BSG-Urteil vom 27.4.2021, B 12 KR 27/19 R
In Zeiten von Home-Office und flexibler Arbeitszeitgestaltung verwischt die Grenze von Berufs- und Privatleben zusehends. Ein wesentliches Kriterium für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status ist die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Ist diese noch gegeben, wenn die betroffene Person Arbeitszeit und Ort frei wählen kann? Dies ist einer der Gesichtspunkte, mit denen sich das Bundessozialgericht (BSG) in einem Urteil auseinandergesetzt hat.
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Problemstellung
Der Kläger war als freier Mitarbeiter bei einer Steuerberatungsgesellschaft als Buchführungshelfer tätig. Seine Tätigkeit übte er dabei „weisungsgebunden unter der fachlichen Aufsicht und beruflichen Verantwortung“ der Steuerberatungsgesellschaft aus (siehe Abbildung). Seine Tätigkeiten rechnete er mit einem prozentualen Anteil der Steuerberatungsgebühr gegenüber der Gesellschaft ab, wobei er monatliche Einkünfte zwischen 330 € und 400 € erwirtschaftete.
Im Rahmen eines Statusfeststellungsantrags stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund fest, dass die Tätigkeit als Buchführungshelfer in einem abhängigen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis erfolge.
Das erstinstanzliche Sozialgericht sah dagegen eine selbstständige, sozialversicherungsfreie Tätigkeit vorliegen, während es sich laut Landessozialgericht bei der Tätigkeit als Buchführungshelfer wegen Geringfügigkeit um eine in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung „nicht versicherungspflichtige Beschäftigung“ gehandelt habe.
Abb.: Voraussetzungen der freien Mitarbeit eines selbstständigen Bilanzbuchhalters bei einem Steuerberater (gemäß § 17 BOStB)
Lösung
Aufgrund von Prozessformalitäten hatte das Bundessozialgericht (BSG) nicht mehr über die Vorlage einer Versicherungspflicht zu entscheiden. Das BSG bestätigt in seinem Urteil aber die Auffassung des Landessozialgerichts, dass im Ausgangsfall von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen ist.
Laut SGB IV setzt eine Beschäftigung voraus, dass eine Tätigkeit nach Weisungen des Weisungsgebers zu erfolgen hat. Durch das steuerberatungsrechtliche Weisungsrecht des Steuerberaters gegenüber dem Buchführungshelfer liegt eine weisungsgebundene Tätigkeit vor.
Durch die Abrechnung im Rahmen der Steuerberatungsgebühr war der Buchführungshelfer auch in die Abrechnungsorganisation der Steuerberatungsgesellschaft eingegliedert. Eine auftragsbezogene Abrechnung – z.B. auf tatsächlicher Stundenbasis – lag nicht vor.
Weisungsgebundenheit und Eingliederung sind hierbei die zentralen Kriterien zur Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses. Dass der Buchführungshelfer Arbeitszeit und Ort frei wählen konnte, spricht in der modernen Arbeitswelt nicht zwingend für eine Selbstständigkeit. Es ist auch nicht entscheidend, dass die Steuerberatungsgesellschaft das ihr zustehende Weisungsrecht faktisch nicht ausgeübt hat.
Insbesondere der Hinweis auf die Weisungsgebundenheit wiegt schwer. Im Ausgangsfall war der Kläger zunächst selbstständig tätig, bis ihm das Finanzamt mitteilte, dass er nicht zum Kreis der zur Steuerberatung berechtigten Personen gehöre und ihm Hilfeleistungen in Steuersachen – bis auf die Durchführung mechanischer Arbeitsgänge – verboten seien. Um seine Mandaten weiter zu betreuen, „flüchtete“ der Kläger daraufhin unter den berufsrechtlich schützenden Mantel der Steuerberatungsgesellschaft. In einem solchen Fall ist es aber immanent, dass der Steuerberater ein Weisungsrecht hat. Auch wird in der Regel die Eingliederung in die Abrechnungsorganisation des Steuerberaters vorliegen. Solange Bilanzbuchhalter/innen in ihrer Tätigkeit durch die Steuerberaterprivilegien begrenzt werden, erscheint eine freie Mitarbeit nur schwer möglich. |
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 4/2022
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