VG Wiesbaden zweifelt an Verordnung und ruft EuGH an
Im November 2021 beantragte ein deutscher Staatsbürger bei der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden einen neuen Personalausweis. Dabei ersuchte er ausdrücklich darum, den Ausweis ohne die Aufnahme von Fingerabdrücken im Chip auszustellen. Die Landeshauptstadt lehnte dies ab. Der Personalausweis könne aufgrund der Verordnung 2019/1157 nicht ohne ein Abbild von Fingerabdrücken des Inhabers ausgestellt werden. Das daraufhin angerufene VG Wiesbaden hegt Zweifel an der Gültigkeit der Verordnung und demzufolge an dem verpflichtenden Charakter der Erfassung und Speicherung von Fingerabdrücken in deutschen Personalausweisen. Es möchte vom EuGH wissen, ob die richtige Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung Art. 21 Abs. 2 AEUV oder nicht vielmehr Art. 77 Abs. 3 AEUV gewesen sei. Der EuGH möge zudem klären, ob die Verordnung mit den Art. 7 GRCh und Art. 8 GRCh in Verbindung mit Art. 52 Abs. 1 GRCh vereinbar ist und mit der Verpflichtung zur Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung gemäß Art. 35 Abs. 10 DS-GVO in Einklang steht.
Art. 21 Abs. 2 AEUV taugliche Rechtsgrundlage
Nach Ansicht von EuGH-Generalanwältin Laila Medina wurde die Verordnung 2019/1157 zu Recht auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 2 AEUV erlassen, um die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit zu erleichtern. Dafür sei ein zuverlässiger und authentischer Identitätsnachweis erforderlich. Die Personalausweise seien durch die Vereinheitlichung ihres Formats und der Verbesserung ihrer Zuverlässigkeit durch Sicherheitsstandards wie digitale Fingerabdrücke vertrauenswürdiger geworden, die Akzeptanz bei Behörden und Dienstleistern sei gestärkt worden. Letztendlich bedeute dies weniger Unannehmlichkeiten, Kosten und administrative Hindernisse für mobile Unionsbürger. Die dem Rat durch Art. 77 Abs. 3 AEUV verliehene Zuständigkeit beziehe sich dagegen ausschließlich auf den Kontext der Grenzkontrollpolitik. Eine Unionsmaßnahme, die über diesen spezifischen Zusammenhang hinausgehe, wie die Verordnung 2019/1157, falle nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung.
Einschränkung von Grundrechten gerechtfertigt
Die durch die Verordnung eingeführte Verpflichtung, ein Abbild von zwei Fingerabdrücken zu erfassen und in Personalausweisen zu speichern, werde das in in Art. 7 GRCh gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und das in Art. 8 GRCh gewährleistete Recht auf Schutz personenbezogener Daten eingeschränkt, so Medina weiter. Dies sei allerdings nach Art. 52 Abs. 1 GRCh gerechtfertigt. Früher seien die nationalen Ausweisdokumente hinsichtlich Form und Sicherheitsmerkmalen uneinheitlich gewesen. Dies habe die Gefahr von Fälschungen und Dokumentenbetrug erhöht. Durch die nunmehr bestehende Pflicht zur Abnahme und Speicherung von Fingerabdrücken werde dieser Gefahr entgegengewirkt. Diese Pflicht sei zur Erreichung des Ziels der Verordnung auch erforderlich, da insbesondere kein milderes, gleich effektives Mittel ersichtlich sei.
Daten hinreichend geschützt
Darüber hinaus biete die Verordnung hinreichende und geeignete Maßnahmen, die sicherstellten, dass die Erfassung, Speicherung und Verwendung biometrischer Identifikatoren wirksam vor Missbrauch oder Fehlgebrauch geschützt sei. Garantiert sei, dass in einem neu ausgestellten Ausweis gespeicherte biometrische Identifikatoren ausschließlich dem Ausweisinhaber zur Verfügung stehen und nicht öffentlich zugänglich sind. Ferner enthalte die Verordnung 2019/1157 keine Rechtsgrundlage für die Einrichtung oder Aufrechterhaltung nationaler Datenbanken oder einer zentralen Datenbank auf der EU-Ebene.
Folgenabschätzung nach der DS-GVO war nicht erforderlich
Medina führt weiter aus, dass das EU-Parlament und der Rat in dem Gesetzgebungsverfahren, das zum Erlass der Verordnung 2019/1157 geführt hat, nicht zur Durchführung einer Folgenabschätzung nach Art. 35 Abs. 10 DS-GVO verpflichtet gewesen seien. Die DS-GVO und die Verordnung 2019/117 seien Rechtsakte des Sekundärrechts, die in der Hierarchie der Quellen des Unionsrechts gleichrangig seien. Außerdem ergebe sich aus der DS-GVO an keiner Stelle, dass die Verpflichtung zur Durchführung einer Folgenabschätzung für den Unionsgesetzgeber verbindlich sei.