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Reformierung des Mehrwertsteuersystems in der EU geplant

Katinka Kammerer

 

Einen weitreichenden Richtlinienentwurf hat die EU-Kommission am 8.12.2022 im Rahmen ihrer Initiative VAT in the Digital Age („ViDA“) veröffentlicht (VAT – Value Added TAX = Mehrwertsteuer, MwSt). Ziel ist, die sich aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung geänderten Bedingungen in der Geschäftswelt EU-weit zu harmonisieren. Mit der Umsetzung der geplanten Änderungen in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie soll bereits ab 2024 begonnen werden.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Da die bestehenden EU-Vorschriften zur Mehrwertsteuer (MwSt) in vielen Punkten nicht mehr zu den heutigen Leistungsbeziehungen und Geschäftsmodellen in ihrer globalen und digitalen Form passen, wurde bereits im Jahr 2020 ein sog. Tax Action Plan seitens der EU-Kommission beschlossen, um das MwSt-System zu verjüngen. Das nun veröffentlichte Änderungspaket ViDA soll ab dem 1.1.2025 eingeführt werden, wobei die weitere zeitliche Umsetzung noch offen ist.

 

Lösung

Die geplanten Änderungen sind sehr umfassend, sodass von einer tiefgreifenden Reform des Mehrwertsteuersystems gesprochen werden kann. Das Reformpaket sieht drei Kernpunkte vor:

  • (1) Single VAT registration („SVR“),
  • (2) Ausweitung der Lieferkettenfiktion auf Dienstleistungsketten,
  • (3) Digitale Meldepflicht („DMP“)/elektronische Rechnungstellung.

Hintergrund der unter (3) genannten Neuregelungen (zu (1) und (2) siehe ausführlich den Beitrag der Verfasserin in den PKF-Nachrichten 04/2023, in Kürze verfügbar unter www.pkf.de, sowie am Ende dieses Beitrags unter den Praxishinweisen) ist die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs, wodurch sog. missing trader („fehlende Händler“) des Umsatzsteuerkarussells schneller erkannt und entsprechend zeitnah Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Eingeführt werden soll – anstelle der bislang vorgesehenen Zusammenfassenden Meldung (ZM) – ein digitales Meldepflichtsystem (sog. „DMP-System“), das einheitliche kurzfristige Meldungen ermöglicht. Damit einhergehend wird das sog. E-Invoicing für bestimmte Leistungen verpflichtend sein.

Zur Umsetzung soll in einem ersten Schritt ab 2024 eine Neudefinition der elektronischen Rechnung in die MwSt-Systemrichtline aufgenommen werden: Hiernach muss eine elektronische Rechnung in einem strukturierten elektronischen Format sowohl ausgestellt als auch versandt werden. Mit Schritt zwei soll zum 1.1.2028 für alle innergemeinschaftlichen Lieferungen (B2B) sowie sonstigen Leistungen, die zum Übergang der Steuerschuldnerschaft führen, Folgendes eingeführt werden:

(1) Pflicht zur elektronischen Rechnungstellung: Die elektronische Rechnung muss innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Eintritt des Steuertatbestands (d.h. relevant ist der Leistungszeitpunkt) erstellt werden. Damit einhergehend sollen dann …

  • Sammelrechnungen, die mehrere einzelne Lieferungen bzw. sonstige Leistungen eines Monats enthalten, nicht mehr möglich bzw. erlaubt sein (siehe hierzu Meldepflicht im DMP-System),
  • Rechnungen im PDF-Format aus umsatzsteuerlicher Sicht nicht mehr als elektronische Rechnungen dienen. Vielmehr wird die elektronische Rechnung in einem strukturierten und elektronischen Format mit automatischer und elektronischer Weiterverarbeitung erzeugt werden.
  • … die geltenden Rechnungsvoraussetzungen Zuwachs bekommen, z.B. durch die Bankverbindung/IBAN des leistenden Unternehmers und die Zahlungszielvereinbarung.

Die neuen E-Invoices sollen von den einzelnen EU-Mitgliedstaaten ohne vorheriges zentrales Clearing erlaubt sein. Hierfür soll es eine Anpassung des bislang bestehenden EU-weiten E-Invoicing-Systems auf den neu geplanten EU-Standard geben.

Anmerkung: Nicht betroffen von der Neuregelung werden zunächst wohl reine Inlands- sowie Drittlandsleistungen sein. Jedoch bleibt abzuwarten, ob auf nationaler Ebene für Inlandsleistungen nicht auch auf ein strukturiertes elektronisches Rechnungsformat zurückgegriffen wird. Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Regelung zur Rechnungstellung in Bezug auf die Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug würde dies unterstützen.

(2) Pflicht zur digitalen Berichterstattung über das DMP-System: Die jeweilige Meldung im DMP-System soll bis spätestens zwei Werktage nach Erstellung der E-Invoice erfolgen. Aufgrund des kurzfristigen Meldezeitraums werden keine Sammelrechnungen mehr möglich bzw. erlaubt sein. Es wird aber zulässig sein, dass ein Dritter die Daten im Namen des Steuerpflichtigen übermittelt. Neu wird auch die verpflichtende Meldung innergemeinschaftlicher Erwerbe sein.

 

Praxishinweise:

  • Das oben unter (1) benannte Reformfeld Single VAT registration („SVR“) bringt umfangreiche Verfahrensänderungen mit sich. Ziel der Neuregelung ist es, möglichst viele Geschäftsvorfälle, die im EU-Ausland zu einer Registrierung/Meldepflicht führen würden, zentralisiert im Ansässigkeitsstaat des Leistenden zu melden. Diese Bündelung soll sowohl die Kosten als auch den Zeitaufwand der meldepflichtigen Unternehmer sowie den Verwaltungsaufwand der Behörden reduzieren.
  • Beim Reformfeld (2) Ausweitung der Lieferkettenfiktion auf Dienstleistungsketten geht es darum, dass Internet-Plattformen nicht nur Umschlagplatz für Waren, sondern auch Anlaufstelle für die Vermittlung von Dienstleistungen sind. Um für diesen Markt umsatzsteuerlich gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, soll die Lieferkettenfiktion mit Wirkung zum 1.1.2025 auch auf spezifische Dienstleistungen, die über elektronische Schnittstellen erbracht werden, ausgeweitet werden. Die hierunter fallenden sonstigen Leistungen sind kurzfristige Unterkunftsvermietungen (maximal 45 Tage) sowie Personenbeförderungen, die sowohl durch Privatpersonen als auch Kleinunternehmer sowie Drittländer erbracht werden.
  • Zur Umsetzung der Reform bedarf es im nächsten Schritt der einstimmigen Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedstaaten. Zum aktuellen Zeitpunkt bleibt noch abzuwarten, wie, wann und in welcher Form die Umsetzung der Neuregelungen erfolgen wird. Für Unternehmer, die von der Neuregelung betroffen sind, wird die Reform meldepflichtige Vorteile, insbesondere eine geringere Anzahl ausländischer Registrierungen mit sich bringen. Es werden aber in erster Linie auch prozessuale und systemseitige Anpassungen erforderlich sein, insbesondere im Bereich des E-Invoicing. Um sich darauf vorzubereiten, empfiehlt es sich, die Entwicklungen zu verfolgen und die eigenen Geschäftsvorfälle und Prozesse hinsichtlich etwaiger Anpassungen bereits jetzt zu hinterfragen.

Katinka Kammerer, Dipl.-Betriebswirtin (FH), Senior Managerin (VAT), PKF Industrie- und Verkehrstreuhand GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, München

 

 

BC 5/2023

BC2023502

 

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