Dr. Hans-Jürgen Hillmer
EuGH-Urteil vom 28.6.2017, Rs. C-203/16 P
Die Sanierungsklausel beim Beteiligungserwerb ist keine (verbotene) Beihilfe. Dies stützt die deutsche Auffassung der rückwirkenden Anwendung ab 2008.
Praxis-Info!
Problemstellung
Beinahe wöchentlich ergehen in letzter Zeit Neuigkeiten im Zusammenhang mit der Sanierungsgewinnbesteuerung. Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Machtwort zur Sanierungsklausel gesprochen, das auch die zuletzt in dieser Sache besonders unermüdlich zulasten der Sanierungschancen tätigen BFH-Richter werden beachten müssen. Hintergrund ist, dass beim Erwerb einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ein Verlustvortrag (bzw. ihm gleichgestellte Vorträge) ganz oder teilweise untergehen kann (können). Davon soll als Ausnahme aber bei Sanierungen abgesehen werden (Sanierungsklausel in § 8c KStG).
Mit Beschluss vom 26.1.2011 hatte die EU-Kommission festgestellt, dass es sich bei dieser Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG um eine unionsrechtlich verbotene staatliche Beihilfe handele. Gegen diesen Beschluss hatte u.a. die Heitkamp BauHolding GmbH (im Folgenden HBH) vor dem EuG (Gericht der Europäischen Union) geklagt. Da die HBH seit 2008 von der Insolvenz bedroht und sanierungsbedürftig war, hatte ihre Muttergesellschaft in 2009 alle Anteile erworben.
Das zuständige Finanzamt hatte in einer verbindlichen Auskunft bestätigt, dass die HBH zum Zeitpunkt des Erwerbs die Voraussetzungen für die Anwendung der Sanierungsklausel erfüllte. Nachdem die EU-Kommission dann der Bundesrepublik Deutschland mitgeteilt hatte, dass sie das förmliche Prüfverfahren in Bezug auf die Sanierungsklausel einleite, wurden ein zuvor berücksichtigter Verlustvortrag in einem neuen KSt-Vorauszahlungsbescheid sowie in dem anschließenden KSt-Bescheid für 2009 nicht mehr berücksichtigt und die verbindliche Auskunft aufgehoben. Der EuG hatte die Klage der HBH als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung wurde nun vom EuGH aufgehoben und der oben genannte Beschluss der EU-Kommission für nichtig erklärt.
Lösung
Für den Fall des Beteiligungserwerbs zum Zwecke der Sanierung ist der EuGH in den Entscheidungen vom 28.6.2018 (eines der Verfahren wurde von Dirk Andres als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Heitkamp BauHolding GmbH geführt) zum Ergebnis gekommen, dass die sog. Sanierungsklausel entgegen der Auffassung der EU-Kommission keine verbotene Beihilfe darstellt. Diese neue EuGH-Rechtsprechung wird nicht nur für die betroffenen Unternehmen, sondern auch allgemein von großer Bedeutung sein. Zunächst einmal dürfte nun klargestellt sein, dass die Sanierungsklausel rückwirkend ab 2008 in allen noch offenen Fällen anzuwenden ist (vgl. im Detail die am 2.7.2018 veröffentlichte Kommentierung von RA/VRiFG a.D. Thomas Müller in der Owlit-Datenbank unter DB1274429; siehe auch RA/StB/WP Andreas Ziegenhagen im Handelsblatt-Steuerboard vom 3.7.2018 unter blog.handelsblatt.com/steuerboard). Das Urteil verdient aber auch deswegen besondere Beachtung, da derzeit generell die Frage, inwieweit es sich bei steuerlichen Maßnahmen um staatliche Beihilfen handelt, im Fokus steht, so insbesondere hinsichtlich § 3a EStG und § 6a GrEStG.
Exkurs: In seiner Kommentierung führt RA/VRiFG a.D. Thomas Müller die Voraussetzungen auf, die für eine Einstufung einer nationalen Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ allesamt erfüllt sein müssen: - Es muss sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln;
- die Maßnahme muss geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen;
- dem Begünstigten muss durch die Maßnahme ein selektiver Vorteil gewährt werden;
- die Maßnahme muss den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen.
Hierbei gelte, dass nationale Maßnahmen, die einen Steuervorteil gewähren, den Empfängern einen selektiven Vorteil verschaffen können und daher eine staatliche Beihilfe darstellen. Jedoch stelle ein Steuervorteil, der sich aus einer unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren allgemeinen Maßnahme ergibt, keine Beihilfe dar. |
In seiner Entscheidung verwirft der EuGH das von der EU-Kommission und dem EuG herangezogene Referenzsystem (Wegfall von Verlusten, wovon die Sanierungsklausel eine Ausnahme mache). Das richtige Referenzsystem sei jedoch die allgemeine Regel des Verlustvortrags, während der Wegfall eine Ausnahme darstellt (zu Feinheiten des Regel-Ausnahme-Prinzips siehe den Gastbeitrag von Dr. Ulrich Soltész unter www.lto.de). Die Sanierungsklausel führe dazu, dass sie eine unter die allgemeine Regel des Verlustvortrags fallende Situation definiert.
- Zwar ist mit RA/VRiFG a.D. Thomas Müller darauf hinzuweisen, dass der EuGH nicht ausdrücklich formuliert hat, es handle sich bei der Sanierungsklausel nicht um eine Beihilfe. Er hat lediglich festgestellt, dass der Beschluss der Kommission nichtig ist, da sie das falsche Referenzsystem angewandt hat. Aus den Gründen ergibt sich für Müller und nach hier vertretener Auffassung jedoch zwingend, dass bei Anwendung des richtigen Referenzsystems (d.h. steuerliche Berücksichtigung von Verlustvorträgen) die Sanierungsklausel keine Beihilfe darstellt. Nur wenn man realitätsfern bereits die steuerliche Berücksichtigung von Verlustvorträgen als eine staatliche Beihilfe ansehen würde, wäre ein anderes Ergebnis ableitbar.
- In der Sanierungspraxis oft noch wichtiger wird die Ausstrahlung dieser Entscheidung auf die ausstehende beihilferechtliche Genehmigung des steuerfreien Sanierungsgewinns sein. Die Bundesregierung hat bei der EU-Kommission die beihilferechtliche Genehmigung der neu einzuführenden Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen gemäß § 3a EStG beantragt. Zur Erinnerung: Mit dem „Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen“ vom 27.6.2017 wurden mit § 3a EStG (Sanierungserträge) und § 7b GewStG (Sonderregelung bei der Ermittlung des Gewerbeertrags bei unternehmensbezogener Sanierung) zwischenzeitlich gesetzliche Regelungen zur Behandlung eines Sanierungsgewinns geschaffen. Umstritten war (und ist), ob diese Regelungen auch auf Altfälle Anwendung finden können. Diese gesetzliche Neuregelung tritt aber nur dann mit Rückwirkung ab 8.2.2017 in Kraft, wenn die EU-Kommission beschließt, dass diese neue Regelung keine unzulässige Beihilfe ist.
- Klar ist, dass die EU-Kommission die oben genannte EuGH-Entscheidung zur Rechtswirksamkeit der Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG im Rahmen der Beurteilung des steuerfreien Sanierungsgewinns (gemäß § 3a EStG) berücksichtigen muss. Die neue Regelung in § 3a EStG enthält u.a. die vollständige Verrechnung der Verlustvorträge mit einem Sanierungsgewinn statt des beschränkten Verlustausgleichs gemäß § 10d EStG im Rahmen der Mindestbesteuerung. Dieser Regelungsinhalt dürfte – so betont es Andreas Ziegenhagen (siehe oben) – nunmehr unter Berücksichtigung des maßgeblichen Referenzsystems der steuerlichen Verlustnutzung keinesfalls eine unzulässige Beihilfe darstellen. Ferner werden mit der EuGH-Entscheidung etwaige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der rückwirkend seit 1.1.2016 geltenden Regelung zum fortführungsgebundenen Verlustvortrag gemäß § 8d KStG aufgelöst, wonach auf Antrag die Verlustvorträge trotz Anteilseignerwechsels unter qualifizierten Voraussetzungen entgegen § 8c KStG fortgeführt werden können.
- Für die weitergehende Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns nach vollständigem Verbrauch der steuerlichen Verlustvorträge kann jedoch noch nicht unmittelbar auf die vorgenannte EuGH-Entscheidung zur Sanierungsklausel zurückgegriffen werden. Es ist aber dennoch begründete Hoffnung angebracht, dass nunmehr kurzfristig die Neuregelung zur Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen durch die EU-Kommission genehmigt wird, damit endlich eines der größten Sanierungshindernisse abgeräumt wird. Dieses steht in Deutschland den Restrukturierungen notleidender Unternehmen nicht nur im Wege, sondern hat bislang die Hürden derart erhöht, dass nur noch die insolvenzrechtliche Abwicklung blieb.
- Damit wäre dann auch für weitere Platzhirsch-Bekundungen des BFH (so formuliert im Editorial zum BC-Newsletter vom 13.6.2018) die Brunftzeit abgelaufen. Nach der dort besprochenen Entscheidung vom 16.4.2018 hatte es sich der BFH im Anschluss nicht nehmen lassen, nochmals draufzusatteln und die Berücksichtigung des sog. Sanierungserlasses im finanzgerichtlichen Verfahren mit Beschluss vom 8.5.2018, VIII B 124/17, zu untersagen: Die BMF-Schreiben vom 27.3.2003, vom 27.4.2017 und vom 29.3.2018 „dürfen für die Prüfung, ob und in welchem Umfang ein Sanierungsgewinn … entstanden ist, … im finanzgerichtlichen Klage- und Revisionsverfahren nicht beachtet werden“. Dem will der BFH sogar dann zur Geltung verhelfen, wenn das Finanzamt nach dem sog. Sanierungserlass (BMF-Schreiben vom 27.3.2003) einen Teilerlass der Steuer gemäß § 163 AO gewährt hat und der Steuerpflichtige mit dem Finanzamt vor dem Finanzgericht darüber streitet, ob dieses die Vorgaben des Sanierungserlasses zutreffend beachtet hat.
- Es war der BFH, der in seiner Entscheidung vom 16.4.2018 (zu) süffisant betont hatte: „Die Wiederholung der Verwaltungsauffassung [gemeint ist das BMF-Schreiben vom 27.4.2017, Anm. des Verf.] durch das BMF-Schreiben vom 29.3.2018 (BStBl. I 2018, 588) ändert daran nichts.“ Offenbar scheint dieser Maßstab für BFH-Richter selbst nicht zu gelten. Umso wichtiger ist es, dass der EuGH nun der EU-Kommission eine Steilvorlage gegeben hat, um derlei – fast ein wenig wichtigtuerisch anmutendem – Getöse nun die Zuhörerschaft zu entziehen.
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Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, Coesfeld
BC 8/2018
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