müsse „spätestens ab dem 1.10.2010“ eingehalten werden.

Für den Einbau der hiernach erforderlichen Rauchgasreinigungsanlage bildete das Unternehmen (eine AG) zum 31.12.2005 zunächst eine Rückstellung in Höhe von 696.000 €. Der Rückstellungsbetrag basierte auf einem Angebot und unter Berücksichtigung des Abzinsungsgebots (gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG). In der Steuerbilanz zum 31.12.2006 ist die Rückstellung auf der Grundlage einer weiteren Konzeptstudie auf 1.615.000 € erhöht worden. Im Jahre 2007 wurde sodann eine neue Rauchgasreinigungsanlage mit einem Gesamtwert von netto 1,8 Mio. € bestellt; sie ist im Jahr 2008 geliefert und in Betrieb genommen worden.

Das Finanzamt erkannte die gebildeten Rückstellungen nicht an.

Diese Auffassung teilte jedoch nicht das Finanzgericht (FG) Münster (Urteil vom 14.12.2011, 10 K 1471/09 K,G): Danach seien rechtlich bereits entstandene Verpflichtungen – hier mit Inkrafttreten der TA Luft 2002 – unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Verursachung handels- und steuerrechtlich zu berücksichtigen.

 

 

Lösung

Nach Ansicht des BFH hat das Finanzamt zu Recht die von der AG für die Verpflichtung zur Einhaltung der Grenzwerte gemäß TA Luft 2002 gebildeten Rückstellungen nicht anerkannt. Das hiervon abweichende Urteil des FG Münster ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist

a) das Bestehen einer ihrer Höhe (dem Betrag) nach ungewissen Verbindlichkeit oder

b) die überwiegende Wahrscheinlichkeit des (künftigen) Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach, deren Höhe zudem ungewiss sein kann,

c) ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag sowie

d) dass der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen muss.

 

 

(Quelle: Hoffmann, BC 2012, S. 536, Heft 12)

 

 

Beruhen die Verbindlichkeiten auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften, sind an die Bildung einer Rückstellung folgende Voraussetzungen geknüpft:

  • inhaltlich hinreichende Bestimmung,
  • Erfüllung in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag sowie
  • sanktionsbewehrt.

Im vorliegenden Streitfall war die Verpflichtung zur Begrenzung staubförmiger Emissionen gemäß TA Luft 2002 Ende 2005 und 2006 zwar hinreichend konkretisiert (siehe Ordnungsverfügung vom 1.7.2005). Die Verpflichtung zur Einhaltung dieses Emissionswerts war an den Bilanzstichtagen der Streitjahre jedoch

  1. weder rechtlich entstanden,
  2. noch war sie bis zu diesen Zeitpunkten wirtschaftlich verursacht.

 

 

1. Rechtliche Entstehung

Maßgeblich für das Entstehen einer Verpflichtung ist nicht die Bekanntgabe des Verwaltungsakts (Inkrafttreten der TA Luft 2002 am 1.10.2002) oder im vorliegenden Fall der einzelfallbezogenen Ordnungsverfügung (am 1.7.2005) und die hierdurch bedingte (äußere) Bindung des Adressaten. Vielmehr ist darauf abzustellen, zu welchem Zeitpunkt (aufschiebende Bedingung und Befristung) die in der konkreten Regelung enthaltenen materiellen Rechtsfolgen ausgelöst werden (1.10.2010). Im Klartext: Die AG war vor Ablauf des in Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002 genannten Termins (1.10.2010) nicht verpflichtet, die Grenzwerte für staubförmige Emissionen einzuhalten.

 

 

Bilanzierungshinweise:

  • Im Ergebnis stimmt das vorliegende Urteil des Bundesfinanzhofs mit dem BFH-Urteil vom 13.12.2007 (IV R 85/05, BStBl. II 2008, S. 516) überein. Danach gilt bezüglich der rechtlichen Entstehung einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung (z.B. im Bereich des Umweltschutzes) Folgendes: Sofern die diesbezügliche Rechtsnorm (Gesetz oder Verordnung) eine Frist für ihre Erfüllung enthält, ist die Bildung einer Verbindlichkeitsrückstellung erst dann zulässig, wenn diese Übergangsfrist am maßgeblichen Bilanzstichtag abgelaufen ist.
  • Fehlt es an der erforderlichen Konkretisierung der Verpflichtung – sei es unmittelbar aus dem einschlägigen, sanktionsbewährten Gesetz oder aber aus einer entsprechenden Verwaltungsanordnung –, handelt es sich um bloßen künftigen Betriebsaufwand, der nicht rückstellungsfähig ist.
  • Die Auffassung des BFH deckt sich mit der internationalen Rechnungslegung (IAS 37.19). Dort wird festgestellt: Die Verpflichtung zum Einbau von Rauchfiltern in einer bestimmten Fabrikart berechtigt nicht zur Bildung einer Rückstellung. Begründung: Da das Unternehmen diese Ausgaben durch seine künftigen Aktivitäten vermeiden kann, beispielsweise durch Änderung der Verfahren, hat es keine gegenwärtige Verpflichtung für diese künftigen Ausgaben.

 

 

 

2. Wirtschaftliche Verursachung

Rückstellungen können auch für am Bilanzstichtag dem Grunde nach noch nicht entstandene (d.h. ungewisse) Verbindlichkeiten gebildet werden, wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls wirtschaftlich verursacht sind. Diese Voraussetzung ist jedoch im Streitfall gleichermaßen nicht erfüllt.

Eine Verbindlichkeit, die lediglich darauf gerichtet ist, die Nutzung bestimmter Wirtschaftsgüter in Zeiträumen nach Ablauf des Bilanzstichtags zu ermöglichen, ist in den bis dahin abgeschlossenen Rechnungsperioden noch nicht wirtschaftlich verursacht.

 

 

Beispiele zur fehlenden wirtschaftlichen Verursachung am Bilanzstichtag:

  • Überprüfung von Luftfahrtgeräten vor Ablauf der gesetzlich bestimmten Inspektionsfristen;
  • Verpflichtung zur Nachrüstung von Tankstellenanlagen vor dem Auslaufen der gesetzlich bestimmten Übergangsfristen für Altanlagen.

In beiden Fällen ist eine Rückstellungsbildung nicht zulässig.

 

 

Auch im Streitfall ist – aufgrund der verfügten Übergangsregelung – der Einsatz der von der AG betriebenen Feuerungsanlage erst ab dem 1.10.2010 rechtlich an die Einhaltung der verschärften Grenzwerte gebunden.

 

[Anm. d. Red.]

 

 

BC 6/2013

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