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Aktuelle insolvenzrechtliche Herausforderungen

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

Appell anlässlich des Deutschen Insolvenzverwalterkongresses 2023 vom 8. bis 10.11.2023 in Berlin

 

Arbeitskräftemangel, gestiegene Personal- und Energiekosten, erhöhte Bauzinsen und Inflationssteigerungen: Unternehmen stehen in diesen Tagen vor vielen Herausforderungen, und die Insolvenzzahlen steigen. Zur oft befürchteten Insolvenzwelle wird es trotzdem nicht kommen. Der „Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands“ (VID) appelliert an die Politik, ihren Umgang mit kurzfristigen Subventionsmaßnahmen zu überdenken, ein gründerfreundliches Umfeld zu schaffen und Insolvenz als Prozess freiwerdender Ressourcen nicht zu stigmatisieren.


 

Praxis-Info!

 

Einführung

Zur Eröffnung des Deutschen Insolvenzverwalterkongresses 2023 vom 8. bis 10.11.2023 in Berlin wies der VID-Vorsitzende Dr. Christoph Niering (Köln) bei der Begrüßung der mehr als 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf verschiedene aktuelle insolvenzrechtliche Herausforderungen hin. Zum aktuellen Insolvenzgeschehen wurde appelliert, langfristige Ursachen nicht mit kurzfristigen Maßnahmen zu bekämpfen. Allerdings wurde der Kongress durch die politischen Verwerfungen und den zunehmenden Antisemitismus auch in Deutschland überschattet, weshalb die Geschehnisse am 9.11.1938 nicht übergangen worden sind. Auch Insolvenzrechtler und Restrukturierer müssten hier Flagge zeigen. Machtlos sei man aber nicht, und historische Verantwortung müsse übernommen werden: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“ (David Ben-Gurion).

 

 

Heilsamer Einigungsdruck

In diesem Sinne wurde gleichermaßen das Grußwort aus dem Bundesministerium der Justiz (BMJ), das in Vertretung des Bundesministers Dr. Marco Buschmann (Berlin) von der Staatssekretärin Dr. Angelika Schlunck vorgetragen wurde, entsprechend eingeleitet. Hinsichtlich der weiteren Kongressthemen war dem BMJ der Hinweis wichtig, dass es die Allokationsmechanismen (Allokation = Zuteilung, Zuordnung, Zuweisung) des Insolvenzrechts erlauben, die Ressourcen produktiver zu verwenden. Steigende Insolvenzzahlen geben demnach keinen Anlass zur Beunruhigung. Man sei weit entfernt von einer zerstörerischen Insolvenzwelle. Temporäre Veränderungen des Insolvenzrechts laufen zum 31.12.2023 aus, was bereits jetzt Auswirkungen auf Fortführungsprognosen habe. Gerade in Transformationszeiten dürfe an den grundlegenden Mechanismen nicht gerüttelt werden und weitere Aussetzungen dürfe es nicht geben. Das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) sei in der Praxis angekommen und habe auch unterschwellig gewirkt, indem ein „heilsamer Einigungsdruck“ erzeugt wurde. Mit Blick auf das Beispiel des Sanierungsfalls Leoni wurde festgestellt, dass auch Minderheitsaktionäre eine faire Chance erhalten müssten, am Einigungsprozess beteiligt zu werden.

 

 

Umsetzung der EU-Vorschläge noch in weiter Ferne

Der aktuell vorliegende insolvenzrechtliche EU-Richtlinien-Vorschlag knüpfe zu einem Teil an deutsche Grundsätze an. Das gelte aber nicht für Sonderverfahren, wie z.B. zur Sanierung von Kleinstunternehmen. Der Grundsatz der Trennung von Gericht und Verwaltung dürfe nicht durch eine neue europäische Regelung verdrängt werden. Der EU-Vorschlag bietet – so das BMJ – kein tragfähiges Gesamtkonzept. Grundsätze der Gläubigerautonomie und der Insolvenzanfechtung dürften nicht aufgegeben werden, insbesondere nicht bei Kleinstunternehmen.

Vorangetrieben werden müsse die Digitalisierung des Insolvenzverfahrens: „Unser Rechtsstaat muss digitaler werden.“ Erforderlich sei die Verbesserung der gerichtlichen und verwaltungsmäßigen Kommunikationsinfrastrukturen bis hin zur vollständigen Digitalisierung von Verfahrensakten.

In berufsrechtliche Bestrebungen sei Bewegung gekommen. Es sei nicht mehr streitig, dass das zu schaffende Berufsrecht für Insolvenzverwalter von einer zentralen Instanz geführt werden müsse.

Im Fazit brachte die BMJ-Referentin Schlunck Folgendes zum Ausdruck: Transformation fällt nicht vom Himmel und bedarf eines gewissen Drucks. „Krisen beinhalten immer auch Chancen, wenn auch dornige“, so ein Zitat unter Bezug auf den Justizminister Buschmann.

 

 

Praxishinweise:

  • Als Ausrichter des „Deutschen Insolvenzverwalterkongresses“ ist der VID ein wichtiger Veranstalter innerhalb der Branche. Der Kongress ist das zentrale deutsche Forum für alle Praktiker des Insolvenzrechts – für Insolvenzverwalter und Insolvenzrichter ebenso wie für institutionelle Gläubiger, Sanierungsberater und Rechtspolitiker. Im persönlichen Pressegespräch vom 9.11.2023 waren dem VID-Vorsitzenden Dr. Christoph Niering folgende Aspekte wichtig:
  • Der oft als Insolvenzgrund genannte Fachkräftemangel sei nur vorgeschoben. Man habe zu wenig auf ausgewogene Altersstrukturen in der Belegschaft geachtet. Niering mahnte entsprechende Kurskorrekturen in der Personalführung an.
  • Hilfen bei der beruflichen Umstellung (Stichwort „Transfergesellschaften“) sind zielführender als staatliche Stützungen nicht mehr zukunftsfähiger Arbeitsplätze. Ein ehrlicher Schlusspunkt kommt besser an als nur temporär nicht durchschaubare Vertröstungen.
  • Eine Insolvenzwelle wird, so zeigte sich Niering überzeugt, nicht kommen. Insolvenzen seien nicht zu stigmatisieren oder zu verteufeln, sondern als sinnvolles Instrument der Marktbereinigung zu betrachten: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“
  • Die Umsetzung der insolvenzrechtlichen EU-Richtlinie werde noch auf sich warten lassen, das Verfahren laufe sehr schleppend. Zudem stehen EU-Wahlen an; vorher werde es keine in Deutschland wirksamen Ergebnisse geben. Auch gebe es starke Bedenken: Gläubiger sollen im sog. Pre-pack-Verfahren nur „gehört“ werden, Arbeitnehmer kommen in den vorgeschlagenen Paragrafen so gut wie nicht vor. Bestrebungen zu „verwalterlosen“ Sanierungsverfahren machen dem VID-Vorsitzenden grundsätzlich keine Sorgen, da in der Vielzahl der Fälle auf insolvenzverwalterliche Expertise nicht verzichtet werden könne (Beispiel Leoni AG).
  • Das seit vielen Jahren rückläufige Gründungsverhalten in Deutschland wirkt sich direkt auf das Insolvenzgeschehen aus. Gerade in den ersten fünf Jahren nach Gründung besteht für Unternehmen die höchste Insolvenzgefahr. „Ein Warnsignal für die Wirtschaftspolitik. Die Unternehmenslandschaft erneuert sich schon lange nicht mehr ausreichend. Kommen nicht genug neue Unternehmen nach, sinkt das Innovationspotenzial. Das für Gründer beschwerliche Vorschriftendickicht trägt noch dazu bei“, so Niering.
  • Gerade Letzteres werden selbstständige Bilanzbuchhalter, die sich auf Existenzgründungsberatung spezialisiert haben, bestätigen können.

Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld

 

 

BC 12/2023 

BC20231212

 

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