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NVwZ Editorial
  • 75 Jahre Grundgesetz

    Präsident des BVerfG Professor Dr. Stephan Harbarth, Karlsruhe

    10/2024

    Der 75. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 ist ein Anlass zur Freude. Das Grundgesetz mit der Garantie der Menschenwürde und den Grundrechten an seiner Spitze hat sich als einzigartiger Glücksfall in der Geschichte unseres Landes erwiesen. Es hat über das letzte Dreivierteljahrhundert einen klugen Ordnungsrahmen für unser Gemeinwesen etabliert und sich stets als eine zukunftsoffene Verfassung erwiesen. Dabei hat es sowohl die europäische Integration als auch die Deutsche Einheit ermöglicht und begleitet und so zu einer langanhaltenden Periode des Friedens und der wirtschaftlichen Prosperität beigetragen. Erst recht gemessen an der überlieferten Einschätzung Carlo Schmids, der Parlamentarische Rat habe lediglich einen „Bauriss für einen Notbau“ errichtet, steht das Haus des Grundgesetzes heute stabil.

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  • Klimaschutz durch den EGMR?

    Rechtsanwalt Professor Dr. Ludger Giesberts, LL.M.(LSE), Köln

    09/2024

    Das Urteil des EGMR vom 9.4.2024 (53600/20) schlägt hohe Wellen: „Historisches Urteil“, „Sensation von Straßburg“ und „Klimaschutz ist Menschenrecht“ sind nur einige Reaktionen. Worum geht es?

    Geklagt hat der Verein „Klimaseniorinnen Schweiz“ nebst vier Mitgliedern, die Schweiz zu verpflichten weitere Maßnahmen zur Einhaltung des 1,5° C zu ergreifen. Überraschenderweise hat nur der Verein, nicht aber die dem Verein angehörigen Mitglieder, obsiegt. Den Mitgliedern fehle der hier als Beschwerdebefugnis bezeichnete „Opferstatus“. Einen durch den Klimawandel bedingten kritischen Gesundheitszustand hätten die Mitglieder nicht nachweisen können. Die Klagen portugiesischer Jugendlicher und eines französischen Politikers scheiterten dagegen bereits an der Zulässigkeit. Bemerkenswerterweise spielte der Gesundheitszustand der Mitglieder hinsichtlich der Beschwerdebefugnis des sie vertretenden Vereins keine Rolle. Hier stand wohl – und dies ist zu kritisieren – das Ergebnis, dem Verein Klagerechte zu verleihen, im Vordergrund. Vereine seien nur beschwerdebefugt, weil sie die notwendigen organisatorischen und finanziellen Ressourcen besitzen, um in den komplexen klimabedingten Sachverhalten Rechtsstreitigkeiten führen zu können. Um zu verhindern, dass jeder Verein Klagen kann, müssen drei Anforderungen (rechtmäßiger Sitz, satzungsmäßiger Zweck: Klimaschutz; Repräsentativität) erfüllt sein. Eine Vorfrage war, ob im Ausland emittierte Emissionen, die bei der Produktion von Gütern anfallen, die durch die Schweiz importiert werden, der Schweiz als sogenannte „eingebettete Emissionen“ zuzurechnen seien. Der EGMR bejaht das. Sollte dieser Gedanke richtig sein, was durchaus zu bezweifeln ist, dürfte das erhebliche Auswirkungen haben. Es könnte eine Verantwortlichkeit von Staaten für Emissionen durch bloße Nachfrage nach Import-Produkten aus anderen Ländern durch die Bürger dieser Importstaaten begründet werden. In der weiteren Prüfung geht es vor allem um eine Verletzung von Art. 8 EMRK. Dieses Menschenrecht schützt ua das Privat- und Familienleben von Personen. Mangels gesonderter Regelungen zu Gunsten des Umweltschutzes in der EMRK (anders in der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG) statuiert der EGMR, weit über den Wortlaut des Art. 8 EMRK hinaus, die positive Pflicht zum Erlass von legislativen und administrativen Maßnahmen für einen effektiven Schutz von Gesundheit und Leben der Menschen. Statt auf eine normative Herleitung wird auf verfahrensökonomische, letztlich abstrakte rechtspolitische Erwägungen abgestellt. Auch hier dürfte das Ergebnis das Ziel der Auslegung gewesen sein. Der EGMR hält zudem zu staatlichen Schutzpflichten fest: Er differenziert zwei Ermessensebenen, nämlich Ebene 1 „Festlegung von Staatszielen“ und Ebene 2 die „Wahl der Mittel“. Der EGMR macht deutlich, dass beim „Ob“ von Staatszielen im Bereich des Klimaschutzes praktisch kein Ermessen verbleibt. Als Ziel wird dabei die Klimaneutralität bis 2050 gesetzt. Darin klingt an, was auch das BVerfG in seinem Klimabeschluss vom 24.3.2021 (NVwZ 2021, 951) schon anführt: Der Klimawandel sei für künftige Generationen unumkehrbar. Deshalb müsse jetzt gehandelt werden. Schließlich ist noch auf die von deutschen Gerichten bereits mehrfach aufgeworfene Frage einzugehen, ob und inwiefern ein Gericht „zuständig“ ist für von den hier adressierten Fragen des Klimaschutzes, die rechtlich nicht geregelt sind. Deutsche Gerichte haben bislang die klare Tendenz, die Legislative als das dafür kompetente Organ im Verfassungsstaat anzusehen. Gerichte seien dafür mangels normativer Maßgaben nicht die verfassungsrechtlich aufgerufenen Organe. 

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  • Das „OZG 2.0“ – Lost in federation

    Ltd. Städt. Direktor Dr. Florian Schröder, Einbeck

    8/2024

    Nachdem das „Gesetz zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes sowie weiterer Vorschriften zur Digitalisierung der Verwaltung (OZG-Änderungsgesetz)“ bzw. „OZG 2.0“ nach langer Vorbereitung und kritischer Fachdiskussion (s. etwa Schröder, ZRP 2022, 256 ff. und die Editoriale der NVwZ-Ausgaben 17/2022 und 3/2023) im Februar endlich vom Bundestag beschlossen wurde, hat es bei der jüngsten Sitzung des Bundesrats die Höchststrafe erlitten: Das zustimmungsbedürftige Gesetz erhielt weder die notwendige Mehrheit in der Länderkammer, noch wurde es in den Vermittlungsausschuss verwiesen. Damit liegt der Entwurf einstweilen im verfassungsrechtlichen Nirwana. Bundestag oder Bundesregierung können nunmehr den Vermittlungsausschuss anrufen, dass man dort in absehbarer Zeit zu einer vermittelnden Lösung zwischen Bund und Ländern kommen könnte, erscheint angesichts verhärteter Fronten allerdings recht optimistisch.

    Was sind die wesentlichen Streitpunkte

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  • Bau-Turbo oder Blame Game?

    Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Thomas Schröer, LL.M. (Illinois), Frankfurt a.M.

    7/2024

    Wie schön, dass es für die gebeutelte Bauwirtschaft bald eine Trendwende geben wird, denkt man beim Lesen der frohen Botschaft, dass jetzt der Bau-Turbo kommt. Hierzu soll die im Maßnahmenpaket des Wohngipfels vom September 2023 gemachte Ankündigung der Bundesregierung umgesetzt werden, eine befristete Sonderregelung in das BauGB aufzunehmen, um den Wohnungsbau in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten anzukurbeln. Nach dem Gesetzentwurf können dort künftig Gebäude mit mindestens sechs Wohneinheiten in allen Baugebieten zugelassen werden, „wenn die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist“. Der Vorschlag ist an die bestehende Sonderregelung für Flüchtlingsunterkünfte angelehnt (§ 246 XIV BauGB) und klingt bestechend einfach.

    Bei genauem Hinschauen zeigt sich indes, dass die Welt des Bauens doch nicht so banal ist, wie der Gesetzentwurf es suggeriert. Vielmehr ist absehbar, dass der angekündigte Bau-Turbo nicht funktionieren, sondern wohl eher als Rohrkrepierer enden wird. Die Gründe liegen auf der Hand, und man muss kein Stadtplaner sein, um das Offensichtliche zu erkennen:

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  • Es grünt so grün…

    Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Manuela Niehaus, Universität Speyer

    6/2024

    „Wann Bubatz legal?“ wurde Bundeskanzler Olaf Scholz im ARD-Sommerinterview 2022 gefragt. Der Fragesteller dürfte entsprechend erfreut auf den Beschluss des Bundestags zum Cannabisgesetz (CanG) reagiert haben. Ab dem 1. April sollen Besitz und Konsum von Cannabis teilweise erlaubt und damit die erste Säule der Legalisierung – der private und gemeinschaftliche, nicht-gewinnorientierte Eigenanbau – umgesetzt werden. Volljährige Privatpersonen dürfen dann 25 Gramm Cannabis mit sich führen, am eigenen Wohnort bis zu drei Cannabispflanzen anbauen und insgesamt 50 Gramm getrocknetes Cannabis aufbewahren. Die beabsichtigte zweite Säule sieht die Etablierung regionaler Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten vor.

    Mit dem CanG gesteht die Ampel ein, was Experten schon lange klar ist: die restriktive Drogenpolitik ist gescheitert. Cannabis ist das meistgehandelte Betäubungsmittel, sein Anteil an den Rauschgift-Handelsdelikten lag 2022 bei 60,2%. Die bisherigen Regelungen zur Straflosigkeit von Konsum, aber nicht Besitz der Droge und die bürokratischen Hürden, die mit der Erzeugung und dem Vertrieb von Medizinalcannabis einhergingen, haben nicht nur viele Kapazitäten gebunden, sondern ferner zu einem florierenden Schwarzmarkt beigetragen, auf dem auch verunreinigtes Cannabis gehandelt wird. Diesen Schwarzmarkt – und damit verbundene mögliche Gesundheitsgefahren gerade für junge Erwachsene – soll das CanG austrocken. Um Kinder und Jugendliche aber weiterhin zu schützen, sollen Präventionsangebote verstärkt und der Mindeststrafrahmen für die Abgabe der Droge an Minderjährige angehoben werden.

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  • Ein Rahmen für die Klimaanpassung

    Juniorprofessorin Dr. Jacqueline Lorenzen, Argelander-Professur für das Recht der Nachhaltigkeit und ökologischen Transformation, Universität Bonn

    5/2024

    Die Folgen des Klimawandels, wie zunehmende Hitzewellen, andauernde Trockenperioden und vermehrte Starkregenereignisse, sind mittlerweile auch in Deutschland immer deutlicher zu spüren und zeitigen erhebliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Während der Fokus der deutschen Klimapolitik und -gesetzgebung – insbesondere in Gestalt des BundesKlimaschutzgesetzes (KSG) – zunächst auf dem Klimaschutz lag, wird das Bewusstsein drängender, dass es im Umgang mit dem Klimawandel nicht allein um die Reduzierung von Treibhausgasemissionen, sondern ebenso darum gehen muss, sich auf die Folgen des Klimawandels einzustellen und die Resilienz von Gesellschaft, Wirtschaft und natürlichen Ökosystemen gegenüber Klimaveränderungen zu stärken. Dass der deutsche Staat zur Ergreifung von Anpassungsmaßnahmen sogar verfassungsrechtlich verpflichtet ist, um seinen grundrechtlichen Schutzpflichten zu genügen, machte das BVerfG (NVwZ 2021, 951) in seinem Klimabeschluss (2021) deutlich.

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  • Der Volker, der Andi und die Maut-Millionen

    Dr. Dr. Jörg Berwanger, Neunkirchen/Saar

    4/2024

    Der Berg kreißte – und gebar eine Maus. Nein, auch wenn es in den sog. sozialen Netzwerken teilweise in diese Richtung kommentiert wurde – aus Sicht des Autors wäre das gegenüber „dem Volker“ nicht so ganz fair.

    Doch der Reihe nach: Das gescheiterte CSU-Projekt des Versuchs der Einführung der PKW-Maut auf deutschen Autobahnen hatte in der öffentlichen Wahrnehmung längere Zeit seinen Dornröschenschlaf. Zwar sorgte der Sachverhalt schon 2019 für Aufsehen. Minister a.D. Andreas Scheuer, man nennt ihn zuweilen „den Andi“, hatte unnötiger Weise zwei großvolumige zivilrechtliche Mautverträge abgeschlossen. Dann aber war Ruhe im Karton – bis zum Jahr 2023. Der in einem Schiedsverfahren im Juli 2023 bekannt gewordene Vergleich, wonach vom Bund 243 Millionen Euro Schadensersatz zu zahlen waren, hatte einen Erweckungseffekt. Und – es trat „der Volker“ auf den Plan: Im Juli 2023 sah sich der amtierende Bundesverkehrsminister Wissing dazu aufgerufen, öffentlichkeitswirksam die externe Beauftragung der rechtlichen Überprüfung des Vorgehens seines Vorgängers kundzutun. Das 70seitige Rechtsgutachten einer Berliner Anwaltskanzlei liegt seit Ende Dezember 2023 vor. Es rät aus rechtlichen Gründen von einem Vorgehen gegenüber Scheuer ab. Aus Sicht des Autors ist das Gutachten so schlecht nicht. Andere sehen das anders.

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  • Der EU-Asylkompromiss – Mehr Schein als Sein?

    Professorin Dr. Gabriele Buchholtz, Universität Hamburg

    3/2024

    Viel zu lange sei die EU in der Migrationsfrage als Feuerwehrmann unterwegs gewesen, beklagte der für Migration zuständige EU-Kommissar Margaritis Schinas einst. Damit müsse Schluss sein. Effizienz, Einheit und Solidarität könne man nur mit einem Pakt für Asyl und Migration schaffen. Unter diesen Vorzeichen hat sich die EU am 20.12.2023 nach langem Ringen auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt. In Brüssel war die Begeisterung groß. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einer „gerechten und pragmatischen Vorgehensweise für ein gemeinsames Migrationsmanagement“.

    Das sehen aber nicht alle so. Menschenrechtsorganisationen sind empört. Der humanitäre Preis ist hoch. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen das Herzstück der Reformen, die schnelleren Asylverfahren an den EUAußengrenzen. Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat, etwa aus Tunesien oder Marokko, nach Europa kommt, soll ein schnelles bis zu 12-wöchiges Asylverfahren durchlaufen. Wird der Betroffene abgelehnt, soll er spätestens nach weiteren drei Monaten in ein Drittland abgeschoben werden. Während der Asylprüfung sind die Antragssteller in streng abgegrenzten Auffanglagern untergebracht. Diese Bedingungen gelten – mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger – auch für Frauen mit Kindern. Zu Recht mahnen kritische Stimmen die Wahrung der Kinderrechte an, normiert etwa in Art. 24 GRCh.

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  • Wahlrecht, Beschleunigungsgesetzgebung und Dienstrechtsänderung

    Rechtsanwalt Professor Dr. Achim Schunder und Rechtsanwalt Dr. Johannes Heuschmid

    1-2/2024

    Liebe Leserinnen, liebe Leser,

    der Start in ein neues Jahr gibt Anlass, einen kurzen Blick auf das Jahr 2023, vor allem im legislativen Bereich, zu werfen.

    Eines der bis heute umstrittensten Gesetzespakete ist die Wahlrechtsreform, die die NVwZ von Beginn an (Grzeszick, NVwZ 2023, 286) bis zum Ende (zuletzt Groß, NVwZ 2023, 1282) literarisch begleitet hat. Bereits im April 2021 hatte der Bundestag eine Kommission zur Reform des Bundeswahlrechts mit dem Ziel der Verkleinerung des Bundestags eingesetzt, die im Mai 2023 ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Die auch innerhalb des Gremiums nicht unumstrittenen Vorschläge hat der Gesetzgeber mit Änderungsgesetz vom Juni 2023 wie folgt in Gesetzesform gegossen: Die Grundmandatsklausel wurde abgeschafft und eine Deckelung der Zweitstimmen eingeführt. Die erwogene Änderung der Wahlkreiseinteilung wurde nicht umgesetzt (s. kritisch dazu Pernice-Warnke, NVwZ 2024, 31, in diesem Heft). Letztendlich wird, wie auch über die Reform des Jahres 2020, Karlsruhe über die Verfassungsmäßigkeit dieser Reform entscheiden müssen.

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  • Beschleunigung – aber wie?

    Rechtsanwalt Professor Dr. Wolfgang Ewer, Kiel

    24/2023

    Kein Zweifel – es ist 5 vor 12. Nur wenn es gelingt, die Klimawende unter Einsatz aller Handlungsmöglichkeiten nach vorn zu bringen, wird der Wettlauf gegen die Zeit zu gewinnen sein. Nur dann werden die natürlichen Lebensgrundlagen künftiger Generationen bewahrt und diesen die grundrechtlich gebotenen Freiheitsräume erhalten werden können. Daher ist eine umfassende Beschleunigung der Dekarbonisierung das Gebot der Stunde.

    Aber wie kann sie erfolgen? Weil die Umstellung auf eine umfassende CO2-Neutralität in großem Umfang Verfahren zur Planung und Zulassung von Anlagen erfordert, wird in der politischen Diskussion stets das Verfahrensrecht in den Mittelpunkt gestellt. Der unlängst von der MPK beschlossene „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung zwischen Bund und Ländern“ stellt ein aktuelles Beispiel dar. Aber hilft das wirklich weiter? Ich habe Zweifel. Erstens weist das geltende Verfahrensrecht schon jetzt viele Gestaltungsspielräume auf. Eines von vielen Beispielen ist die bereits bestehende Fakultativstellung des Erörterungstermins in nahezu allen wichtigen Fachgesetzen. Daher wird eine zusätzliche Regelung im VwVfG kaum Erleichterung bringen. Zweitens setzen das Unionsrecht und vor allem auch das Völkerrecht weiteren Einschränkungen der Öffentlichkeitsbeteiligung enge Grenzen. So enthält etwa die Aarhus-Konvention keine mit Art. 2 IV der UVP-RL vergleichbare Ausnahme. Vor allem aber hat die Dauer von Zulassungsverfahren und anschließenden Gerichtsverfahren ihre Ursache in erster Linie im materiellen Recht und den Unsicherheiten über die sich daraus ergebenden Anforderungen. So dass nicht selten bei der Zulassung im Zweifel lieber noch ein weiteres Gutachten eingeholt wird, was mitunter eine zusätzliche Vegetationsperiode kostet. Oder dass die Reise nach Leipzig sehr viel länger dauert als geplant, weil man wieder einmal einen Umweg über Luxemburg machen muss. Die FFH-RL stammt von 1992, aber Jahr für Jahr hat der EuGH Anlass, sich mit immer neuen Fragen der Auslegung ihrer Bestimmungen zum Habitat- oder Artenschutz zu befassen. Ähnliches gilt für die WR-RL und die UVP-RL.
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  • Mindestbeförderungsentgelte für Mietwagen durch Allgemeinverfügung?

    Professor Dr. Stefan Korte und Ass. Iur. Nina Kunzi, Speyer

    23/2023

    Die Welt der Mobilität befindet sich im Wandel. Traditionelle Personenbeförderungsdienste, wie die des Taxigewerbes, geraten immer mehr in Wettbewerb mit internetgestützt agierenden Mietwagenbetreibern. Namentlich der amerikanische Branchenprimus Uber ist mittlerweile in 16 deutschen Städten „unterwegs“ und operiert bisweilen mit deutlich niedrigeren Preisen, was nicht unerhebliche Auswirkungen auf den öffentlichen Personenverkehr als Teil der Daseinsvorsorge hat, etwa weil ein Rosinenpicken droht und die Beförderungsquote in der Fläche leidet. Naht infolgedessen sogar das Ende des ÖPNV in Deutschland? Mag diese Befürchtung auch dystopisch anmuten, traten einige deutsche Städte zwischenzeitlich doch auf die Bremse und ergriffen Maßnahmen auf Basis des § 51a I PBefG. So hat etwa der Landkreis Lörrach ein Mindestbeförderungsentgelt für den Verkehr mit Mietwagen per Allgemeinverfügung festgesetzt. Die Stadt Heidelberg will im nächsten Jahr ähnlich vorgehen.

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  • Drei Punkte für schnelleres Bauen und bezahlbaren Wohnraum

    Rechtsanwalt Dr. Mathias Hellriegel, LL.M., Berlin

    22/2023

    Jeder in Deutschland spürt die große Wohnungsnot. Bis 2025 werden bis zu 700.000 Wohnungen fehlen, dabei verschärft sich die Wohnungskrise mit der Zuwanderung weiter. Dazu kommen der plötzliche Zinsanstieg und die Explosion der Baupreise. Doch ist das Neubauziel damit hinfällig? Mitnichten, haben wir doch noch in den 1970er Jahren jährlich genau diese Anzahl an Wohnungen bauen können, übrigens trotz Ölpreiskrise und einem wesentlich höheren Zinsniveau. Seit der letzten Bundestagswahl 2021 haben wir nun endlich wieder ein Bundesbauministerium. Aber kann der Bund überhaupt den Knoten durchschlagen? Außer politischen Willensbekundungen und Maßnahmenpaketen ist bislang wenig passiert. Immerhin eine große Novelle des Baugesetzbuchs ist für den Herbst angekündigt und soll neue Impulse für den Wohnungsbau setzen. Reicht das aus?

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  • Klimaschutzprogramm 2023 – Durchgefallen beim Expertenrat!

    Professorin Dr. Sabine Schlacke, Greifswald

    21/2023

    Von welch elementarer Bedeutung unabhängiger Sachverstand in der Klimapolitik ist, zeigt einmal mehr die Stellungnahme des Expertenrats für Klimafragen vom 22.8.2023, mit der er seiner gesetzlichen Verpflichtung aus § 12 III Nr. 3 KSG nachkommt. Ihr Gegenstand ist der am 13.6.2023 von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf des Klimaschutzprogramms 2023. Die Novellierung des erstmals 2019 vorgelegten Klimaschutzprogramms ist gem. § 9 I 1 KSG iVm § 8 II KSG erforderlich, da die Sektoren Gebäude und Verkehr im Jahr 2021 und 2022 ihre jeweils zulässigen Jahresemissionsmengen überschritten haben. Zusätzlich wäre auch die Vorlage eines Sofortprogramms der jeweils für die Sektoren verantwortlichen Ministerien erforderlich gewesen (vgl. § 8 I KSG), um die Einhaltung der sektoralen Jahresemissionsmengen für die folgenden Jahre sicherzustellen. Allerdings legten weder das Bau- noch das Verkehrsministerium letztlich ein solches vor. Stattdessen soll diese Verpflichtung laut Erklärung der Bundesregierung nun mit den im vorgelegten Klimaschutzprogramm enthaltenen Maßnahmen – u.a. dem Änderungsvorschlag des Gebäudeenergiegesetzes, dem Entwurf des Wärmeplanungsgesetzes oder der Einführung des 49-Euro-Tickets – abgegolten sein. Die Bewertung des vorgelegten Klimaschutzprogramms durch den Expertenrat fällt ernüchternd aus: Zunächst fehlt es für eine valide Beurteilung an einer aktuellen und plausiblen Datengrundlage. Darüber hinaus verbleibt nach Abschätzung des Expertenrats selbst bei konsequenter Umsetzung des Programms eine gravierende Lücke zwischen dem erwartbarem CO2-Äq-Minderungswert und den nach dem KSG bis 2030 zu erreichenden nationalen Klimaschutzzielen. Überdies werde Deutschland auch die in der EU-Klimaschutzverordnung 2018/812 (=Effort-Sharing-Mechanismus) verankerten Reduktionsziele verfehlen und damit gegen Unionsrecht verstoßen. Die Reaktion der Bundesregierung hierauf ist: Sie überführt die Einzelmaßnahmen des Klimaschutzprogrammentwurfs (zB GEG-Entwurf) weitgehend unverändert in das jeweilige Gesetzgebungsverfahren. Die mangelnde Datengrundlage soll durch die Zweite Änderung des Bundes-KSG (BT-Drs. 20/8290) adressiert werden: Ein neuer § 5a KSG-E sieht die Erstellung von Projektionsdaten durch das Umweltbundesamt vor. Die Pflicht zur Vorlage von Sofortprogrammen der verantwortlichen Ministerien bei sektoralen Zielverfehlungen und damit der zentrale Nachsteuerungsmechanismus des KSG 2019 wird abgeschafft. Allerdings sollen die zuständigen Bundesministerien innerhalb von drei Monaten nach der Vorlage der Bewertung der Projektionsdaten durch den Expertenrat Vorschläge für Maßnahmen in den jeweiligen ihrer Verantwortlichkeit unterfallenden Sektoren vorlegen (§ 8 II KSG-E). Eine Sanktionierung der Verfehlung von Sektorzielen für Gebäude und Verkehr kann – nach wie vor – lediglich auf EU-Ebene in Form eines von Vertragsverletzungsverfahren und ggf. Strafzahlungen erfolgen.

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  • Upcycling statt Abriss!

    Rechtsanwalt Dr. Thomas Schröer, LL.M. (Illinois), Frankfurt am Main

    20/2023

    Down Under ist ganz oben. Jedenfalls wenn es um das Weiterbauen im Bestand geht. Während in Deutschland Altbauten meist abgerissen werden, um Platz für Neubauten zu schaffen, haben die Australier bei einem Hochhausprojekt gezeigt, wie man einen vorhandenen Altbestand zu einer neuen Architekturikone aufwertet. Es geht um den 206 m hohen Turm „Quay Quarter Tower“ in Sydney, der den Internationalen Hochhaus Preis 2022/23 gewonnen hat. Das Projekt setzt Maßstäbe bei der Nachhaltigkeit, denn der Vorgängerbau – ein Hochhaus aus den 1970er Jahren – blieb erhalten und wurde zu zwei Dritteln in den Neubau integriert. Das Ergebnis überzeugt: Die Nutzfläche wurde verdoppelt und das Gebäude erscheint insgesamt als Neubau.

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  • Gute Verwaltung braucht gute Daten!

    Professorin Dr. Margrit Seckelmann, M. A., Universität Hannover

    19/2023

    Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer hat sich für ihre 82. Jahrestagung unter anderem die Themen „Historische Konstanten und neue Impulse in der Entwicklung des verfassungsrechtlichen Verständnisses von „guter Verwaltung“ und „Information als Voraussetzung des Verwaltungshandelns“ zum Thema gesetzt. Die Verwaltung sowie die Maßstäbe und Ressourcen des Verwaltungshandelns haben es verdient, dass man sich so prominent damit beschäftigt. Und beides hängt auch eng miteinander zusammen. Denn Informationen sind nicht nur Voraussetzung des Verwaltungshandelns, sondern auch ihr Gegenstand und oftmals auch ihr Produkt.

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  • Schwäbischer Erfindungsgeist

    Professor (Yeditepe Univ. Istanbul) Dr. Rolf Gutmann, Schorndorf

    18/2023

    Editorial 18-2023Aus Tübingen erreichen uns viele Vorstellungen von modernem Stadtmanagement. Die grundsätzliche Bestätigung der Verpackungssteuer als örtlicher Verbrauchsteuer ist ein großer Schritt zum Ziel der Abfallvermeidung hin. Kassiert allerdings hat das BVerwG (NVwZ 2023, 1406, in diesem Heft) die Tübinger Satzung in zwei Punkten: die Obergrenze von € 1,50 pro Mahlzeit sei unbestimmt. Die Steuer darf also auch höher sein. Kassiert wurde weiter das in § 8 der Satzung vorgesehene Recht, jederzeit Geschäftsräume zu betreten. Eine entsprechende Befugnis widerspricht nämlich Art. 8 EMRK (EGMR NJW 2010, 2109) und den durch Art. 13 GG gesetzten Schranken (BVerfG NJW 1997, 2163). Die Satzung überschritt deshalb den Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen.

    Doch kommen Grenzüberschreitungen zur Erlangung legitimer Ziele in Tübingen öfter vor. So geriet OB Boris Palmer in die öffentliche Kritik, nachdem er eine nächtliche Auseinandersetzung mit einem Studenten durch ein Bußgeldverfahren abschließen wollte.

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  • Keine Panik − KI ist auch nur ein Mensch!

    Institut für Staatsrecht der Universität zu Köln, Mitglied des Deutschen Ethikrats Professor Dr. Stephan Rixen

    17/2023

    Es ist wie immer in der Technikgeschichte. Sobald eine Innovation auftaucht, folgt ein Wettrennen zwischen den üblichen Verdächtigen: hier die, die alles gesundbeten, wenn es nur unwiderstehlich neu erscheint, dort die anderen, die ihrem Hang zu moralisierendem Kulturpessimismus freien Lauf lassen. Das war bei der Dampfmaschine nicht anders als beim Internet. Dampfmaschinen sind nicht immer, aber oft genug explodiert, und das Internet hat nicht, wie zu Beginn der 2000er Jahre gerne geglaubt, zu mehr demokratischer Partizipation geführt, sondern zu information overload und zur rasanten Verbreitung von digital verpacktem Unrat, von den vielen positiven Effekten abgesehen, die die Kommunikation erleichtert haben. Wie immer kommt es zwischen Vorund Nachteilen auf eines an: Differenzierung. Das gilt auch für artificial intelligence (AI), die künstliche Intelligenz (KI).

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  • Die Mittlerfunktion der Landräte

    Professor Dr. Hans-Günter Henneke, Gf. Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistags Berlin/Osnabrück

    16/2023

    Foto vom Autor Editorial 16-2023 HenneckeDie Begleitung der Landratsstichwahl im Landkreis Sonneberg mit einer beachtlichen Wahlbeteiligung von 59,6% durch Medien und Politik war gigantisch. Das Nichtwissen, wer dort für welche Aufgaben in welches Amt gewählt wurde, ebenfalls. Medienvertreter und Bundespolitiker blickten nicht vorrangig auf den Landkreis, sondern auf die vermeintlichen Fernwirken auf die Landtage in Erfurt, Dresden und Potsdam und den Bundestag. Sie sahen Dämme brechen und Brandmauern einstürzen. Obwohl alle Beteiligten vor der Stichwahl genug Zeit hatten, sich mit der Situation vor Ort vertraut zu machen, sah der Generalsekretär einer großen Volkspartei die zentrale Aufgabe eines Landrates in der Organisation von Abstimmungen über Fußgängerüberwege zur Feuerwache. Und eine als Außenreporterin bei zahlreichen Bundestagsund Landtagswahlsendungen gestählte Moderatorin im öffentlich-rechtlichen Qualitätsfernsehen hob die repräsentative Rolle eines Landrats hervor, „zum Beispiel bei Feuerwehrfesten und Einweihungsfeiern.“

    Dem mit deutlicher Mehrheit gewählten Kandidaten, von dem man nur weiß, dass er ortsansässiger Rechtsanwalt ist und für eine vom Verfassungsschutz beobachtete Partei seit 2019 im Landtag sitzt und dort Mitglied des Richter- und Staatsanwalts- Wahlausschusses ist, wurde von allen Seiten vorgeworfen, seinen Wahlkampf mit nicht landkreisrelevanten allgemeinpolitischen Themen geführt zu haben – und die Medien, wie die sich vielstimmig äußernden Politiker, taten es ihm alle nach.

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  • „Heizungsgesetz“ – Mutiges Stoppsignal aus Karlsruhe

    Professor Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis, Berlin

    15/2023

    „Jetzt ist mal Ruhe hier“! Der Ordnungsruf der Präsidentin des Bundestags, erteilt in der letzten Plenarsitzung vor der Sommerpause kann auch als Label der Entscheidung des Zweiten Senats des BVerfG vom 5.7.2023 (2 BvE 4/23, BeckRS 2023, 16072 = NVwZ 2023 im nächsten Heft) dienen. Mit 5 zu 2 Stimmen gab der Senat im einstweiligen Verfahren dem Antrag von Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann statt, die 2. und 3. Lesung des „Heizungsgesetzes“ (GEG-ÄnderungsG) vorläufig zu untersagen, solange nicht allen Abgeordneten die wesentlichen Textpassagen des maßgeblichen Gesetzesentwurfs mindestens 14 Tage vorher schriftlich zugegangen sind. Das BVerfG verpflichtete den Bundestag die 2. und 3. Lesung nicht innerhalb der laufenden Sitzungswoche (27. Kalenderwoche) durchzuführen.

    Der Abgeordnete Heilmann war alleiniger Antragssteller. Lediglich 11 Abgeordnete sind dem Antrag beigetreten. Nach der als Ausfluss der Geschäftsordnungsautonomie als autonomes Parlamentsrecht geltenden GO-BT wird der einzelne Abgeordnete als Teil des Verfassungsorgans deutscher Bundestag eingebunden in Gruppenrechte in der Gesetzgebung tätig, abgesehen vom Antragsrecht nach Art. 82 I 2 GG. Zudem bestimmt Art. 42 II GG, dass über Prioritäten und Ablauf der Gesetzesberatung der Bundestag mit Mehrheit entscheidet. 

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  • Von außen nach innen – das geplante Onlinezugangsgesetz 2.0

    Professor Dr. Johannes Eichenhofer, Leipzig

    14/2023

    Die Unterscheidung von außen und innen ist nicht nur im Recht fundamental (man denke an das Außen- und Innenverhältnis oder das Außen- und Innenrecht), sondern auch in der Informatik. Hier spricht man allerdings nicht von „Outer-“ und „Inner-“, sondern von „Front-“ und „Backend“. Ersteres beschreibt die den Nutzerinnen zugängliche Benutzeroberfläche (in Gestalt von Websites oder Software wie „Windows“ oder „MacOS“), letzteres die für die Nutzerinnen unzugängliche Technik hinter der Oberfläche (in Gestalt von Quellcode oder Hardware). 

    Als im Jahre 2017 das Onlinezugangsgesetz (OZG) in Kraft trat, mit dem die Verwaltung von Bund, Ländern und Gemeinden verpflichtet wurden, bis zum 31.12.2022 sämtliche Verwaltungsleistungen auch online anzubieten, konzentrierte sich die Entwicklung vor allem auf das Frontend, dh die Benutzeroberfläche, anhand derer die Bürgerinnen digitalen Zugang zur Verwaltung erhalten sollten – ein für ein Onlinezugangsgesetz intuitiv einleuchtender Ansatz. Dass das vom OZG gesteckte Ziel gleichwohl krachend verfehlt wurde, ist allgemein bekannt. Als ursächlich für das Scheitern gilt inzwischen vor allem das Fehlen notwendiger Schnittstellen im Backend, dh der hinter der Oberfläche liegenden Infrastruktur.

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