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Selbstständige/Berufsrecht
   

Sozialversicherungspflicht einer selbstständigen Bilanzbuchhalterin

Christian Thurow

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.10.2018, L 11 R 1095/17 (rkr.)

 

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V der Sozialversicherungspflicht. Doch trifft dies auch auf eine selbstständige Bilanzbuchhalterin zu, welche gegen Stundenhonorar für einen Steuerberater tätig wird?


 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Eine Bilanzbuchhalterin schloss mit einem Steuerberater einen „Vertrag über freie Mitarbeit“ ab. Die Mitarbeit bezog sich insbesondere auf die Mitwirkung bei der Erstellung von Jahresabschlüssen, Gewinnermittlungen und Steuererklärungen. Arbeitszeit und -ort waren nicht vorgegeben; es mussten lediglich die mit dem Auftraggeber vereinbarten Fälligkeitstermine eingehalten werden. Die Parteien vereinbarten ein Stundenhonorar von 35 € netto. Des Weiteren erhielt die Bilanzbuchhalterin 12% des von ihr erwirtschafteten Nettoumsatzes. Laut einer mündlichen Sondervereinbarung wurden 45 €/Stunde (bzw. 50 €) ohne Umsatzbeteiligung sowie 70% Umsatzbeteiligung bei eigener Akquise gewährt.

Die Buchhalterin beantragte die Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status. Aus Sicht des Rentenversicherungsträgers lag ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vor. Begründet wurde diese Sichtweise mit folgenden Argumenten:

  • Das fachliche Letztentscheidungsrecht liegt beim Steuerberater.
  • Die Bilanzbuchhalterin arbeitet hauptsächlich in den Räumen des Steuerberaters und benutzt dessen Software (DATEV).
  • Die eigene Arbeitskraft werde nicht mit ungewissem Erfolg eingesetzt, da ein pauschales Stundenhonorar von 35 € vereinbart worden ist. Somit trägt die Bilanzbuchhalterin kein unternehmerisches Risiko.
  • Die Bilanzbuchhalterin verfügt weder über eine eigene Betriebsstätte noch über eigene Betriebsmittel.

Die Bilanzbuchhalterin führte dagegen an, dass eine freie Mitarbeit vereinbart worden sei. Die Entscheidung, einzelne Aufträge anzunehmen, verbleibe bei ihr. Diese freie Entscheidung zur Auftragsannahme ist in einem angestellten Arbeitsverhältnis nicht möglich. Auch habe ein unternehmerisches Risiko bestanden, da die Bilanzbuchhalterin laut Vertrag in vollem Umfang für verursachte Schäden haftet.

 

 

 

Abb.:Voraussetzungen der freien Mitarbeit eines selbstständigen Bilanzbuchhalters bei einem Steuerberater (gemäß § 17 BOStB)

 

 

Lösung

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg gibt der Bilanzbuchhalterin recht. Eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung setzt voraus, dass die beschäftigte Person in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert ist und dabei einem „Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt“. Das Gericht hält fest, dass die Tätigkeit als Bilanzbuchhalterin grundsätzlich sowohl in abhängiger Beschäftigung als auch selbstständig ausgeübt werden kann. Es kommt somit auf die Vertragsgestaltung im Einzelfall an.

Im Ausgangsfall liegt aus Sicht des Gerichts keine maßgebliche Eingliederung der Bilanzbuchhalterin in den Betrieb des Steuerberaters vor. Folgende Argumente führt das Gericht an:

  • Das fachliche Letztentscheidungsrecht stellt keine Überwachung des Arbeitsprozesses dar, sondern ist der Verpflichtung des Steuerberaters zur Erteilung eines Testats gegenüber dem Mandanten geschuldet.
  • Die Arbeit in den Räumen des Steuerberaters erfolgte lediglich aus Praktikabilitäts- und Effizienzgründen sowie aus datenschutzrechtlichen Erwägungen. Sie war auch nicht zwingend erforderlich.
  • Die Bilanzbuchhalterin trug auch ein (geringes) unternehmerisches Risiko. Sie konnte eine Vergütung nur dann beanspruchen, wenn sie Aufträge erhielt und fristgerecht fertigstellte. Bei abhängig Beschäftigten ergibt sich ein Lohnanspruch dagegen schon daraus, sich arbeitsbereit zu halten. Ein Mindesteinkommen war der Bilanzbuchhalterin nicht garantiert.
  • Ein Indiz für die Selbstständigkeit ist auch, dass die Bilanzbuchhalterin die Möglichkeit hatte, Aufträge anzunehmen oder abzulehnen.

Bei Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls liegt aus Sicht des Gerichts daher eine sozialversicherungsfreie Selbstständigkeit vor.

 

 

 

Praxishinweise:

  • Nach Auffassung des LSG Baden-Württemberg sagt allerdings die Gewerbeanmeldung nichts darüber aus, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt. Sie ist allenfalls ein Hinweis auf eine gewollte Selbständigkeit, mit der Anmeldung ist jedoch keine Entscheidung über die sozialversicherungsrechtliche Qualifikation verbunden. Gleiches gilt für die fehlende Vereinbarung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder bezahltem Urlaub.
  • Klafke warnt in DStR 2019, 408, Heft 8, daher: Eine freie Mitarbeit bei einem Steuerberater wird gegebenenfalls sozialversicherungsrechtlich als Scheinselbstständigkeit eingeordnet (nicht mehr als selbstständige Tätigkeit anerkannt), wenn folgende Kriterien kumulativ zusammenwirken:
    – über Jahre gewohnheitsmäßig durchgeführte Tätigkeit,
    – Vorliegen eines starren Vergütungsmodells,
    – Nutzung eines eigenen festen Büros innerhalb der Steuerkanzlei,
    – Abbildung auf der Webseite des Kanzleiinhabers als Teammitglied,
    – keinerlei Eigenakquise,
    – keine sonstige Betätigung darüber hinaus.
    Im vorliegenden Streitfall belief sich indes die freie Mitarbeit über einen Zeitraum von weniger als einem Jahr; zudem führte die selbstständige Bilanzbuchhalterin einen eigenen Kunden- bzw. Mandantenstamm, und die Vergütung war mandatsbezogen ausgestaltet und häufiger Ergebnis von Einzelverhandlungen.
  • Pruns weist in BC 2012, 286, Heft 7, darauf hin: Bei der freien Mitarbeit ist der Steuerberater alleiniger Auftragnehmer und nicht (auch) der selbstständige Bilanzbuchhalter. Der Steuerberater überwacht den selbstständigen Bilanzbuchhalter fachlich und darf ihm Weisungen geben. Die Honoraraufteilung zwischen beiden muss frei ausgehandelt sein und außerdem dem jeweils geleisteten Arbeitsaufwand entsprechen. Der selbstständige Bilanzbuchhalter darf nicht das vollständige Honorar vom Mandanten vereinnahmen und dann dem Steuerberater seinen Anteil überweisen.

 

 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)

 

 

BC 7/2019

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