Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Thomas Schröer, LL.M. (Illinois), Frankfurt a. M.
19/2024
Zu den über Jahre mit viel Herzblut und Liebe zum Detail zelebrierten Auseinandersetzungen zählt die Frage, ob das System der TA Lärm mit dem Abstellen auf Außenlärmpegel in verdichteten Großstadtlagen noch zeitgemäß ist oder ob besser auf Innenpegel umgestellt werden sollte. Während die „Umweltseite“ auf der Beibehaltung des Status Quo beharrt, wird von der „Bauseite“ eine Umstellung auf Innenpegel gefordert. Ursache des Streits ist, dass das BVerwG für den typischen Konfliktfall der an emittierendes Gewerbe heranrückenden Wohnbebauung bereits 2012 passiven Schallschutz als „Problemlöser“ für die bestehende TA Lärm verworfen hatte (BVerwGE 145, 145 = NVwZ 2013, 372 mAnm Dolde NVwZ 2013, 375).
Seither gab es mehrere erfolglose Versuche, den gordischen Knoten durch eine in die TA Lärm aufzunehmende „Experimentierklausel“ zu durchschlagen. Unter dem 24.5.2024 hat das Bundesumweltministerium einen Referentenentwurf zur Änderung der TA Lärm vorgelegt. Kernstück der Novelle ist eine solche Klausel, die als Nr. 7.5 in die TA Lärm aufgenommen werden soll. Darin sind für neue Wohnbauvorhaben in urbanen Gebieten, in Kern- und Mischgebieten sowie in allgemeinen Wohngebieten, die an gewerblich oder industriell genutzte Gebiete heranrücken, nachts erhöhte Immissionsrichtwerte vorgesehen, sofern die Kommune hierzu Bauleitplanung betreibt und folgende Anforderungen erfüllt: Der Bebauungsplan muss der Innenentwicklung dienen und Festsetzungen zu bestimmten Fensterkonstruktionen treffen. In dem Plan müssen tagsüber lärmgeschützte Außenwohnbereiche ausgewiesen werden. In der Abwägung sind vorrangig aktive Maßnahmen des Lärmschutzes zu berücksichtigen. Die Klausel soll für Bebauungspläne gelten, deren Satzungsbeschluss bis zum 31.12.2032 erfolgt.
Formell hat die Bundesregierung allerdings in die falsche Schublade gegriffen. Regelungen zur Lösung des Zielkonflikts zwischen Lärmschutz und heranrückender Wohnbebauung gehören in das Städtebaurecht (BauGB, BauNVO). Die Lösung über Bauleitplanung ist im Kern städtebaulicher Art und beinhaltet nur am Rande schalltechnische Vorgaben. Die TA Lärm ist hierfür das falsche Regelwerk, weil sie für Vorhaben des Wohnungsbaus nach dem Urteil des 4. Senats nur „spiegelbildlich“ herangezogen wird (Schröer/Kohnen, Das geöffnete Fenster wird zum Fluch, FAZ v. 5.7.2024, 23; vgl. Dolde NVwZ 2024, 1141).
Inhaltlich ist zu begrüßen, dass der gewählte Ansatz eine planerische Konfliktlösung vorsieht. Die Regelung ist aber nicht der „große Wurf“, der notwendig gewesen wäre: Die Klausel regelt nur einen von zahlreichen Lebenssachverhalten, die Lärmkonflikte in Gemengelagen auslösen. Erfasst wird nur der Fall, dass die Kommune innerhalb bestimmter Gebiete Bauleitplanung mit dem Ziel betreibt, Wohnhäuser an bestehendes Gewerbe heranzurücken. In der Praxis gibt es aber zahlreiche andere relevante Fallkonstellationen, wie z.B. den „umgekehrten Fall“ des Heranrückens von emittierendem Gewerbe an Wohngebäude oder das Aufeinandertreffen von Wohnen und Gewerbe im unbeplanten Innen- oder Außenbereich. Hierzu regelt die Experimentierklausel nichts. Insoweit ist der Normgeber trotz des (viel zu) langen Anlaufs am Ende doch zu kurz gesprungen.