Dr. Martin Weiss
Praxis-Info!
Problemstellung
Das „steuerliche Einlagekonto“ der Körperschaft gemäß § 27 Abs. 1 KStG dient dazu, die steuerneutrale Rückgewähr von Einlagen der Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft – mit Ausnahme des Nennkapitals – zu ermöglichen. Ursprünglich von den Gesellschaftern zugeführte Mittel sollen dadurch von der Ausschüttung der Gewinne der Kapitalgesellschaft getrennt werden. Letztere müssen auf Ebene der Gesellschafter noch als Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG) „nachversteuert“ werden, während Einlagen dem Grunde nach steuerlich neutral an die Gesellschafter zurückgezahlt werden sollen.
Auf Ebene des Anteilseigners bestimmt § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG daher, dass Bezüge nicht zu den Einnahmen gehören, soweit sie aus Ausschüttungen einer Körperschaft stammen, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto im Sinne des § 27 KStG als verwendet gelten. Diese Bezüge senken lediglich die steuerlichen Anschaffungskosten bzw. den Buchwert der Anteile (siehe dazu jetzt auch § 14 Abs. 4 S. 3 Hs. 1 KStG). Daher wird auf Ebene der Kapitalgesellschaft auch keine Kapitalertragsteuer einbehalten.
Die Unterscheidung zwischen einer Einlagenrückgewähr und einer Gewinnausschüttung wird dabei durch die Verwendungsreihenfolge des § 27 Abs. 1 S. 3 KStG materiell-rechtlich bestimmt. Danach ist der „ausschüttbare Gewinn“ zunächst für Leistungen zu verwenden. Erst dann kann das Einlagekonto – mit wenigen Ausnahmen (z.B. § 27 Abs. 6 S. 2 KStG) – berücksichtigt werden. Auf Ebene des Anteilseigners ergibt sich über § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG eine materiell-rechtliche Bindungswirkung an die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos (BFH Urt. v. 19.5.2010 – I R 51/09, BStBl. II 2014, 937).
Probleme bei diesem „Teileinkünfteverfahren“ ergaben sich bereits beim Übergang vom früheren „Anrechnungsverfahren“. Diese werden derzeit vom Bundesverfassungsgericht aufgearbeitet (z.B. BVerfG Beschl. v 7.12.2022 – 2 BvR 988/16, BeckRS 2022, 44146). Zudem kann dieses System „aus dem Takt geraten“, wenn Einlagen der Anteilseigner nicht bei der jährlichen gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos (§ 27 Abs. 2 S. 1 KStG) berücksichtigt werden. Der Bescheid über die gesonderte Feststellung ist jeweils Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 S. 1 AO) für den Bescheid über die gesonderte Feststellung zum folgenden Feststellungszeitpunkt (§ 27 Abs. 2 S. 2 KStG): Der einmal entstandene Fehler durch ein „zu niedriges Einlagekonto“ bleibt damit über die Zeit erhalten (zur möglichen Korrektur nach § 129 AO – „offenbare Unrichtigkeit“ – Ott, DStR 2017, 1505; BFH Urt. v. 8.12.2021 – I R 47/18, BStBl. II 2022, 827).
Hat die Kapitalgesellschaft selbst als „Adressatin des Feststellungsbescheids“ keinen Rechtsbehelf gegen die zu niedrige gesonderte Feststellung eingelegt, stellt sich die Frage, ob die Anteilseigner der Kapitalgesellschaft im Wege der „Drittanfechtung“ Rechtsschutz suchen können. Letztendlich sind die Anteilseigner die „Leidtragenden“ des Fehlers, da ihnen die fehlerhaft nicht aufgezeichnete Einlage nicht mehr steuerneutral zurückgewährt werden kann.
Eine solche „Drittanfechtung“ strebte auch die Klägerin als Anteilseignerin einer deutschen GmbH an. Im Feststellungsbescheid der beigeladenen GmbH zum 31.12.2007 war eine verdeckte Einlage von 800.000 € erklärungsgemäß nicht berücksichtigt worden. Erst Ende 2015 (!) machte die GmbH geltend, dass dieser Fehler bereinigt werden müsse, was das Finanzamt ablehnte. Am 18.1.2018 beantragte die Klägerin (als Gesellschafterin der GmbH) mit ihrem Einspruch gegen den Feststellungsbescheid, die im Jahr 2007 geleistete Einlage im steuerlichen Einlagekonto zu erfassen.
Lösung
Der I. Senat hat die Revision gegen das klageabweisende Urteil des FG Schleswig-Holstein (vom 19.9.2019 – 1 K 73/18, DStRE 2020, 165) zurückgewiesen. Die Befugnis, gegen den Feststellungsbescheid gemäß § 27 Abs. 2 S. 1 KStG außergerichtlich und gerichtlich vorzugehen, stehe nur der Kapitalgesellschaft selbst zu, da sie bei fehlerhafter Feststellung einem Haftungsrisiko bezüglich der Kapitalertragsteuer ausgesetzt sei (BFH Urt. v. 30.1.2013 – I R 35/11, BStBl. II 2013, 560).
An diesen Feststellungsbescheid seien die Anteilseigner aufgrund der materiell-rechtlichen Bindungswirkung gebunden. Der Gesellschafter könne sich deshalb in seinem Besteuerungsverfahren nicht darauf berufen, das steuerliche Einlagekonto sei im Bescheid über die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos unzutreffend ausgewiesen. Daraus folge jedoch kein Recht zur „Drittanfechtung“ des Feststellungsbescheids durch die Gesellschafter. Die Kapitalgesellschaft sei nach der Rechtsprechung vollumfänglich zur Anfechtung des Bescheids befugt, sodass kein Bedürfnis für eine zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeit der Anteilseigner bestehe.
Zudem seien die Auswirkungen eines möglichen Rechts zur „Drittanfechtung“ unüberschaubar, da aktuelle wie zukünftige Anteilseigner jederzeit auch für weit zurückreichende Besteuerungszeiträume die jeweils maßgebliche Höhe des Einlagekontos in Zweifel ziehen könnten: Mangels Bekanntgabe des Bescheids (§ 122 AO) an sie selbst gebe es keine zeitliche Grenze für die Rechtsschutzmöglichkeit. Der damit eintretende Zustand von „vollständiger Bestandskraftlosigkeit und Unverjährbarkeit“ sei mit dem Gebot der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren.
- In anderen Konstellationen spricht der BFH den Gesellschaftern tatsächlich ein Recht zur „Drittanfechtung“ zu: Bei Einbringungen nach §§ 20 ff. UmwStG kann die „übernehmende Gesellschaft“ nicht geltend machen, die ihrer Steuerfestsetzung zu Grunde gelegten Werte des eingebrachten Vermögens (§ 20 Abs. 2 UmwStG) seien zu hoch. Ein solches Begehren kann nur der „Einbringende“, der an die so festgelegte Bewertung gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 UmwStG gebunden ist, im Wege der Drittanfechtung des Bescheids der übernehmenden Gesellschaft durchsetzen (BFH Urt. v. 8.6.2011 – I R 79/10, BStBl. II 2012, 421).
- Die fehlerhaft bei der Kapitalgesellschaft nicht aufgezeichnete Einlage erhöht dennoch die Anschaffungskosten der Beteiligung des Gesellschafters (§ 17 Abs. 2a S. 3 Nr. 1 EStG; § 6 Abs. 6 S. 2 EStG). Diese erhöhten Anschaffungskosten „passen“ dann zwar nicht mehr zu dem zu niedrigen steuerlichen Einlagekonto. Allerdings werden sie bei einer Veräußerung der Anteile (§ 17 Abs. 1 EStG), bei der Liquidation der Körperschaft (§ 17 Abs. 4 EStG) oder beim Wegzug (§ 6 AStG) – zumindest in den Grenzen des Teileinkünfteverfahrens (§ 3c Abs. 2 EStG) – steuermindernd berücksichtigt.
- Auch nicht unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Gesellschaften können für Leistungen, die nach dem 31.12.2022 erbracht werden (§ 34 Abs. 10 KStG), eine Einlagenrückgewähr erbringen (§ 27 Abs. 8 S. 1 KStG). Für in EU-Mitgliedstaaten ansässige Kapitalgesellschaften hatte der § 27 Abs. 8 KStG dieses Recht bereits seit Langem vorgesehen; für Gesellschaften aus Drittstaaten ist die gesetzliche Regelung neu. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine regelmäßige und zwingende Feststellung des steuerlichen Einlagekontos. Vielmehr wird der als Einlagenrückgewähr zu berücksichtigende Betrag auf Antrag der Körperschaft gesondert festgestellt (§ 27 Abs. 8 S. 3 KStG). Die Einlagenrückgewähr ist auf diesen Antrag hin in entsprechender Anwendung der Absätze 1 bis 6 des § 27 KStG und der §§ 28 und 29 KStG zu ermitteln.
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Dr. Martin Weiss, Steuerberater, Fachberater für Internationales Steuerrecht, Dipl.-Kfm., Verlag C.H.BECK, München
BC 4/2023
BC2023410