OFD Frankfurt a. M., RdVfg. v. 18.7.2023, S 2133 A – 21 – St 516
1. Zinsen auf Steuererstattungen
Die Bilanzierung einer Forderung setzt grundsätzlich voraus, dass zum Bilanzstichtag eine solche rechtlich entstanden ist. Der Anspruch auf Zinsen wegen einer Steuererstattung entsteht nach § 233a Abs. 1 AO dann, wenn die Festsetzung einer (Betriebs-)Steuer zu einer Steuererstattung führt. Vor erfolgter Steuerfestsetzung ist rechtlich kein Zinsanspruch entstanden (vgl. AEAO zu § 46 AO, Tz. 1). Gleichwohl ist nach Ablauf der in § 233a Abs. 2 AO enthaltenen Frist von 15 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs, für das der Steuererstattungsanspruch entstanden ist, eine Forderung auf Zinsen wegen Steuererstattungen auszuweisen; unabhängig davon, ob die entsprechenden Steuern festgesetzt wurden. Dieser unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorgenommene Forderungsausweis entspricht den Grundsätzen, die für die Aktivierung von Dividendenansprüchen ohne vorherigen Gewinnverwendungsbeschluss gelten. Eine Forderung auf Zinsen wegen einer Steuererstattung ist demnach frühestens zu dem Bilanzstichtag zu aktivieren, der 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs liegt, für das der Anspruch auf Steuererstattung entstanden ist. Dabei umfasst die Forderung nur die Zinsen, die bis zum Bilanzstichtag wirtschaftlich entstanden sind.
Mit Urteil v. 31.8.2011, BStBl. II 2012, 190, DStR 2012, 17, hat der BFH entschieden, dass Forderungen, insbesondere Geldforderungen aus Lieferungen und Leistungen, zu aktivieren sind, sobald sie (unabhängig von der rechtlichen Entstehung) wirtschaftlich in der Vergangenheit verursacht und am Bilanzstichtag hinreichend sicher sind. In dem dem BFH-Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um die Frage, ob die Erstattungsansprüche aus geänderten Umsatzsteuerbescheiden der Jahre 1996 bis 2001 bereits im Jahresabschluss 2005 (Jahr der Veröffentlichung des BFH v. 12.5.2005, BStBl. II 2005, 617, DStR 2005, 1407, welches den Steuerpflichtigen begünstigt) oder erst im Jahresabschluss 2006 (Jahr der Änderung und damit Bekanntgabe der geänderten Umsatzsteuerbescheide) gewinnerhöhend zu erfassen waren. Der BFH führte dazu aus, dass das Finanzamt durch die Veröffentlichung des BFH-Urteils v. 12.5.2005 im BStBl. II 2005, 617, verwaltungsintern verpflichtet war, die daraus resultierende Rechtsprechung zugunsten des Klägers anzuwenden. Damit stand noch im Kalenderjahr 2005 fest, dass das Finanzamt die Erstattungsansprüche des Klägers dem Grunde nach nicht mehr bestreiten würde. Die bloße Umsetzung dieser Rechtsprechung in geänderte Umsatzsteuerbescheide, die erst in 2006 erfolgte, änderte nichts an der Aktivierung der entsprechenden Forderungen in 2005.
Vor dem Hintergrund des BFH-Urteils v. 31.8.2011 (BStBl. II 2012, 190, DStR 2012, 17) ist somit die Aktivierung einer Forderung auf Erstattungszinsen unter Beachtung der oben genannten Ausführungen nach Auffassung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder nur dann vorzunehmen, wenn der Anspruch auf Erstattungszinsen am Bilanzstichtag auch hinreichend sicher ist.
Hinreichend sicher ist der Anspruch, der der Bekanntgabe der begünstigenden Verwaltungsentscheidung folgt. Der Anspruch ist bereits zu einem früheren Bilanzstichtag zu aktivieren, wenn zu diesem Zeitpunkt der Realisierung des Anspruchs weder materiell-rechtliche noch verfahrensrechtliche Hindernisse entgegenstehen.
Beispiel: Aufgrund einer steuerlichen Außenprüfung im Jahr 05 (Prüfungszeitraum: 01 bis 03) wird eine Umsatzsteuer-Erstattung für 01 von 10.000 € festgestellt. Die Auswertung des Betriebsprüfungsberichts durch den Veranlagungsteilbezirk (VTB) erfolgt in 05, wodurch der geänderte Umsatzsteuerbescheid 01 noch in 05 bekannt gegeben wurde. Materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Hindernisse im Hinblick auf die Realisierung des Erstattungsanspruchs bestanden nicht. Der Anspruch auf die Zinsen nach § 233a AO ist zu den betreffenden Stichtagen wie folgt auszuweisen: Stichtag | Zinserträge (€) | Forderung (€) | Berechnung | 31.12.03 | 450 | 450 | 10.000 × 9 Mon. × 0,5% | 31.12.04 | 600 | 1.050 | 10.000 × 12 Mon. × 0,5% | 31.12.05 | 600 | 1.650 | 10.000 × 12 Mon. × 0,5% | 31.12.06 | 600 | 2.250 | 10.000 × 12 Mon. × 0,5% | 31.12.07 | 600 | 2.850 | 10.000 × 12 Mon. × 0,5% |
Würden dem Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch 01 entweder materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Hindernisse entgegenstehen, wäre der Erstattungsanspruch (Umsatzsteuer und daraus resultierende Zinsen nach § 233a AO) erst zum 31.12.05, also dem Bilanzstichtag, der der Bekanntgabe des Umsatzsteuerbescheids 2001 folgt, zu aktivieren. |
- Handelsrechtlich sind die faktisch im laufenden Geschäftsjahr begründeten Forderungen (gemäß § 268 Abs. 4 S. 2 HGB) unter dem Posten „sonstige Vermögensgegenstände” (§ 266 Abs. 2 B. II. 4. HGB) zu aktivieren.
- Werden Bestehen oder Höhe des Erstattungsanspruchs von der Finanzverwaltung bestritten, so ist dies im Rahmen der Bewertung der Forderung zu berücksichtigen. In diesem Fall kommt eine Aktivierung nur mit einem Erinnerungsposten von 1 € in Betracht.
- Der Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO beträgt für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 0,15% je vollem Monat, also 1,8% für ein volles Jahr (BMF 22.7.2022, IV A 3 – S 1910/22/10040 :010, BC 2022, 105 f., Heft 3).
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2. Rückstellungen wegen künftiger Zinszahlungen aufgrund entstandener Steuernachforderungen
Bei der Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen wegen entstandener Steuernachforderungen handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung. Eine Rückstellung für derartige Verpflichtungen setzt voraus, dass am Bilanzstichtag eine hinreichend konkretisierte Verpflichtung vorliegt. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Steuernachforderung entsteht, ist auch die Verpflichtung zur Entrichtung der Zinsen nach § 233a AO hinreichend konkretisiert. Eine Rückstellung wegen der Verpflichtung auf Entrichtung der Zinsen wäre demnach erstmals im Jahresabschluss des Wirtschaftsjahrs zu bilden, in dem die Steuernachforderung entstanden ist. Da aber eine Rückstellung nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern auch Vergangenes abgelten muss und mit der Zinszahlung wegen entstandener Steuernachforderungen der Liquiditätsvorteil abgegolten wird, der sich aus der „verspäteten“ Zahlung der Steuer für den Steuerpflichtigen ergibt, kann eine Rückstellung frühestens 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuernachforderung entstanden ist, gebildet werden. Eine solche Rückstellung kann nur die bis zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich entstandenen Zinsen umfassen.
- Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten, die betrieblich veranlasst sind – gleichgültig ob diese Verbindlichkeiten zivilrechtliche Schadensersatzansprüche oder öffentlich-rechtliche Verpflichtungen betreffen –, ist (nach § 249 HGB) zu dem Zeitpunkt anzusetzen, zu dem der Steuerpflichtige mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer Inanspruchnahme (der entsprechenden Forderung des Finanzamts) rechnen muss.
- Die allgemeine Erfahrung, wonach es bei steuerlichen Betriebsprüfungen zu Beanstandungen kommt, welche zu mehr oder weniger hohen Steuernachforderungen führen, erfüllt eigentlich nicht die Voraussetzungen an eine Rückstellungsbildung (konkrete Inanspruchnahme). Insofern handelt es sich um ein dem allgemeinen Unternehmer- oder Branchenrisiko vergleichbares Risiko, das erst dann zur Bildung einer Rückstellung berechtigt, wenn es sich in Gestalt konkreter und nachprüfbarer Einzelsachverhalte zu dem Risiko eines bestimmten einzelnen Geschäftsvorfalls verdichtet hat.
- Sobald die Behandlung konkreter steuerlicher Sachverhalte im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung strittig ist, darf somit eine Rückstellung für Steuernachforderungen – nicht jedoch für Nachforderungszinsen (!) – gebildet werden. Auf der sicheren Seite sind Bilanzierende, wenn die Außenprüfung bereits begonnen wurde und der Prüfer eine bestimmte Sachbehandlung beanstandet hat oder zumindest den einschlägigen Sachverhalt konkret überprüft. Dasselbe gilt für anhängige Streitverfahren (auch Musterverfahren), durch die das Unternehmen belastet werden kann, auch wenn der Ausgang des Rechtsstreits noch unsicher ist.
- In der HGB-Bilanz können hingegen Rückstellungen für künftige Steuernachforderungen z.B. aufgrund zu erwartender steuerlicher Betriebsprüfungen unter Umständen gebildet werden, auch wenn sie steuerrechtlich nicht anerkannt sind. Solche Rückstellungen sind denkbar, wenn das Steuerrisiko nicht bereits durch eine entsprechende Steuerabgrenzung abgedeckt ist. Im Klartext: Wird mit Blick auf die nächste steuerliche Außenprüfung erwartet, dass bis dahin bestehende vorübergehende Abweichungen zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz ganz oder zum Teil beseitigt werden und sich hieraus ein steuerrechtlicher Mehraufwand ergeben kann (weil z.B. in der Steuerbilanz Aktivposten, die bislang in der Steuerbilanz niedriger als in der Handelsbilanz angesetzt waren, höher angesetzt werden), ist dieses Risiko bereits durch die Steuerabgrenzung abgedeckt.
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BC 9/2023
BC2023907