Professorin Dr. Gabriele Buchholtz, Universität Hamburg
3/2024
Viel zu lange sei die EU in der Migrationsfrage als Feuerwehrmann unterwegs gewesen,
beklagte der für Migration zuständige EU-Kommissar Margaritis Schinas einst. Damit
müsse Schluss sein. Effizienz, Einheit und Solidarität könne man nur mit einem Pakt für
Asyl und Migration schaffen. Unter diesen Vorzeichen hat sich die EU am 20.12.2023
nach langem Ringen auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
(GEAS) geeinigt. In Brüssel war die Begeisterung groß. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einer „gerechten und pragmatischen Vorgehensweise für ein gemeinsames Migrationsmanagement“.
Das sehen aber nicht alle so. Menschenrechtsorganisationen sind empört.
Der humanitäre Preis ist hoch. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen
das Herzstück der Reformen, die schnelleren Asylverfahren an den EUAußengrenzen. Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat, etwa aus Tunesien
oder Marokko, nach Europa kommt, soll ein schnelles bis zu 12-wöchiges
Asylverfahren durchlaufen. Wird der Betroffene abgelehnt, soll er spätestens nach weiteren drei Monaten in ein Drittland abgeschoben werden.
Während der Asylprüfung sind die Antragssteller in streng abgegrenzten Auffanglagern
untergebracht. Diese Bedingungen gelten – mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger –
auch für Frauen mit Kindern. Zu Recht mahnen kritische Stimmen die Wahrung der
Kinderrechte an, normiert etwa in Art. 24 GRCh.
Auch in tatsächlicher Hinsicht ist fraglich, ob die Reform die Migrationsdebatte befrieden kann. Vom beschleunigten Asylverfahren werden zunächst nur 30.000 Antragsteller
erfasst, nach vier Jahren soll es dann 120.000 Plätze geben. Nach Angaben der Bundesregierung wären jedoch allein im Jahr 2022 423.260 Menschen unter das schnellere Verfahren gefallen. Wer keinen Platz in einem der Auffanglager erhält, soll direkt in die EU
weiterreisen dürfen und wie bisher einen Asylantrag stellen können. Zudem dürfte die
konkrete Umsetzung des Schnellverfahrens weitere Hürden offenbaren.
Ein weiterer Knackpunkt der Reform ist die Solidarität unter den EU-Staaten. Künftig
soll ein Umverteilungsmechanismus zu Gunsten der überlasteten Staaten greifen. Bis zu
30.000 Menschen sollen verpflichtend umverteilt werden. Wer keine Menschen aufnimmt, hat eine Strafgebühr von 20.000 Euro pro abgelehnte Person zu zahlen. Zu Recht
wird daher befürchtet, dass sich viele Staaten von ihrer Solidaritätsverpflichtung freikaufen werden. Die Solidarität wird damit zum bloßen Lippenbekenntnis.
Klar ist, die Reform ist ein Kompromiss. Ein Handeln war nötig, um europaweit Handlungsfähigkeit in der Migrationsfrage zu signalisieren und dem erstarkenden Rechtspopulismus entgegenzutreten. Die vorläufige Bilanz ist jedoch ernüchternd: Menschenrechtlich ist die Reform bedenklich, die Effekte der sehr begrenzten Anwendung sind zudem
gering. Die eine Lösungen kann es allerdings nicht geben. Wir brauchen ein Maßnahmenpaket, bestehend aus nationalen und EU-Initiativen. Abkommen mit Drittstaaten können
dabei ein wichtiger Baustein sein, um die Lage in den Herkunftsländern zu verbessern
und reguläre Einwanderungswege zu schaffen. Dafür braucht es allerdings einen langen
Atem und stets ein waches Auge für die Wahrung der Menschenrechte
Professorin Dr. Gabriele Buchholtz, Universität Hamburg