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Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit als Pflichtangabe bei einer Rechnung?

Christian Thurow

BFH-Beschlüsse vom 6.4.2016, V R 25/15 und XI R 20/14

 

Nach bisheriger BFH-Rechtsprechung muss die auf einer Rechnung angegebene Adresse auch der Ort sein, an dem der Unternehmer seine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet. Eine reine Briefkastenadresse erfüllt diese Anforderungen nicht, so dass in einem solchen Fall der Vorsteuerabzug zu untersagen ist. Doch im Lichte der neueren EuGH-Rechtsprechung ist fraglich, ob diese „harte“ Haltung des BFH weiter aufrechterhalten werden kann.

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

In beiden Ausgangsfällen ging es um den europaweiten Handel mit Kraftfahrzeugen. Eine ausführliche Darstellung des erstinstanzlichen Finanzgerichtsurteils zum BFH-Urteil V R 25/15 (vgl. FG Köln, Urteil 28.4.2015, 10 K 3803/13) ist in BC 2015, 386, Heft 9, zu finden. Kernpunkt der beiden Rechtsstreite ist die Frage, ob der Vorsteuerabzug voraussetzt, dass unter der auf der Rechnung angegebenen Anschrift auch tatsächlich die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmers ausgeübt wird.

Nach bisheriger BFH-Rechtsprechung ist es nämlich für die Erfüllung der formalen Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG nicht ausreichend, lediglich eine postalisch erreichbare Briefkastenadresse anzugeben. Das FG Köln sah diese Voraussetzung durch den technischen Fortschritt als überholt an, da z.B. ein Onlinehandel mobil von mehreren Orten gleichzeitig betrieben werden kann und es für den Empfänger nahezu unmöglich ist, den genauen Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit zu bestimmen.

 

 

Lösung

Der BFH wendet sich zur Klärung der europarechtlichen Auslegung des Begriffs „vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen“ vorab an den EuGH. Dieser hat in dem sog. PPUH Stehcamp-Urteil vom 22.10.2015, C-277/14 (EU:C:2015:719), entschieden: Das Recht auf Vorsteuerabzug darf nicht versagt werden, weil die Rechnung von einem nicht existenten Wirtschaftsteilnehmer ausgestellt wurde. Aus Sicht des BFH lässt dies den Schluss zu, dass der Vorsteuerabzug nicht die Angabe einer Anschrift, unter welcher die wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, voraussetzt.

Darüber hinaus hat sich der EuGH in mehreren Urteilen auf den sog. Vertrauensschutzgrundsatz berufen, wonach ein gutgläubiger Steuerpflichtiger sich auf die in der Rechnung gemachten Angaben verlassen kann. Der BFH wendet sich daher mit folgenden Fragen an den EuGH:

  1. Setzt Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL die Angabe einer Anschrift des Steuerpflichtigen voraus, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet?
  2. Für den Fall, dass Frage 1 zu verneinen ist:
    a) Reicht für die Angabe der Anschrift nach Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL eine Briefkastenadresse?
    b) Welche Anschrift ist von einem Steuerpflichtigen, der ein Unternehmen (z.B. des Internethandels) betreibt, das über kein Geschäftslokal verfügt, in der Rechnung anzugeben?
  3. Für den Fall, dass die formellen Rechnungsanforderungen des Art. 226 MwStSystRL nicht erfüllt sind: Ist der Vorsteuerabzug bereits immer dann zu gewähren, wenn keine Steuerhinterziehung vorliegt oder der Steuerpflichtige die Einbeziehung in einen Betrug weder kannte noch kennen konnte? Oder setzt der Vertrauensschutzgrundsatz in diesem Fall voraus, dass der Steuerpflichtige alles getan hat, was von ihm in zumutbarer Weise verlangt werden kann, um die Richtigkeit der Rechnungsangaben zu überprüfen?

 

 

Praxishinweise:

Obwohl sich das Urteil zunächst lediglich auf die Auslegung des Begriffs „vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen“ bezieht, erhält es insbesondere über die Frage nach dem Vertrauensschutzgrundsatz weitreichende Bedeutung. Hiernach könnte eine Nichterfüllung der formellen Rechnungsanforderungen für den Vorsteuerabzug unerheblich sein, solange keine Steuerhinterziehung vorliegt und der Rechnungsempfänger gutgläubig handelt. Dies würde die bisherige harte Haltung von Finanzbehörden und -gerichten zu diesem Punkt hinfällig machen.

 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Vice President Audit Operations & Reporting, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)

 

 

BC 8/2016

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