Keine Corona-Mittel für Klimafonds: Karlsruhe kippt zweiten Nachtragshaushalt 2021
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© Uli Deck / dpa

Der Bund darf Mittel, die zur Be­kämp­fung der Co­ro­na-Krise ge­dach­t waren, nicht für den Kli­ma­schutz nut­zen: Das BVerfG hat das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 für ver­fas­sungs­wid­rig und nichtig erklärt. Damit klafft eine 60-Milliarden-Euro-Lücke im Klima- und Transformationsfonds.

Der Bund hatte wegen der Corona-Pandemie Kreditermächtigungen im Haushalt 2021 mit einem Nachtragshaushalt um 60 Milliarden Euro aufgestockt – das war aufgrund einer außergewöhnlichen Notsituation als Ausnahme von der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse möglich. Am Ende wurde das Geld nicht für die Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen gebraucht. Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP wollte das Geld daher für den sogenannten Klima- und Transformationsfonds nutzen und schichtete es mit Zustimmung des Bundestages rückwirkend um – allerdings erst im Jahr 2022.

Doch 197 Abgeordnete der Unionsfraktion im Bundestag klagten dagegen in Karlsruhe, weil aus ihrer Sicht auf diese Weise die Schuldenbremse umgangen wird. In einer Eilentscheidung im November 2022 hatte das Bundesverfassungsgericht noch grünes Licht gegeben – auch mit Blick auf Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn würde das Ganze gestoppt, sich später aber als verfassungsgemäß herausstellen, wäre der Schaden etwa in Form von Strompreiserhöhungen womöglich groß, hieß es zur Begründung. Im anderen Fall würde der Etat mit maximal 60 Milliarden Euro belastet.

Veranlassungszusammenhang nicht ausreichend dargelegt

Nun hat der Zweite Senat des BVerfG (Urteil vom 15.11.2023 2 BvF 1/22) entschieden, dass das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit Art. 109 Abs. 3, Art. 110 Abs. 2 und Art. 115 Abs. 2 GG unvereinbar und nichtig ist. Eine Ausnahme von der Schuldenbremse sei im Fall von "Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen", möglich (Art. 109 Abs. 3 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG). Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal sei zudem ein "sachlicher Veranlassungszusammenhang zwischen der außergewöhnlichen Notsituation und den durch die Kreditaufnahme finanzierten Maßnahmen" erforderlich. Diesen Zusammenhang habe der Gesetzgeber nicht ausreichend dargelegt.

Die Begründung der Regierung, mit der Umschichtung habe Verlässlichkeit für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung geschaffen werden sollen, um die Folgen der Pandemie zu bewältigen und die pandemiegeschwächte Wirtschaft anzukurbeln, sei nicht tragfähig. Mit Blick darauf, dass die Pandemie schon zwei Jahre andauerte und bereits 2020 notlagenbedingte Kredite in Anspruch genommen wurden, hätte der Gesetzgeber insbesondere die damaligen Maßnahmen zur Überwindung der Notlage evaluieren und darlegen müssen, ob er hieraus Schlüsse für die Geeignetheit künftiger Maßnahmen gezogen hat. Auch hätte der Gesetzgeber begründen müssen, warum die zunächst für erforderlich erachteten 60-Milliarden-Kreditermächtigungen zum Ende des Haushaltsjahres 2021 nicht zur Krisenbewältigung verwandt worden seien.

Verstoß gegen Grundsätze der Jährlichkeit, Jährigkeit und Vorherigkeit

Darüber hinaus verstößt das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 laut BVerfG auch gegen die haushaltsrechtlichen Grundsätze der Jährlichkeit und Jährigkeit. Danach müssten sich notlagenbedingte Kreditermächtigungen auf die Deckung von Ausgaben beschränken, die für Maßnahmen zur Notlagenbekämpfung in eben diesem Haushaltsjahr anfallen. Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung notlagenbedingter Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die Schuldenbremse bei gleichzeitiger Anrechnung als Schulden im Haushaltsjahr 2021 sei mit Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG nicht vereinbar.

Ferner verstoße das Gesetz gegen den Grundsatz der Vorherigkeit (Art. 110 Abs. 2 GG). Ein Nachtragsentwurf sei bis zum Jahresende des Haushaltsjahrs parlamentarisch zu beschließen. Ein Nachtragshaushalt dürfe nicht rückwirkend für das Vorjahr beschlossen werden. Dies würde der Funktion eines Haushaltsplans als Planungsinstrument widersprechen.

60-Milliarden-Euro-Lücke – Regierung legt Vorhaben auf Eis

Das Urteil hat zur Folge, dass dem Klima- und Transformationsfonds 60 Milliarden Euro wegbrechen. Die Bundesregierung legt nun Vorhaben vorübergehend auf Eis, die aus dem Fonds finanziert werden sollten. Das gelte für Verpflichtungsermächtigungen für 2024 und die Folgejahre – mit Ausnahme von Maßnahmen zur Förderung der Energieeffizienz und der Erneuerbaren Energien im Gebäudebereich, sagte Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Mittwoch in Berlin. "Wir werden umgehend damit beginnen, einen neuen Wirtschaftsplan für den Klima- und Transformationsfonds für die Jahre 2024 fortfolgend aufzustellen."

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betonte, alle zugesagten Verpflichtungen würden eingehalten. Er nannte zudem Beispiele für Vorhaben aus dem Klima- und Transformationsfonds: die Übernahme der Ökoenergie-Umlage und damit die Senkung der Stromkosten für alle Verbraucherinnen und Verbraucher, die Förderung der Gebäudesanierung durch neue Fenster, Türen und Dämmung, die Förderung von E-Mobilität inklusive der Ladesäulen-Infrastruktur, Unterstützung von Geothermie-Projekten und Ausbau von Fernwärme.

Das Urteil kann laut Lindner weitgehende Auswirkungen auf die Haushaltspolitik von Bund und allen Ländern haben. Daher werde es eingehend geprüft, sagte er.

Hinweis der Redaktion: Die aktuelle Fassung dieser Meldung ersetzt eine direkt nach der Urteilsverkündung erschienene kürzere Version.

BVerfG, Urteil vom 15.11.2023 - 2 BvF 1/22

Redaktion beck-aktuell, hs, 15. November 2023 (ergänzt durch Material der dpa).