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Werthaltigkeitsbeurteilung von aktiven latenten Steuern

Prof. Dr. Christian Zwirner und Anna Günther

Praxisfragen zur Prüfung der Werthaltigkeit aktiver latenter Steuern nach IAS 12

 

Die Beurteilung der Werthaltigkeit aktiver latenter Steuern gehört im Bereich der Bilanzierung seit jeher zu den Themen mit höchster praktischer Relevanz. Da die Bilanzierung aktiver latenter Steuern häufig mit Ermessensentscheidungen und Schätzunsicherheiten verbunden ist, erfordern ihr Ansatz sowie die Herleitung und Konsistenz (Widerspruchsfreiheit) der Datengrundlagen daher ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und eine fundierte fachliche Beurteilung. Die Kriterien und Rahmenbedingungen für die Werthaltigkeit aktiver latenter Steuern gemäß IAS/IFRS werden nachfolgend dargestellt.


 


 

Praxis-Info!

Eine ordnungsgemäße Aktivierung latenter Steuern verbessert die Darstellung der Vermögens- und Ertragslage des bilanzierenden Unternehmens. Die Entscheidung über die Aktivierung oder Nicht-Aktivierung kann jedoch mit zukunftsgerichteten Aussagen über die Zukunftsaussichten ganzer Unternehmensbereiche verbunden sein, weshalb diesem Themenbereich eine hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.

Die Bilanzierung aktiver latenter Steuern geht auf das dem IAS 12 zugrunde liegende Temporary-Konzept zurück (handelsrechtliche Buchwerte von Vermögensgegenständen, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten sind ihren steuerlichen Wertansätze gegenüberzustellen) und basiert auf dem Prinzip der steuerneutralen Buchwertrealisation. Demnach ist die Bilanzierung latenter Steuern erforderlich, wenn die Realisierung eines Vermögenswerts oder die Erfüllung einer Schuld – bei einem angenommenen Realisationserlös bzw. Erfüllungsbetrag in Höhe des IFRS-Buchwerts – zu einer Erhöhung oder Verminderung der zukünftigen Ertragsteuerzahlungen des Unternehmens führen wird. Diese Betrachtungsweise beruht auf dem Gedanken, dass Vermögenswerte und Schulden im IFRS-Abschluss als Gegenwerte zukünftiger Ein- und Auszahlungen zu interpretieren sind. Im Ergebnis sollen die steuerlichen Be- und Entlastungen, die mit der Vereinnahmung dieser Gegenwerte verbunden sind, ebenso wie die zugrunde liegenden Vermögenswerte selbst im Abschluss berücksichtigt werden.

IAS 12.24 stellt die zentrale Ansatzvorschrift für latente Steueransprüche dar. Die Regelung sieht mit wenigen Ausnahmen ein grundsätzliches Aktivierungsgebot vor, wenn eine abzugsfähige temporäre Differenz vorliegt. Dabei sind jedoch Wahrscheinlichkeitsanforderungen an ihre Realisierbarkeit zu beachten. Bei latenten Steuerschulden (zu versteuernde temporäre Differenzen) besteht gemäß IAS 12.15 – bis auf wenige Ausnahmen – grundsätzlich eine Passivierungspflicht.

Eine Werthaltigkeitsprüfung aktiver latenter Steuern ist zwingend erforderlich, da die Minderung der steuerlichen Bemessungsgrundlage durch den Abbau abzugsfähiger temporärer Differenzen nur dann zu einer steuerlichen Entlastung führt, wenn in der Abbauperiode oder in der Periode, in die ein möglicher steuerlicher Verlust vor- oder zurückgetragen werden kann, verrechenbare steuerliche Gewinne vorhanden sind. Ohne künftige Gewinne oder bestehende zu versteuernde temporäre Differenzen kommt es nicht zu einer Entlastungswirkung der aktiven latenten Steuern, weshalb deren Ansatz an die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Nutzenzuflüsse gebunden ist.

 

 

Kriterien der Werthaltigkeitsprüfung

Gemäß IAS 12.35 sind die Kriterien für den Ansatz aktiver latenter Steuern auf abzugsfähige temporäre Differenzen und Verlustvorträge dem Grunde nach identisch. Zu beachten ist, dass erhöhte Anforderungen an die Aktivierung latenter Steuern auf Verlustvorträge bei Vorhandensein einer Verlusthistorie bestehen.

Zunächst geben IAS 12.28/29 (a) sowie IAS 12.36 (a) + (b) eine zweistufige Prüfungsreihenfolge vor:

  • Bestehen in hinreichendem Umfang zu versteuernde temporäre Differenzen (als Grundlage passiver latenter Steuern), gegen die eine Verrechnung möglich ist?
  • Sofern zu versteuernde temporäre Differenzen nicht in hinreichendem Umfang vorliegen, ist die Verfügbarkeit künftiger steuerlicher Gewinne zu prüfen.

Zwei weitere Kriterien werden in IAS 12.30 und IAS 12.36 (c) + (d) definiert. Diese konkretisieren bzw. ergänzen die für den zweiten Schritt erforderliche Analyse:

  • Beurteilung, ob die bestehenden Verlustvorträge auf identifizierbare Ursachen in der Vergangenheit zurückgeführt werden können, die für die Zukunft entfallen;
  • Beurteilung, ob die Verfügbarkeit von Steuergestaltungen die Nutzbarkeit von aktiven latenten Steuern auf Verlustvorträge oder abzugsfähige temporäre Differenzen rechtfertigt.

Der Standard IAS 12 nimmt keinen Bezug auf die für den Ansatz erforderliche Wahrscheinlichkeitsschwelle; nach herrschender Meinung sollte in der Praxis das „more likely than not“-Kriterium herangezogen werden (50%-Schwelle: Die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme muss mindestens 50,01% betragen). Hierbei sind sachliche und zeitliche Restriktionen unter Berücksichtigung des im jeweiligen Einzelfall anwendbaren lokalen Steuerrechts zu beachten. So müssen die steuerlichen Gewinne und die vorhandenen temporären Differenzen stets auch die gleiche steuerliche Einheit (beispielsweise bei Vorliegen von Organschaftsverhältnissen) betreffen und auch steuerlich mit den abzugsfähigen temporären Differenzen bzw. Verlustvorträgen verrechenbar sein (sachliche Verrechenbarkeit). Zeitliche Beschränkungen beziehen sich auf die tatsächliche Verrechenbarkeit, wobei der Zeitpunkt des Entstehens steuerlicher Gewinne sowie die erwartete Umkehrwirkung von zu versteuernden temporären Differenzen und den verfügbaren Abzugsbeträgen unter Beachtung bestehender Möglichkeiten zum Verlustvortrag und -rücktrag zu berücksichtigen sind (zeitliche Verrechenbarkeit).

Bei der Ermittlung aktiver latenter Steuern auf steuerliche Verlustvorträge ist auf die unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen nach dem KStG sowie GewStG Bezug zu nehmen. Zudem sind etwaige abweichende steuerliche Verlustverrechnungsmöglichkeiten in der Zukunft – z.B.. auf Grundlage unterschiedlicher Prozentsätze hinsichtlich der Verlustverrechnung nach KStG und GewStG – zu berücksichtigen.

Der zeitgleiche Abbau zu versteuernder temporärer Differenzen setzt voraus, dass sich deren Umkehrwirkung entweder in der Abbauperiode der abzugsfähigen temporären Differenzen selbst (IAS 12.28 (a)) oder in Perioden, in die ein daraus resultierender steuerlicher Verlust vor- oder zurückgetragen werden kann (IAS 12.28 (b)), vollzieht.

 

 

Jährliche Überprüfung der zuvor getroffenen Einschätzungen

IAS 12.37 verlangt ausdrücklich eine jährliche Überprüfung der künftigen Nutzbarkeit von bisher nicht bilanzierten aktiven latenten Steuern. Nach den allgemeinen Ansatzvorschriften des IAS 12.24 und IAS 12.34 erstreckt sich diese Neubeurteilung zu jedem Stichtag auch auf bereits bilanzierte aktive latente Steuern. Bei den erforderlichen Anpassungen handelt es sich in der Regel um Schätzungsänderungen – die Anpassung erfolgen daher in der überwiegenden Zahl der Fälle ergebniswirksam innerhalb des Steueraufwands. Grundlage von Schätzungsänderungen können auch neue gesetzliche Vorgaben zur steuerlichen Verlustverrechnung sein. Zudem stellen die Anpassungen typischerweise eine Position innerhalb der steuerlichen Überleitungsrechnung dar. Die teils signifikante Ergebniswirkung des Ansatzes aktiver latenter Steuern unterstreicht die Relevanz einer IAS-konformen Werthaltigkeitsprüfung.

 

 

Fazit

  1. Die Werthaltigkeitsbeurteilung von aktiven latenten Steuern ist grundsätzlich ermessensbehaftet. Auf die zugehörigen Angaben im Anhang ist daher ein besonderes Augenmerk zu legen.
  2. Für die Durchführung der Werthaltigkeitsbeurteilung sieht IAS 12 eine Reihe von Kriterien vor.
  3. Unabhängig von der Analyse der Nutzbarkeit von temporären Differenzen und Verlustvorträgen ist ihr materiell-rechtlicher Bestand zu beurteilen. Hierfür findet das „more likely than not“-Kriterium Anwendung.
  4. Die Beurteilung des materiell-rechtlichen Bestands und die künftige Nutzbarkeit der aktiven latenten Steuern ist zu jedem Bilanzstichtag zu überprüfen und ggf. an neuere Erkenntnisse anzupassen.
  5. Die aktuellen steuerlichen Neuerungen zur erweiterten, befristeten Verlustverrechnung nach dem KStG (70% Verlustverrechnung im Rahmen der Mindestbesteuerung) versus GewStG (60% Verlustverrechnung im Rahmen der Mindestbesteuerung) führt bei ansonsten gleichen Annahmen (ceteris paribus) zu einem Anstieg der aktiven latenten Steuern in den Abschlüssen.

WP/StB Prof. Dr. Christian Zwirner,
Dr. Kleeberg & Partner GmbH WPG StBG, München (www.kleeberg.de)

StB Anna Günther, Dr. Kleeberg & Partner GmbH WPG StBG

 

BC 1/2025 

BC20250129

 

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