Wichtige Urteile 2023: Schuldenbremse, Dieselskandal, Medikamente für Todkranke
Lorem Ipsum
© Wuttichaik / Adobe Stock

Das Krisenjahr 2023 bot auch rechtlich einige Highlights. Im ersten Teil unseres Rückblicks zur Rechtsprechung, die man kennen sollte, finden sich neben dem Nachtragshaushalt auch Siege und Niederlagen von Klimaschützern und gleich mehrere Corona-Urteile.

Eins der wohl folgenreichsten Urteile aus diesem Jahr fiel erst vor wenigen Wochen: Das BVerfG kippte den Nachtragshaushalt 2021 und riss mit diesem Paukenschlag eine 60 Milliarden Euro große Lücke in den Klima- und Transformationsfonds. Der Bund dürfe die Mittel, die zur Bekämpfung der Corona-Krise gedacht waren, nicht für den Klimaschutz nutzen, befand das Gericht.

Unmittelbar danach folgte der nächste Rüffel vom OLG Berlin-Brandenburg, welches die Bundesregierung zu zusätzlichen Klima-Sofortmaßnahmen verpflichtete, um die Klimagase aus Verkehr und Gebäuden zu drücken. Geklagt hatten die Umweltverbände DUH und BUND. Die Regierung kündigte an, eine Revision zu prüfen.

Ebenfalls im November reichte die DUH eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe gegen das aus ihrer Sicht unzureichende Klimaschutzprogramm der Bundesregierung ein. Die Maßnahmen reichten "nicht ansatzweise" aus, um die gesetzlichen Klimaziele bis 2030 einzuhalten, so die Umweltschützer.

Der Verband unternahm in diesem Jahr außerdem mehrere Versuche, deutsche Autobauer zu einem Verbrenner-Verbot ab 2030 zu verpflichten - scheiterte aber jeweils bereits auf Landesebene. Die Klagen gegen VWBMW und das Öl- und Gasunternehmen Wintershall DEA blieben allesamt erfolglos. Nachdem zuletzt auch das OLG Stuttgart Mercedes nicht zu einer rein elektrischen Modellpalette ab 2030 verpflichtete, gab der Verband bekannt, in dieser Sache ebenfalls nach Karlsruhe zu gehen, mit einer Revision zum BGH.

Dieselskandal: BGH senkt die Hürden für Schadensersatz-Klagen

Ebender hat im Juni in einem Grundsatzurteil die Hürden für Schadensersatz-Klagen von Diesel-Käufern deutlich gesenkt. Zuvor hatte im März der EuGH die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen von Käufern eines Kraftfahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung erleichtert. Diese könnten den Anspruch direkt gegenüber den Fahrzeughersteller geltend machen, denn: Das Unionsrecht schütze auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller, so die Luxemburger Richterinnen und Richter.

Der zuständige Diesel-Senat entschied daraufhin, dass Autobauer auch dann zahlen müssten, wenn sie fahrlässig gehandelt haben. Nur einen Monat später zog der III. Zivilsenat nach und bejahte ebenfalls den Differenzschaden in "Dieselfällen". Dem­nach seien die Aus­stat­tung und das In­ver­kehr­brin­gen eines Fahr­zeugs mit Ther­mofens­ter keine vor­sätz­li­che sit­ten­wid­ri­ge Schä­di­gung. Ein An­spruch auf Er­satz des Dif­fe­renz­scha­dens sei je­doch wegen einer un­zu­läs­si­gen Ab­schalt­ein­rich­tung ge­ge­ben.

Was das in jedem Einzelfall bedeutet, ist noch offen - die Vorinstanzen müssen noch einmal ran. Derzeit liegen seit der EuGH-Entscheidung etwa 2.000 Fälle am BGH, bei den unteren Instanzen sind zehntausende Fälle anhängig. Experten rechneten im Sommer damit, dass Dieselklagen auf dieser Basis künftig schneller und einfacher entschieden werden können. Tatsächlich landete die Die­sel-Pro­ble­ma­tik jüngst aber wie­der vor dem EuGH. Auf er­neu­te Vor­la­ge des LG Ra­vens­burg soll die­ser unter an­de­rem klä­ren, ob die Recht­spre­chung zum un­ver­meid­ba­ren Ver­bots­irr­tum eu­ro­pa­rechts­kon­form ist.

Corona beschäftigt weiterhin den BGH

Auch in diesem Jahr war der BGH weiter mit den Auswüchsen der Corona-Pandemie beschäftigt. Nachdem er Anfang 2020 in einer Grundsatzentscheidung entschieden hatte, dass einem Versicherungsnehmer aufgrund von Schließungen während des ersten Lockdowns keine Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung zustehen, urteilte er im Januar dieses Jahres im Fall einer Hotelbetreiberin aus Niedersachsen, dass eine Betriebsschließungsversicherung für den zweiten Lockdown zahlen muss, da Corona zu diesem Zeitpunkt im IfSG namentlich genannt wurde.

Das Gericht entschied außerdem im Mai, dass der Staat gegenüber Friseurinnen und Friseuren  nicht für Einnahmeausfälle haftet, die im Frühjahr 2020 durch die vorübergehende landesweite Schließung von Friseurbetrieben im Rahmen der Bekämpfung des Coronavirus entstanden sind. Der BGH wies darauf hin, dass auch der Staat finanziell nicht unbegrenzt leistungsfähig ist. Er dürfe sich daher in Pandemiezeiten auf den Schutz der Bevölkerung fokussieren. Dies sei Gewerbetreibenden – auch vor dem Hintergrund des grundsätzlich von ihnen zu tragenden Unternehmerrisikos – zumutbar.

Auch Künstlerinnen und Künstler, die in der Hochphase der Corona-Pandemie nicht - oder nur unter Einschränkungen - auftreten durften, haben laut BGH keinen Anspruch auf Entschädigung. Vergeblich geklagt hat damit ein Berufsmusiker, der im ersten Lockdown Live-Auftritte absagen musste.

Keine Medikamente für Todkranke

Wichtige Entscheidungen rund ums Recht am Anfang und am Ende des Lebens kamen aus Kassel und Karlsruhe. Das BSG stellte im Juni einen Vorrang der Arzneimittelsicherheit auch bei tödlichen Erkrankungen fest. So hätten gesetzlich Krankenversicherte keinen Anspruch auf Arzneimittel, die auf Grundlage einer negativen Bewertung keine Zulassung erhalten haben. Dies gelte auch für den Einsatz bei regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheiten. Unerheblich ist laut BSG, ob die negative Bewertung auf einer aussagekräftigen Studienlage beruht oder der medizinische Nutzen mit den vom Hersteller vorgelegten Daten nicht bestätigt werden konnte.

Das BVerwG entschied im November, dass Sterbewillige keine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital kaufen dürfen. Dies sei verfassungskonform, um einen gefährlichen Miss- und Fehlgebrauch zu verhindern, so das Gericht. Es gebe andere Möglichkeiten, um das eigene Leben medizinisch begleitet zu beenden.

Das BVerfG nahm hingegen im Mai die Verfassungsbeschwerde der Gießener Ärztin Kristina Hänel, die sich gegen ihre strafrechtliche Verurteilung wegen Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft und gegen den damaligen § 219a StGB gewandt hatte, nicht zur Entscheidung an. § 219a StGB sowie die hierauf beruhenden strafgerichtlichen Verurteilungen seien während des laufenden Verfahrens rückwirkend aufgehoben worden, die Voraussetzungen für ein ausnahmsweise bestehendes Rechtsschutzbedürfnis trotz Erledigung lägen nicht vor, so das BVerfG.

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 22. Dezember 2023.