FG Rheinland-Pfalz Beschl. v. 23.11.2023 – 4 V 1295/23; 4 V 1429/23 (Aussetzung der Vollziehung)
„Die Rute, die ist hier; doch für die Kinder nur, die schlechten, die trifft sie auf den Teil, den rechten.“ Die von Theodor Storm dem Knecht Ruprecht in den Mund gelegten Worte bieten bereits eine gute Zusammenfassung von zwei Beschlüssen des Finanzgerichts (FG) Rheinland-Pfalz zur Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellung im sogenannten Bundesmodell. Die Beschlüsse zur Aussetzung der Vollziehung (AdV) hinterlassen deutliche Striemen bei Gesetzgeber, Finanzverwaltung und Gutachterausschüssen.
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Problemstellung
In beiden Ausgangsfällen, die den Beschlüssen zur Aussetzung der Vollziehung (AdV) zugrunde lagen, geht es um die Bewertung von Einfamilienhäusern im Rahmen der Grundsteuerwertfeststellung. Eines der Häuser war im Jahr 1880 erbaut und seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert worden. Im anderen Fall war das zum Haus gehörende Grundstück unter anderem wegen einer extremen Hanglage nur eingeschränkt nutzbar.
In beiden Fällen sah die Finanzverwaltung keinen Anlass zu einer individuellen Wertminderung und bewertete die Immobilien im Rahmen des sog. Bundesmodells mittels der allgemeinen in diesem Bereich geltenden Bodenrichtwerte und Rohertragssätze. Aus Sicht der Kläger werden durch die vorgenommenen Typisierungen im Bundesmodell die bestehenden Wertunterschiede zwischen verschiedenen Immobilien nicht mehr realitätsgerecht abgebildet. In der Folge kann es systematisch zu erheblichen Überbewertungen in Gemeindeteilgebieten mit niedrigen Bodenrichtwerten und Unterbewertungen in Teilgebieten mit hohen Bodenrichtwerten kommen.
Lösung
Das FG Rheinland-Pfalz hält die Einsprüche für begründet und holt mit 10 Leit- und 17 Orientierungssätzen zur „großen Klatsche“ gegen alle beteiligten Parteien aus. Dabei führt das Gericht vor allem die folgenden Punkte aus:
- Zweifel an der Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse: Nach der rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung kann der Ausschussvorsitzende Einfluss auf die Anzahl und Auswahl der Mitglieder nehmen. Des Weiteren kann die Finanzverwaltung Einfluss auf den zwingend im Gutachterausschuss mitwirkenden Bediensteten der Finanzverwaltung nehmen, etwa indem sie ihn mit anderen Aufgaben betraut und somit ein Ausscheiden aus dem Ausschuss bewirkt. Die Zweifel an der Unabhängigkeit der Gutachterausschüsse zieht Bedenken zum rechtmäßigen Zustandekommen der Bodenrichtwerte nach sich.
- Zweifel an der Objektivität und Vollständigkeit der Datensätze: Die Ermittlung der Bodenrichtwerte beruht auf einer Kaufpreissammlung. In der Sammlung werden Eckdaten von Immobilienkäufen zusammengefasst. Fehlt eine von mehreren Eckdaten, so wird der betreffende Erwerbsvorgang nicht in die Sammlung aufgenommen. Wie das Gericht ausführt, werden derzeit über 70% der Kauffälle wegen fehlender Daten nicht in die Datensammlung aufgenommen. Diese erhebliche Datenlücke kann zu einer gravierenden Verzerrung der Bodenrichtwerte führen. Hinzu kommt: Laut einer Umfrage unter Gutachterausschüssen in kaufpreisarmen Lagen – also vor allem ländlichen Gegenden mit wenig Eigentümerwechsel – haben mehr als zwei Drittel der befragten Gutachterausschüsse auf die Fähigkeit der Mitglieder des Gutachterausschusses verwiesen, „die wenigen zur Verfügung stehenden Kaufpreise mit Marktgespür und Sachverstand zu verwerten“. Recht trocken hält das Finanzgericht dagegen, dass es der sachverständigen Einschätzung an der erforderlichen Objektivität und Nachvollziehbarkeit fehlt. Die fehlende Objektivität und die Datenlücken lassen wiederum Zweifel am rechtmäßigen Zustandekommen der Bodenrichtwerte aufkommen.
- Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Bundesmodells: Im Bewertungsrecht besteht das Gebot der realitäts- und relationsgerechten Grundstücksbewertung. Dagegen führt die große Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen im Bundesmodell bei gleichzeitiger Vernachlässigung nahezu aller individuellen Umstände zu einer systematischen Verzerrung. Diese bewirkt eine Unterbewertung von hochwertigen Immobilien, während Immobilien, die sich in weniger begehrten Lagen bzw. in einem schlechteren baulichen Zustand befinden, überbewertet werden. Dies ist nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar. Darüber hinaus ist der Belastungsgrund der Grundsteuer nach dem Grundsteuerreformgesetz nicht eindeutig erkennbar. Somit kann das Gericht gar nicht überprüfen, ob das Gesetz sein Ziel erreicht.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 1/2024
BC20240121