chb_rsw_logo_mit_welle_trans
Banner Jubiläumslogo
NVwZ Editorial

75 Jahre Grundgesetz

Präsident des BVerfG Professor Dr. Stephan Harbarth, Karlsruhe

10/2024

Der 75. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 ist ein Anlass zur Freude. Das Grundgesetz mit der Garantie der Menschenwürde und den Grundrechten an seiner Spitze hat sich als einzigartiger Glücksfall in der Geschichte unseres Landes erwiesen. Es hat über das letzte Dreivierteljahrhundert einen klugen Ordnungsrahmen für unser Gemeinwesen etabliert und sich stets als eine zukunftsoffene Verfassung erwiesen. Dabei hat es sowohl die europäische Integration als auch die Deutsche Einheit ermöglicht und begleitet und so zu einer langanhaltenden Periode des Friedens und der wirtschaftlichen Prosperität beigetragen. Erst recht gemessen an der überlieferten Einschätzung Carlo Schmids, der Parlamentarische Rat habe lediglich einen „Bauriss für einen Notbau“ errichtet, steht das Haus des Grundgesetzes heute stabil.

Im Schatten des 75. Jahrestags der Verkündung des Grundgesetzes verbirgt sich ein weiteres, ideengeschichtlich nicht minder bedeutsames Verfassungsjubiläum: der 175. Jahrestag der Verkündung der Paulskirchenverfassung am 28. März 1849. Auch wenn diese deutsche „Urverfassung“ am Ende eine Verfassung ohne Staat blieb, sind damals bereits diejenigen Prinzipien formuliert worden, die heute die Grundlagen unserer Verfassungsordnung bilden: der Schutz des Individuums durch Grundrechte, das Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit einer unabhängigen Justiz, nicht zuletzt unsere föderale Ordnung, die verschiedene Regionen in Vielfalt zu einem freien Gemeinwesen vereinigt. In der mit vorzeigbaren Verfassungsjubiläen nicht überreich ausgestatteten Freiheitsgeschichte unseres Landes ragen beide Ereignisse – obgleich durch ein ganzes Jahrhundert voneinander getrennt – als strahlende Leuchttürme heraus.

Beide Verfassungsjubiläen fallen in eine Zeit, in der das innen- und außenpolitische Klima spürbar rauer geworden ist. So sind sie nicht allein ein Grund zur Freude, sondern auch ein Anlass zur kritischen Selbstvergewisserung. Der Weg der Deutschen von der Verfassung der Paulskirche zur freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes und schließlich zur Deutschen Einheit in einem in Frieden vereinten Europa war keine lineare Erfolgsgeschichte einer sich kontinuierlich entfaltenden Idee. Im Gegenteil: Dieser Weg war voller Umwege, Irrwege und auch schrecklicher Abwege. Manche Etappe ging dabei auf bittere Weise verloren. Wer sich dies bewusst macht, der erkennt, dass Freiheit dem Menschen zwar angeboren ist, in der Natur des Menschseins und der hiermit verbundenen Würde selbst begründet liegt, es sich aber um kein unangreifbares naturwissenschaftliches Gesetz handelt. Und wer sich dies bewusst macht, der läuft weniger Gefahr, die Achtung der Freiheit des Menschen als selbstverständlich, als künftig ungefährdet, als im unaufhaltsamen Siegeszug befindlich zu begreifen, selbst dann, wenn er zu einer Generation gehört, der – jedenfalls im Westen unseres Landes – das historische Glück zuteil wurde, niemals in Unfreiheit gelebt zu haben.

Aus dieser Erkenntnis erwächst ein Auftrag: Auch die beste Verfassung kann auf Dauer keinen Erfolg haben, wenn sie keine Menschen antrifft, die sich leidenschaftlich für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit engagieren. Möge das Grundgesetz sich auch künftig von einer solchen Bürgerschaft getragen wissen.

Präsident des BVerfG Professor Dr. Stephan Harbarth, Karlsruhe

Anzeigen:

NvWZ Werbebanner
VerwaltungsR PLUS Werbebanner

BECK Stellenmarkt

Teilen:

Menü