Aufforderungsschreiben – Vertragsverletzung Nr. 2018/2171, EU-Kommission vom 19.7.2018
Im Kern geht es um die Bestimmungen der deutschen Rechtsvorschriften zur Beschränkung der Aufnahme oder Ausübung eines Berufs durch die Inhaber einer bestimmten Berufsqualifikation, einschließlich des Führens der Berufsbezeichnung und der im Rahmen dieser Berufsbezeichnung erlaubten beruflichen Tätigkeiten. Hieran knüpft sich die Frage: Inwieweit sind diese deutschen Regelungen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (gemäß der Richtlinie 2005/36/EG) vereinbar?
Bei 25% der eingetragenen Berufe haben die deutschen Behörden bislang noch keine Bewertung der Verhältnismäßigkeit in der von der EU-Kommission zur Verfügung gestellten Datenbank der reglementierten Berufe aufgeführt (so die Feststellungen der EU-Kommission).
Betroffen hiervon sind, so die EU-Kommission, auch die Befugnisbeschränkungen des deutschen Steuerberatungsgesetzes (StBerG).
Hintergrund: Die Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen – in der durch die Richtlinie 2013/55/EU geänderten Fassung – enthält Direktiven über den Zugang zu einem reglementierten Beruf oder dessen Ausübung in einem EU-Mitgliedstaat. Dabei wird an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen angeknüpft. Zudem geht es um die Anerkennung von erworbenen Berufsqualifikationen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten. |
Nach Auffassung der EU-Kommission ist der Vorbehalt der Tätigkeiten von Steuerberatern im Steuerberatungsgesetz unverhältnismäßig. Die hierzu angeführte Begründung der EU-Kommission wirkt überzeugend: In § 4 StBerG (Befugnis zu beschränkter Hilfeleistung in Steuersachen) wird eine große Zahl von Berufsgruppen aufgeführt (insgesamt 16), die zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt sind, obgleich sie weder einer behördlichen Genehmigung bedürfen noch Anforderungen an deren Berufsqualifikation gestellt werden, wie dies bei den Leitungsorganen von Steuerberatungsgesellschaften der Fall ist. Unter diesen Berufsgruppen finden sich u.a.
- Notare und Patentanwälte,
- Verwahrer und Verwalter fremden Vermögens,
- Unternehmer, die ein Handelsgewerbe betreiben,
- Berufsvertretungen und -vereinigungen,
- Lohnsteuerhilfevereine,
- Arbeitgeber,
- inländische Kapitalanlagegesellschaften,
- ausländische Kreditinstitute und
- öffentlich bestellte versicherungsmathematische Sachverständige.
Diese Berufsgruppen dürfen im Rahmen ihrer Haupttätigkeit zusätzlich Hilfe in Steuersachen leisten. Demnach hinkt die Behauptung, die deutschen Regelungen im Steuerberatungsgesetz schützten durch die Anforderungen an die Berufsqualifikation der für die Leitung von Steuerberatungsgesellschaften Verantwortlichen die Empfänger von geschäftsmäßigen Hilfsleistungen in Steuersachen in systematischer und zusammenhängender (kohärenter) Weise.
Die EU-Kommission bezweifelt zudem, „dass alle vorbehaltenen Tätigkeiten derart komplex sind, dass sie unbedingt eine Vollqualifikation als Steuerberater erfordern“. Es sei nicht erforderlich, dass die Tätigkeiten der Dienstleister nur von Personen mit einer spezifischen Berufsqualifikation ausgeübt werden dürfen, soweit derartige Tätigkeiten im Wesentlichen administrativer Natur sind.
Die EU-Kommission fordert die Bundesregierung auf, sich binnen zwei Monaten nach Eingang dieses Schreibens hierzu zu äußern.
Weitere Hinweise der EU-Kommission in ihrem Aufforderungsschreiben
Berufsangehörige, die einer echten wirtschaftlichen Tätigkeit in ihrem Herkunftsmitgliedstaat nachgehen, können die Tätigkeiten dieses Berufs in der Regel auch im Aufnahmemitgliedstaat ausüben. Dies gilt selbst dann, wenn dort entweder dieser Beruf an sich nicht existiert oder die Tätigkeiten einem anderen Beruf vorbehalten sind bzw. diesem Beruf im Aufnahmemitgliedstaat ein breiteres Spektrum an Tätigkeiten vorbehalten ist. In beiden Fällen können Antragsteller einen partiellen Zugang zu Tätigkeiten erhalten, die im Aufnahmemitgliedstaat einem bestimmten Beruf vorbehalten sind. Der Aufnahmemitgliedstaat hat den partiellen Zugang auf Einzelfallbasis zu prüfen und darf ihn nur dann verweigern, wenn dies durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.
Personen, deren Berufsqualifikation anerkannt wird, müssen allerdings über die Sprachkenntnisse verfügen, die für die Ausübung ihrer Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat erforderlich sind. Die EU-Mitgliedstaaten dürfen aber keine systematischen Anforderungen an die Sprachkenntnisse (systematische Sprachprüfungen) sowie keine Vorlage einer bestimmten Sprachbescheinigung verwaltungsrechtlich vorschreiben. Es sollte gestattet sein, die Sprachkenntnisse auf unterschiedliche Weise gegenüber den Behörden glaubhaft nachzuweisen.
Praxis-Info!
- In Bezug auf die in Zweifel gezogenen Vorbehaltsaufgaben des steuerberatenden Berufs stellt sich die Frage, weshalb selbstständige Bilanzbuchhalter/innen nicht befugt sein sollten, Umsatzsteuer-Voranmeldungen zu erstellen. Denn das Buchen laufender Geschäftsvorfälle stellt ja gerade die Grundlage für die Anfertigung der Umsatzsteuer-Voranmeldung dar. Auf dieser Basis wird vom Buchführungsprogramm die Umsatzsteuer-Voranmeldung des betreffenden Voranmeldungszeitraums automatisiert erzeugt („Knopfdruck“, vgl. Pruns, BC 2017, 40, Heft 1).
- In scharfer Form hat der Präsident des Deutschen Steuerberaterverbands e.V. (DStV), StB/WP Harald Elster, das von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren (während des 41. Deutschen Steuerberatertags in Bonn am 8.10.2018) kritisiert. Er bezeichnete dies als einen „bösartigen Angriff auf die deutschen Steuerberater“. Es handle sich offensichtlich um Fehleinschätzungen der EU-Kommission (vgl. u.a. F.A.Z. vom 9.10.2018). Denn der steuerberatende Beruf sei sehr wohl komplex und erfordere hohe Qualitätsansprüche. § 4 StBerG enthalte lediglich Ausnahmeregelungen, die im Einzelfall dazu befähigten, beschränkte Hilfeleistung in Steuersachen zu erbringen.
[Anm. d. Red.]
BC 11/2018
becklink411193