BFH Urt. v. 9.3.2023 – IV R 24/19
1. Der Handelsbilanzwert für Nachsorgerückstellungen bildet auch nach Inkrafttreten des BilMoG gegenüber einem höheren steuerrechtlichen Rückstellungswert die Obergrenze.
2. Der maßgebliche Handelsbilanzwert bestimmt sich unter Berücksichtigung der als GoB zu beurteilenden Bewertungsgrundsätze des Handelsrechts (§§ 252 ff. HGB) und damit auch unter Berücksichtigung des Beibehaltungswahlrechts des Art. 67 Abs. 1 S. 2 EGHGB.
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Problemstellung
Eine GmbH & Co. KG bildete nach Rekultivierung oder Stilllegung von 14 abgeschlossenen Deponien eine Nachsorgerückstellung, und zwar für laufende Betriebskosten, ausstehende Rekultivierungs- und Abdichtungskosten und sonstigen zukünftigen Aufwand für Nachsorgeverpflichtungen. Damit wurden die sich aus den §§ 36 ff. des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) ergebenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen berücksichtigt, die nach § 61 KrW-/AbfG sanktionsbewehrt sind. Die längste Restlaufzeit beträgt ab Ende 2010 (Streitjahr) 22 Jahre.
Die Rückstellungswerte basierten auf Gutachten und enthielten einen pauschalen Sicherheitszuschlag in Höhe von 10% auf die ermittelten Werte.
In der Handelsbilanz auf den 31.12.2010 setzte die GmbH & Co. KG hierfür sonstige Rückstellungen an. Im Anhang zum Jahresabschluss wurde festgehalten: Durch die erstmalige Anwendung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) vom 25.5.2009 (BGBl. I 2009, 1102) wurden die entstandenen Auflösungsbeträge in Anwendung des Wahlrechts nach Art. 67 Abs. 1 S. 2 EGHGB nicht bilanziell umgesetzt.
Das Finanzamt erkannte das Beibehaltungswahlrecht nach Art. 67 Abs. 1 S. 2 EGHGB steuerlich nicht an (keine Übernahme in die Steuerbilanz!). Begründung: Das Wahlrecht gemäß Art. 67 Abs. 1 S. 2 EGHGB zähle nicht zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB). Daher setzte das Finanzamt in der Steuerbilanz eine um knapp 30% niedrigere Nachsorgerückstellung an. Außerdem wurde der Sicherheitszuschlag mangels hinreichender Konkretisierungen um knapp 50% gekürzt. Im Gegenzug wurde die Rücklage nach EStR 6.11 Abs. 3 erhöht.
Streitig ist somit, welche Rechtsfolgen sich aus der Ausübung des Beibehaltungswahlrechts nach Art. 67 Abs. 1 S. 2 EGHGB in der Handelsbilanz der GmbH & Co. KG für die Bewertung einer Nachsorgerückstellung in deren Steuerbilanz zum 31.12.2010 ergeben.
Lösung
Bei der Berechnung der Höhe der Nachsorgerückstellung ist der von der GmbH & Co. KG zum 31.12.2010 angesetzte handelsbilanzielle Rückstellungswert als Ausgangspunkt zu berücksichtigen, der sich nach Ausübung des Wahlrechts gemäß Art. 67 EGHGB ergeben hat.
- Die steuerbilanziellen Rückstellungsbeträge, die sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a bis f EStG ergeben, dürfen den zulässigen Ansatz nach der Handelsbilanz nicht überschreiten.
- Ansatz und Bewertung in der Handelsbilanz dürfen in der Steuerbilanz nur dann und nur insoweit durchbrochen werden, als der Gesetzgeber steuerrechtliche Ansatz- oder Bewertungsvorbehalte festgeschrieben hat (§ 5 Abs. 6 EStG).
- Mit Art. 67 Abs. 1 S. 2 EGHGB wurde betroffenen Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt, die bis zum 31.12.2009 nach altem Recht gebildeten Rückstellungen der Höhe nach beizubehalten, soweit der aufzulösende Betrag spätestens bis zum 31.12.2024 wieder zugeführt werden müsste. So sollten zeitlich befristete Rückstellungsauflösungen vermieden werden. Wird von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht, ist der Betrag der Überdeckung jeweils im Anhang und im Konzernanhang anzugeben (Art. 67 Abs. 1 S. 4 EGHGB).
- Hatte der Bilanzierende das Wahlrecht (nach Art. 67 Abs. 1 S. 2 EGHGB) nicht in Anspruch genommen, mussten die aus der Auflösung der Rückstellungen resultierenden Beträge unmittelbar in die Gewinnrücklagen eingestellt werden. Für den Gewinn, der sich aus der erstmaligen Anwendung des BilMoG durch die Auflösung von Rückstellungen ergibt, die bereits in dem vor dem 1.1.2010 endenden Wirtschaftsjahr passiviert wurden, konnte kann jeweils in Höhe von 14/15 eine gewinnmindernde Rücklage passiviert werden, die in den folgenden 14 Wirtschaftsjahren jeweils mit mindestens 1/15 gewinnerhöhend aufzulösen ist.
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Der nach Inanspruchnahme des Wahlrechts des Art. 67 Abs. 1 S. 2 EGHGB beibehaltene ermittelte Rückstellungswert bildet den maßgeblichen handelsbilanziellen Wert.
Wird das Wahlrecht nicht in Anspruch genommen, so bildet der sich bei erstmaliger Anwendung des § 253 Abs. 2 S. 1 HGB ergebende, ebenfalls den GoB entsprechende (niedrigere) abgezinste Erfüllungsbetrag (sog. BilMoG-Wert) den maßgeblichen handelsbilanziellen Wert.
Der für die Steuerbilanz (auf den sich § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG bezieht) maßgebliche Handelsbilanzwert ist auch jener, der sich nach (zulässiger) Ausübung des Wahlrechts gemäß Art. 67 Abs. 1 S. 2 EGHGB ergibt. Diesen hat die GmbH & Co. KG in ihrer Handelsbilanz zum 31.12.2010 angesetzt. Dass das Wahlrecht im EGHGB geregelt ist, spielt keine Rolle.
Offen ist im Streitfall, inwieweit die steuerrechtlichen Ansatz- oder Bewertungsvorbehalte des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a bis f EStG nicht dazu führen, dass der handelsrechtliche Wertansatz (Obergrenze) unterschritten wird. So ist u.a. nicht geklärt, ob künftige Vorteile, die mit der Erfüllung der Verpflichtung voraussichtlich verbunden sein werden, nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG möglicherweise wertmindernd zu berücksichtigen sind. Ebenso wenig lässt sich ausschließen, ob bzw. inwieweit künftige Preis- und Kostensteigerungen in den handelsrechtlichen Wert eingeflossen sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. f EStG). Letztere dürfen in der Steuerbilanz nicht berücksichtigt werden.
[Anm. d. Red.]
BC 6/2023
BC2023611