OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 30.11.2018, 17 U 20/18 (rkr.)
„Man muss viel gelernt haben, um über das, was man nicht weiß, fragen zu können.“ Dieses etwas sperrige Zitat des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau sollten sich selbstständige (Bilanz-)Buchhalter und Steuerberater zu Herzen nehmen.
Wenn die vom Mandanten erhaltenen Informationen nicht zur Beurteilung eines Sachverhalts ausreichen, muss man nachfragen. Dies sieht auch das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein so.
Praxis-Info!
Problemstellung
Der Beklagte war als Steuerberater mit der Lohnbuchhaltung der Klägerin beauftragt. Zu seinen Aufgaben zählten auch die buchhalterische Ersteinrichtung neuer Arbeitnehmer sowie die Erstellung der monatlichen Lohn- und Gehaltsabrechnungen der Arbeitnehmer der Klägerin.
Bei einem neu beschäftigten Arbeitnehmer unterblieb die Abführung von Arbeitnehmeranteilen zurRentenversicherung, da der betroffene 65-jährige Arbeitnehmer fälschlicherweise als beschäftigter Altersrentner abgerechnet wurde. Im Rahmen einer Betriebsprüfung nahm die Deutsche Rentenversicherung den Arbeitgeber auf Nachzahlung und Säumniszuschläge in Anspruch. Das Unternehmen verlangte daraufhin vom Steuerberater Schadensersatz.
Lösung
Aus Sicht des OLG Schleswig-Holstein hat ein mit der Lohnabrechnung beauftragter steuerlicher Berater grundsätzlich auch zu prüfen, ob für Arbeitnehmer eine Befreiung von der Versicherungspflicht in Betracht kommt, wenn Beiträge nicht abgeführt werden. Ansonsten muss er entweder auf die Abführung der geschuldeten Beiträge hinwirken oder bei von ihm nicht lösbaren Zweifelsfragen die Einschaltung eines Sozialversicherungsrechtsexperten empfehlen. Dies gilt vor allem dann, wenn der Steuerberater damit wirbt, seine Mandanten bei der Lohn- und Gehaltsabrechnung „von allen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Fragen ... entlasten“ zu wollen. Bei der buchhalterischen Ersteinrichtung eines 65-jährigen Arbeitnehmers sollte ein erfahrener Berater ein „hinreichendes Problembewusstsein“ haben, um die erforderlichen Nachforschungen zu treffen oder die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Spezialisten zu erkennen.
Die Klägerin (der Arbeitgeber als Mandant) hatte dem Steuerberater u.a. das Geburtsdatum und die Sozialversicherungsnummer des neu eingestellten Arbeitnehmers mitgeteilt. Aus dem Geburtsdatum konnte der mit der Lohnabrechnung Beauftragte auf das Alter des Arbeitnehmers schließen und hätte fragen müssen, wie es mit dem Rentenbezug des ersichtlich sozialversicherten Arbeitnehmers steht. Zwar lagen die zur Klärung des Sachverhalts notwendigen Informationen unstreitig dem Steuerberater nicht vor. Aber es konnte aus Sicht des OLG erwartet werden, dass der Steuerberater in einer solchen Situation die zur Sachverhaltsaufklärung benötigten Informationen vom Arbeitnehmer anfordert.
Nach Auffassung des OLG Schleswig-Holstein kann es nicht die Aufgabe eines Mandanten sein, seine Berater und Dienstleister kontinuierlich zu überwachen (Anmerkung: Das Bayrische Landessozialgericht sieht dagegen Arbeitgeber, die zentrale Beitragspflichten an Steuerberater delegieren, in der Pflicht, deren Handlungsweise zu hinterfragen). Ein Mitverschulden des Arbeitgebers liegt somit nicht vor. Zu Recht kann die Klägerin deshalb den an den Rentenversicherer abzuführenden Arbeitnehmeranteil zuzüglich Säumniszuschlägen als ersatzfähigen Schaden fordern.
„Keine Buchung ohne Beleg“, so eines der ehernen Gesetze der Buchhaltung. Doch ist es für selbstständige (Bilanz-)Buchhalter auch wichtig, den zu buchenden Sachverhalt zu verstehen. Nur so kann sichergestellt werden, dass komplexe Sachverhalte korrekt in der Buchhaltung abgebildet werden. Reichen die vom Kunden (Mandanten) vorgelegten Informationen zum Verständnis des Sachverhalts nicht aus, muss nachgefragt werden. Bilanzbuchhalter sollten aufgrund ihrer Qualifizierung dabei in der Lage sein, die richtigen Fragen stellen zu können. |
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 2/2019
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