FG Köln Urt. v. 12.7.2023 – 3 K 1356/22 (Revision zugelassen)
Mittels eines Vorläufigkeitsvermerks können Steuerbescheide bei noch offenen Rechtsfragen erlassen werden. Dies ist z.B. angebracht, wenn gegen eine relevante Steuervorschrift ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist. Der Vorläufigkeitsvermerk verhindert dabei den Eintritt der Bestandskraft, sodass der Steuerbescheid – soweit nötig – nach gerichtlicher Klärung der Rechtslage noch einmal geändert werden kann. Es stellt sich die Frage: Kann eine solche Änderung auch zum Nachteil des Steuerpflichtigen vorgenommen werden?
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Problemstellung
Im Ausgangsfall machte der Kläger nach Abschluss einer dreimonatigen Rettungssanitäterausbildung die Kosten eines Medizinstudiums als Werbungskosten geltend.
Das Finanzamt berücksichtigte die Werbungskosten zwar, erließ jedoch einen Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten. Aufgrund der im Anschluss erfolgten Rechtsprechung und gesetzgeberischen Klärung änderte das Finanzamt rund vier Jahre später die Steuerbescheide zum Nachteil des Klägers ab.
Lösung
Aus Sicht des Finanzgerichts (FG) Köln kann sich ein Vorläufigkeitsvermerk im Sinne des § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO nur zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken. Im Ausgangsfall erfolgte der Erlass des Vorläufigkeitsvermerks aufgrund einer schwebenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Zu klären ist hier also die Frage, ob die angegriffene Vorschrift verfassungsmäßig sei oder nicht:
- Im ersten Fall kommt es zu keiner Änderung der Steuerfestsetzung, da das Finanzamt bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsvorschrift als gültig anwenden müsse.
- Im Fall der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift kann es nur zu einer Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen kommen.
Insofern kann sich ein Vorläufigkeitsvermerk nur zum Vorteil des Steuerpflichtigen auswirken. Dies entspricht auch dem Sinn der Vorschrift, welche zur Eindämmung von Einsprüchen gegen Steuerbescheide bei noch offenen Rechtsfragen dient.
Soweit es nach Erlass des vorläufigen Steuerbescheids zu einer Änderung der Rechtsprechung einschließlich der Nichtigerklärung einer für den Steuerpflichtigen günstigen Norm gekommen ist, greift der Vertrauensschutz nach § 176 AO.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze konnte das Finanzamt im Ausgangsfall den vorläufigen Steuerbescheid nicht zuungunsten des Klägers ändern.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 4/2024
BC20240410