Wichtige Urteile 2023, Teil 4: Mitten aus dem Leben
Asife/Adobe

Verpasste Flieger, zu teure Mieten und ein neuer Name fürs Kind in der Patchworkfamilie: Der vierte und letzte Teil unseres Rechtsprechungsrückblicks 2023 bietet jede Menge wichtige Urteile aus dem Verbraucherrecht, dem Miet- und WEG-Recht und natürlich dem Familienrecht. Eben mitten aus dem Leben. 

Im Reiserecht gab es eine Vielzahl an interessanten Entscheidungen, denen insbesondere eines gemein ist: Die Rechte der Reisenden werden gestärkt. So entschied etwa der BGH im Juni, dass Reisenden ein Recht auf eine zeitlich flexible und kostenlose Umbuchung nach einer Flugannullierung zusteht. Voraussetzung sei lediglich, dass auf dem gewünschten Flug noch Plätze verfügbar seien, so das Gericht in zwei Fällen, in denen die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen den Umgang der Lufthansa mit coronabedingten Flugausfällen beanstandet hatte.

Außerdem stellte der X. Senat im Juni klar, dass die Fluglinie einen Rollstuhlfahrer zügig aussteigen lassen muss, wenn dieser einen direkten Anschlussflug erreichen möchte. Andernfalls hafte sie bei einer einheitlichen Buchung, falls der Passagier sein Ziel erheblich verspätet erreicht. Die Pflicht, Personen mit eingeschränkter Mobilität vorrangig zu befördern, gelte auch in der Phase zwischen direkten Anschlussflügen.

Geld und die eigenen Daten

Egal ob beim Miet­ver­trag, dem Han­dy­an­bie­ter oder dem Strom­ver­sor­ger: Mit einem schlech­ten Schu­fa-Ein­trag hat man oft wenig Chan­cen. Nun hat der EuGH im Dezember klar­ge­stellt, dass so­wohl das "Sco­ring" als auch die län­ge­re Spei­che­rung von In­for­ma­tio­nen über die Er­tei­lung einer Rest­schuld­be­frei­ung gegen die DS-GVO ver­sto­ßen. Bei der automatisierten Erstellung eines Score-Werts handele es sich um eine dem Verbot in Art. 22 Abs. 1 DS-GVO unterfallende "automatisierte Entscheidung im Einzelfall", sofern die Kunden der Schufa dem Score-Wert eine maßgebliche Rolle im Rahmen der Kreditgewährung beimäßen. Hinsichtlich der Speicherung der Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung stellte der EuGH klar, dass die erteilte Restschuldbefreiung der betroffenen Person ermöglichen soll, sich erneut am Wirtschaftsleben zu beteiligen und damit existenzielle Bedeutung habe. Würden die Daten länger als sechs Monate gespeichert, habe die betroffene Person das Recht auf unverzügliche Löschung. Die Sechs-Monats-Frist hatte die Schufa  bereits nach den kritischen Schlussanträgen des Generalanwalts Ende März 2023 eingeführt.

Nach Ansicht von Generalanwältin Laila Medina ist die seit 2021 EU-weit bestehende Verpflichtung, in jeden neuen Personalausweis Fingerabdrücke aufzunehmen, europarechtskonform. Früher seien die nationalen Ausweisdokumente hinsichtlich Form und Sicherheitsmerkmalen uneinheitlich gewesen. Dies habe die Gefahr von Fälschungen und Dokumentenbetrug erhöht. Durch die jetzt obligatorischen Fingerabdrücke werde dieser Gefahr entgegengewirkt und die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit erleichtert.

Wohnen: Beschlusszwang in der WEG und ein nackter Vermieter

Im Wohnungseigentumsrecht landen immer noch Konsequenzen des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) aus dem Dezember 2020 auf den bundesgerichtlichen Richtertischen. Im März stellte der V. Zivilsenat des BGH klar, dass ein „Beschlusszwang” für bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums besteht. Ein Wohnungseigentümer, der eine in der Gemeinschaftsordnung nicht vorgesehene bauliche Veränderung vornehmen wolle, müsse einen Gestattungsbeschluss notfalls im Wege der Beschlussersetzungsklage herbeiführen, ehe er mit dem Bau beginnt. Dieses Verfahren sei seit Inkrafttreten des WeMoG eindeutig geregelt.

Im Juli legt der für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat fest, wie lange Mieterinnen und Mieter bei Verdacht auf Verstöße gegen die Mietpreisbremse Auskünfte zur Berechnung der Miethöhe verlangen können. Nach den Grundsatzurteilen gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren. Sie beginne allerdings nicht bereits mit Abschluss des Mietvertrages, sondern erst dann, wenn der Mieter zum ersten Mal Auskunft vom Vermieter verlangt. Geklagt hatte - stellvertretend für vier Mieter - der Rechtsdienstleister Conny GmbH (früher Wenigermiete.de).

Schließlich entschied das OLG Frankfurt a.M. im April, dass ein nackter Vermieter im Hof keinen Mietmangel darstellt. Es fehle insoweit an einer unzulässigen, gezielt sittenwidrigen Einwirkung auf das Grundstück.

Die Familie: Neue Namen, teure Leihmutter

r BGH entschied zum Familienrecht zum einen im Januar zur Einbenennung eines Minderjährigen trotz fehlender Einwilligung. Solle ein Kind aus einer vorangegangenen Ehe den neuen Namen der Stieffamilie tragen, könne die fehlende Einwilligung des anderen Elternteils nur dann vom Gericht ersetzt werden, wenn die Namensänderung aus gewichtigen Gründen für das Kindeswohl erforderlich ist. Einschränkend hat der BGH allerdings entschieden, dass eine Gefährdung des Kindeswohls ohne Namensänderung nicht erforderlich sei. Es sei außerdem zu prüfen, ob das Kind nicht beide Namen tragen könne.

Zum anderen hat im Augst ebenfalls der XII. Zivilsenat die umstrittene Frage, ob bei der Vaterschaftsanerkennung das Zustimmungserfordernis der Mutter auch noch nach ihrem Tod gilt, verneint. Sei das Kind allerdings – anders als im entschiedenen Fall – noch keine 14 Jahre alt, müsse der gesetzliche Vertreter zustimmen.

Der BFH erklärte im August, dass zwei homosexuelle Männer, die ein Kind von einer Ersatzmutter austragen lassen, die Kosten dafür nicht von der Einkommensteuer absetzen können. Denn dabei handele es sich nicht um die Behandlung einer Krankheit. Zudem verstoße die Einschaltung der Leihmutter gleich mehrfach gegen das Embryonenschutzgesetz.

Das BVerfG schließlich will seine frühere Ansicht zur Eltern-Kind-Beziehung überprüfen. Es möchte klären, welche Folgen mehr als zwei Elternteile für die Entwicklung eines Kindes haben können. Hintergrund ist die Klage eines leiblichen Vaters, der nicht rechtlicher Vater seines Sohnes werden konnte, weil der Lebensgefährte der Mutter als Vater eingetragen wurde. Ein Urteil wird jedoch erst in einigen Monaten erwartet.

 

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 29. Dezember 2023.