JProf. Dr. Jacqueline Lorenzen, Argelander-Professur für das Recht der Nachhaltigkeit und ökologischen Transformation, Universität Bonn
14/2024
Trotz der Kenntnis um die Bedeutung gesunder Ökosysteme bietet ihr tatsächlicher
Zustand Grund zur Sorge. Laut einem Bericht der Europäischen Umweltagentur aus dem
Jahr 2020 befinden sich in Europa lediglich 23% der geschützten Tier- und Pflanzenarten
und 16% der Lebensraumtypen in einem befriedigenden Erhaltungszustand,
womit die EU ihre eigenen Biodiversitätsziele verfehlt hat. Dies soll sich in
Zukunft ändern, wozu nicht nur die im Rahmen des European Green Deal
ausgearbeitete EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, sondern allen voran
die im Sommer 2022 von der Europäischen Kommission vorgeschlagene
Verordnung über die Wiederherstellung der Natur (das sog. „Nature Restoration Law“) beitragen soll. Nach langen und zähen Verhandlungen drohte
die Verordnung trotz einer Ende 2023 im Trilog-Verfahren erzielten Einigung zu scheitern. Aufgrund der – in Art und Weise durchaus überraschenden – Zustimmung Österreichs passierte der Rechtsakt im Juni 2024 dann
aber schließlich doch noch den Rat.
Die Verordnung bezweckt mittels eines holistischen Ansatzes in erster Linie die langfristige und nachhaltige Erholung und (Wieder-)Herstellung biodiverser und widerstandsfähiger Ökosysteme in den Land- und Meeresflächen der Mitgliedstaaten. Dieses übergreifende Ziel wird mit verbindlichen Sanierungszielen für ein breites Spektrum
terrestrischer und aquatischer Ökosysteme kombiniert. Die Wiederherstellungsmaßnahmen der
Mitgliedstaaten sollen sich bis zum Jahr 2030 auf mindestens 20% der von der Verordnung erfassten Land- und Meeresgebiete der Union erstrecken. Bis zum Zieljahr 2050
sind sogar sämtliche wiederherstellungsbedürftigen Ökosysteme zu erfassen. Konkret
adressiert die Verordnung – als Weiterentwicklung und Ergänzung des bisher lückenhaften Europäischen Naturschutzrechts – Land-, Küsten-, Süßwasser- und Meeresökosysteme, die sich an den natürlichen Lebensraumtypen der FFH-Richtlinie orientieren,
ebenso wie städtische, landwirtschaftliche und Waldökosysteme. Gleichzeitig werden
Wiederherstellungsziele zur natürlichen Vernetzung von Flüssen verankert. Zudem wird
den Mitgliedstaaten aufgegeben, den Rückgang von Bestäuberpopulationen aufzuhalten
und langfristig sogar für ein Anwachsen der Populationen zu sorgen. Mit aufgenommen
wurde schließlich das europaweite Ziel der Pflanzung von mindestens drei Milliarden
Bäumen bis 2030, zu dem die Mitgliedstaaten beitragen sollen.
Darüber hinaus verankert die Verordnung ein Governance-System, das die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, innerhalb der nächsten zwei Jahre nationale Wiederherstellungspläne zu erarbeiten, in denen die wiederherzustellenden Gebiete zu quantifizieren und die
zur Zielerreichung geplanten Wiederherstellungsmaßnahmen darzulegen sind. Daneben
sollen auch regelmäßige Überprüfungs-, Monitoring-, und Berichterstattungspflichten
seitens der Mitgliedstaaten dazu beitragen, die Umsetzung geeigneter Maßnahmen sowie
die langfristige Erreichung der Wiederherstellungsziele zu gewährleisten.
Für die Mitgliedstaaten bedeuten die europäischen Wiederherstellungsziele zwar einen
nicht unerheblichen rechtlichen und auch finanziellen Umsetzungsbedarf. Aus Sicht der
Natur in Europa stellen die verbindlichen Zielbestimmungen in Zeiten der anhaltenden
Biodiversitätskrise jedoch gute Neuigkeiten dar.
JProf. Dr. Jacqueline Lorenzen, Argelander-Professur für das Recht der
Nachhaltigkeit und ökologischen Transformation, Universität Bonn