FG Münster, Urteil vom 7.9.2017, 5 K 3123/15 U (Revision zugelassen)
Gemäß der gefestigten BFH-Rechtsprechung endet eine Organschaft mit der Bestellung eines Insolvenzverwalters. Denn für Unternehmen ist ab diesem Zeitpunkt die organisatorische Eingliederung nicht mehr gegeben. Umstritten ist, ob sich die hier entwickelten Grundsätze auch auf ein Insolvenzverfahren in vorläufiger Eigenverwaltung übertragen lassen.
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Problemstellung
Zwischen der Klägerin und ihrer Muttergesellschaft bestand unbestritten eine umsatzsteuerliche Organschaft. Auf Eigenantrag wurde für beide Gesellschaften das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet und die vorläufige Eigenverwaltung angeordnet. Ein externer Rechtsanwalt wurde zum vorläufigen Sachverwalter bestimmt. Der Vollstreckungsschutz gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO wurde angeordnet. Aus Sicht der Klägerin waren mit Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens die Voraussetzungen für die umsatzsteuerliche Organschaft entfallen, und sie ermittelte ab diesem Zeitpunkt die Umsatzsteuer ohne Berücksichtigung der Organschaft.
Das Finanzamt vertrat dagegen die Auffassung, dass die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung eine umsatzsteuerliche Organschaft nicht beende. Die Muttergesellschaft sei trotz der Bestellung eines vorläufigen Sachverwalters in der Lage, Geschäftsführungsentscheidungen bei der Tochtergesellschaft durchzusetzen. Außerdem haben sich an der finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung der Tochtergesellschaft keine Änderungen ergeben. Folglich lehnte das Finanzamt den Antrag auf Steuerfestsetzung ab.
Lösung
Aus Sicht des Finanzgerichts (FG) Münster hat das Finanzamt zu Unrecht das Weiterbestehen der umsatzsteuerlichen Organschaft unterstellt. Zunächst betont das Finanzgericht, dass im Insolvenzrecht die Verfahren mehrerer Personen nicht zusammengefasst werden können. Jedes Unternehmen ist insolvenzrechtlich selbstständig zu betrachten; eine Konzerninsolvenz gibt es nicht.
Der BFH hat bereits klargestellt: Mit der Bestellung eines Insolvenzverwalters entfällt auf Ebene der Tochtergesellschaft die organisatorische Eingliederung in den Organträger. Gleiches gilt laut BFH bei Anordnung der Eigenverwaltung. Auch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann eine Organschaft gemäß BFH-Rechtsprechung entfallen, wenn ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt wurde.
Basierend auf dieser BFH-Rechtsprechung geht das FG Münster davon aus, dass auch die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung mit Bestellung eines vorläufigen Sachverwalters eine Organschaft beendet, wenn zugleich ein Vollstreckungsschutz (gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO) angeordnet wird. Durch den Vollstreckungsschutz kann die Organträgerin ihren aus der steuerlichen Organschaft resultierenden Ausgleichsanspruch gegenüber der Tochtergesellschaft nicht mehr durchsetzen. Würde die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft den Ausgleichsanspruch der Muttergesellschaft erfüllen wollen, so müsste dem der vorläufige Sachwalter wegen Verstoß gegen das Gebot der Sicherung der künftigen Masse widersprechen. Die organisatorische Eingliederung der Tochtergesellschaft ist damit in letzter Konsequenz entfallen, so dass die Voraussetzungen für eine Organschaft nicht mehr gegeben sind.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 11/2017
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