Dr. Hans-Jürgen Hillmer
BFH-Urteil vom 1.2.2022, V R 1/20
Die Tätigkeit einer gemeinnützigen Körperschaft muss gemäß § 52 Abs. 1 S. 1 AO darauf gerichtet sein, die Allgemeinheit zu fördern. Davon ist nur dann auszugehen, wenn im Grundsatz jedermann freien Zutritt zur Körperschaft oder zu ihren Leistungen hat und sich der geförderte Personenkreis dementsprechend zumindest als Ausschnitt der Allgemeinheit darstellt und die Allgemeinheit repräsentiert.
Bei einer Kinderbetreuungseinrichtung, die sich bei der Platzvergabe vorrangig an den Belegungspräferenzen ihrer Vertragspartner orientiert, ist das nicht der Fall.
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Problemstellung
In dem zum BFH gelangten Fall hatte die klagende GmbH mit Unternehmen Verträge über die Errichtung und den Betrieb von Kinderbetreuungseinrichtungen für Kinder der Mitarbeitenden der Unternehmen geschlossen. Dabei sollte die Klägerin auf die Belegungspräferenz der Unternehmen Rücksicht nehmen, sofern dies mit den gesetzlichen Bestimmungen, behördlichen Auflagen und dem pädagogischen Konzept vereinbar war. Andere Personen, die nicht bei den Unternehmen beschäftigt waren, konnten einen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen, wenn die Unternehmen aus ihrer Belegschaft keinen Bedarf hatten oder wenn Plätze länger unbelegt blieben.
Das Finanzamt war der Auffassung, die Klägerin diene nicht gemeinnützigen Zwecken. Sie fördere nicht die Allgemeinheit, weil ihre Einrichtungen den Beschäftigten ihrer Vertragspartner vorbehalten seien. Die Befreiung von der Körperschaftsteuer wegen der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG sei daher nicht zu gewähren.
Lösung
Nach dem Finanzgericht (FG) versagte auch der BFH die Gemeinnützigkeit und entschied mit dem am 18.8.2022 veröffentlichten Urteil vom 1.2.2022 (siehe BFH-Pressemitteilung): „Eine Kinderbetreuungseinrichtung ist nicht gemeinnützig tätig, wenn sie sich bei der Platzvergabe vorrangig an den Belegungspräferenzen ihrer Vertragspartner orientiert.“ Die Tätigkeit einer gemeinnützigen Körperschaft müsse gemäß § 52 Abs. 1 S. 1 AO darauf gerichtet sein, die Allgemeinheit zu fördern, was nur dann der Fall sei, wenn jedermann freien Zutritt zur Körperschaft oder zu ihren Leistungen hat und sich der geförderte Personenkreis dementsprechend zumindest als Ausschnitt der Allgemeinheit darstellt und die Allgemeinheit repräsentiert.
Daran fehlte es dem BFH zufolge bei der Klägerin. Denn sie förderte nur einen Kreis von Personen, der aufgrund der Zugehörigkeit zur Belegschaft eines Unternehmens fest abgeschlossen war. Eine verbindliche „Restplatzquote“ für andere Personen als die Beschäftigten der Vertragspartner der Klägerin gab es nicht.
- Der BFH lehnte zudem eine Befreiung von der Körperschaftsteuer wegen der Verfolgung mildtätiger Zwecke (§ 53 AO) ab, weil die Klägerin nach ihrer Satzung nur gemeinnützige, nicht aber auch mildtätige Zwecke verfolgte.
- Über den Einzelfall hinaus sollten in die Betreuung entsprechender Einrichtungen eingebundene Bilanzbuchhalter/innen beachten, dass eine Förderung der Allgemeinheit gemäß § 52 Abs. 1 S. 2 AO grundsätzlich nicht gegeben ist, wenn der Kreis der Personen, dem die Förderung zugutekommt, fest abgeschlossen ist – so z.B. Zugehörigkeit zu einer Familie oder zur Belegschaft eines Unternehmens – oder aus anderem Grund infolge seiner Abgrenzung (insbesondere nach räumlichen oder beruflichen Merkmalen) dauernd nur klein sein kann.
- Wer ein Ergebnis wie im Streitfall verhindern will, muss also groß genug sein und/oder sollte auf eine entsprechende Öffnungsklausel bzw. eine „verbindliche Restplatzquote“ verweisen können, um dem strengen Blick von Betriebsprüfern standhalten zu können. Denn im Streitfall war die Gemeinnützigkeit vom Finanzamt zunächst vorläufig bejaht worden: Mit Bescheinigung vom 30.1.2008 war erklärt worden, dass die GmbH gemeinnützigen Zwecken diene, weil sie die Jugend- und Altenhilfe, die Erziehung und die Volks- und Berufsbildung fördere. In der steuerlichen Betriebsprüfung sah man das dann anders – und nun, 14 Jahre (!) später, auch beim BFH.
- An der Versagung der Gemeinnützigkeit konnten auch die Hinweise der Klägerin nichts ändern, sie setze mit ihrer Tätigkeit einen verfassungsrechtlichen Auftrag um, nämlich die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, und bediene als Mittel zur Deckung des Bedarfs der Daseinsvorsorge zum allgemeinen Wohl die Nachfrage seitens der Allgemeinheit nach Kinderbetreuungsplätzen. Der vom BFH als fest abgeschlossen beurteilte Personenkreis ist auch insoweit ein „No-go“. Aus demselben Grund wurde auch das Argument der Klägerin verworfen, sie unterstütze Kinder und damit im Gemeinwohlinteresse besonders schutzwürdige Personen.
- Schon Sokrates wusste (siehe unter https://www.careelite.de/zitate-gute-taten-menschen/) zwar: „Das wahre Glück ist: Gutes zu tun.“ Ob dieser aber jemals betriebsprüfungsähnliche Situationen vorbeschriebener Art erleben durfte bzw. musste, ist hier nicht bekannt. Doch betriebsprüfungserfahrene Steuerpflichtige wie aktuell der Verfasser wissen: Wer glaubt, „Gutes zu tun“, muss das Gute richtig tun. Das dürfte wohl auch Voltaire so sehen; denn ihm wird folgende Erkenntnis nachgesagt: „Sowie man Gutes tun will, kann man sicher sein, Feinde zu finden.“ Kurzum: Kein Ruhmesblatt für Prüfer und Richter, diese strenge Kindergarten-Entscheidung, zumal ja die Zugangsberechtigung nur „vorrangig“ und nicht ausschließlich gehandhabt wurde.
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Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 9/2022
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