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Rechnungslegung/Jahresabschluss
   

Berechnung der Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach der Immobilienwertermittlungsverordnung (Wertgutachten): Zulässige Grundlage zur AfA-Ermittlung?

Christian Thurow

FG Münster Urt. v. 27.4.2023 – 1 K 487/19 E (Revision nicht zugelassen)

 

Die Restnutzungsdauer eines Gebäudes ist bekanntlich der wesentliche Einflussfaktor auf die Höhe der ansetzbaren gewinnmindernden Abschreibungen. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass das Thema immer wieder zu Streitigkeiten zwischen Steuerpflichtigen und Finanzamt führt. In einem aktuellen Fall ging es diesmal um die Anerkennung eines von Steuerpflichtigen eingeholten Wertgutachtens.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Die Kläger erzielten Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung mehrerer Wohnimmobilien. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung ermittelten die Kläger die AfA für die vermieteten Gebäude nicht anhand der typisierten, sondern unter Zugrundelegung einer kürzeren Nutzungsdauer, welche auf Grundlage von Privatgutachten ermittelt worden war. Die Gutachten wurden dabei von einem öffentlich bestellten und vereidigten sowie nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifizierten Sachverständigen durchgeführt. Der Gutachter hatte den jeweiligen Verkehrswert für die einzelnen Immobilien auf der Grundlage der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) ermittelt, wobei auch der jeweilige Modernisierungszustand in die Bewertung einfloss.

Das Finanzamt akzeptierte das Gutachten nicht, da keine konkreten Umstände benannt worden sind, weshalb die jeweiligen Vermietungsobjekte eine tatsächlich kürzere oder längere Nutzungsdauer hätten. Wertrelevante Bauschäden und Baumängel wurden in den Gutachten nicht aufgeführt. Anders als vom Gutachter angeführt, sei eine kürzere Nutzungsdauer der Gebäude nicht bereits dann anzunehmen, wenn zukünftig Modernisierungen anfielen.

 

 

Lösung

Das Finanzgericht (FG) Münster widerspricht der Auffassung des Finanzamts. Grundsätzlich ist es die Sache des Steuerpflichtigen, im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Restnutzungsdauer nachzuweisen. Entscheidend ist, dass die Nachweismethode Rückschlüsse auf die zu ermittelnden Determinanten (Bestimmungsgrößen) – z.B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen – ermöglicht. Es muss die größtmögliche Wahrscheinlichkeit für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer nachgewiesen werden. Ein bestimmtes Ermittlungsverfahren ist dabei nicht vorgeschrieben. Auch das Verfahren der Gebäudesachwertermittlung nach ImmoWertV kann dabei Anwendung finden. Zwar ist der primäre Fokus dieses Modells zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer unter Berücksichtigung von Modernisierungen nicht primär auf die Ermittlung der tatsächlichen Nutzungsdauer ausgerichtet; es kann aber gleichwohl als Schätzungsgrundlage dienen. Folgende Punkte untermauern die „Gültigkeit“ des Gutachtens:

  • Der sachverständige Gutachter ist öffentlich bestellt und vereidigt sowie nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifiziert. Dies entspricht auch den Vorgaben der Finanzverwaltung an die Qualifikation eines Gutachters für die Ermittlung einer verkürzten Restnutzungsdauer.
  • Im Ausgangsfall hat der Sachverständige im Rahmen einer Ortsbesichtigung den Zustand der Immobilienobjekte in Augenschein genommen (u.a. Zustand der Wände, Dächer, Fenster, Heizungsanlagen) und in seine Bewertung einfließen lassen (Aufzeigen des Instandsetzungsbedarfs). Er muss hierbei nicht wesentlich auf die tragenden Elemente des Gebäudes abstellen.
  • Eine modellhafte Berechnung entsprechend den Festlegungen der örtlich zuständigen Gutachterausschüsse ist ebenfalls in das Gutachten eingeflossen.

Aus Sicht des FG Münster hat der Sachverständige in seinem Gutachten nachvollziehbar dargelegt, wie die von ihm begutachteten Mängel und der festgestellte Renovierungszustand bei der Ermittlung der Restnutzungsdauern berücksichtigt worden sind.

Auch die Versuche des Finanzamts, die Glaubwürdigkeit des Sachverständigen zu erschüttern, akzeptiert das FG Münster nicht. Zwar wirbt der Sachverständige auf seiner Webseite damit, Gutachten zum Nachweis einer höheren Abschreibung sowie zur Minderung der Steuerlast zu erstellen. Dennoch ist diese Werbung nicht ausreichend, um ein vom Gutachter erstelltes Gutachten prinzipiell abzulehnen.

Da das Finanzamt die im Gutachten verwendeten Einflussfaktoren nicht glaubhaft erschüttern konnte, kann das Gutachten als Nachweis für eine verkürzte Restnutzungsdauer dienen.

 

 

Bilanzierungshinweis:

Laut einem jüngeren Schreiben des Bundesfinanzministeriums ist es zulässig, eine kürzere Nutzungsdauer mit der Folge erhöhter AfA-Beträge geltend zu machen (vgl. BMF 22.2.2023, BStBl. I 2023, 332; BC 2023, 106 ff., Heft 3). Hierbei verlangt die Finanzverwaltung (siehe Randziffern 22 bis 24 des Schreibens), dass der Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 2 EStG durch Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken oder von Personen, die von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken nach entsprechender Norm zertifiziert worden sind, zu erbringen ist. Obgleich dieses BMF-Schreiben die Rechtsmaßstäbe des BFH-Urteils vom 28.7.2021 – IX R 25/19 (BFH/NV 2022, 108) – modifiziert, hat das FG Münster eine Revision nicht zugelassen. Denn laut diesem BFH-Urteil dürfen Steuerpflichtige eine verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer (als die in § 7 Abs. 4 EStG festgelegte) bei der Ermittlung einer Gebäude-AfA berücksichtigen und sich dabei jeder Darlegungsmethode bedienen. Demgegenüber sind gemäß dem genannten BMF-Schreiben Verkehrswertgutachten z.B. nicht als Nachweis geeignet. Das gilt u.a. auch für die nach der Immobilienwertermittlungsverordnung festgestellte Restnutzungsdauer.

Es empfiehlt sich gegebenenfalls, in vergleichbaren Fällen den betreffenden Steuerbescheid durch einen Einspruch offenzuhalten und die weitere Entwicklung abzuwarten oder den Klageweg zu beschreiten.

 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)

 

 

BC 7/2023

BC2023708

 

 

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