BFH-Urteil vom 18.3.2014, X R 8/11
Bei der Erstellung der Steuererklärung mithilfe von Steuersoftwareprogrammen gehen Programmfehler der Software zulasten des Steuerpflichtigen, wie das FG Rheinland-Pfalz bereits im Jahr 2011 (vom 30.8.2011, 3 K 2674/10) feststellte.
Der BFH hat nun in seinem am 30.7.2014 veröffentlichten Urteil dazu Stellung genommen, wie die fehlerhafte Nutzung von Steuersoftware zu beurteilen ist. Dabei wurde das erstinstanzliche Finanzgerichtsurteil zulasten des Steuerpflichtigen aufgehoben. Auch für Mitarbeiter in der Steuerabteilung eines Unternehmens ist das Urteil bedeutsam, da diese unter Umständen in die persönliche Haftung kommen können.
Praxis-Info!
Problemstellung
Ein Steuerpflichtiger erstellte für das Jahr 2006 seine Einkommensteuererklärung mithilfe des ELSTER-Steuerprogramms und übermittelte sie an das Finanzamt. Eine verkürzte Steuererklärung in Papierform wurde unterschrieben nachgereicht. Beim Erstellen der Steuererklärung übersah der Steuerpflichtige, in Zeile 62 des Mantelbogens seine Beiträge in Höhe von 18.457 € zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung (in diesem Fall die Notarversorgungskasse) anzugeben. Der Fehler wurde erst bei der Erstellung der Steuererklärung 2007 bemerkt.
Am 21.2.2009 bat der Steuerpflichtige das Finanzamt um Korrektur der Einkommensteuererklärung 2006. Er begründete dies mit § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, also mit dem nachträglichen Bekanntwerden steuerlich relevanter Tatsachen. Der Antrag wurde abgelehnt, da aus Sicht des Finanzamts ein grobes Verschulden des Steuerpflichtigen vorlag.
Dem widersprach das erstinstanzliche Finanzgericht (FG). Das FG führte drei zentrale Argumente an:
- Es liegt lediglich ein Übertragungs- bzw. Eingabefehler vor. Dies lässt keine Pflichtverletzung erkennen, „die in ungewöhnlichem Maße und nicht entschuldbarer Weise die gebotene Sorgfalt außer Acht lasse“.
- Passiert ein solcher Übertragungs- und Eingabefehler einem Mitarbeiter des Finanzamts, so ist die Behörde zur Berichtigung nach § 129 AO berechtigt. Es ist also sachgerecht, einen vergleichbaren Fehler des Steuerpflichtigen entsprechend zu behandeln.
- Bei der Bearbeitung größerer Dokumente am PC kommt es immer wieder zu Fehlern, insbesondere wenn eine Vielzahl von Bildmasken bzw. Computer-Fenstern zur Bearbeitung benötigt werden. Dies entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung und stellt kein grobes Verschulden dar.
In der Revisionsklage führt das Finanzamt an, das Urteil des FG widerspreche der ständigen Rechtsprechung des BFH. Hiernach liegt ein grobes Verschulden vor, wenn ein Steuerpflichtiger eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage zu einem bestimmten Vorgang nicht beantwortet. Dieser Grundsatz sei auch auf die Erstellung von Steuererklärungen mithilfe einer Steuersoftware anzuwenden.
Lösung
Der BFH folgt der Auffassung des Finanzamts. Die Urteilsbegründung basiert auf folgender Argumentationskette:
- Grobes Verschulden umfasst Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit.
- Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt.
- Eine Ausnahme hiervon liegt vor, wenn die unvollständige Steuererklärung auf mangelnden Steuerrechtskenntnissen basiert.
- Diese Ausnahme findet aber keine Anwendung, wenn der Steuerpflichtige eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte und auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage unbeantwortet lässt.
- Grobe Fahrlässigkeit liegt auch dann vor, wenn der Steuerpflichtige die dem ELSTER-Programm beigefügten Erläuterungen zur Einkommensteuererklärung unbeachtet lässt.
Bei Anwendung der zuvor genannten Grundsätze liegt im Ausgangsfall ein grob fahrlässiges Handeln vor. In Zeile 62 des Mantelbogens wird ausdrücklich die Frage nach den als Sonderausgaben abzugsfähigen Beiträgen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen gestellt.
- Auch im Zeitalter der elektronischen Steuererklärung ist es unerlässlich, die Erklärung und den Steuerbescheid genau zu prüfen.
- Nach § 129 AO können
– Schreibfehler (z.B. Auslassungen, Verwechslungen, Fehler der Wortstellung oder in der Rechtschreibung), – Rechenfehler (z.B. bei Anwendung der Grundrechenarten (Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren, Dividieren), Zahlendreher, Fehler infolge unrichtiger Ausfüllung des Eingabewertbogens oder fehlerhafter aktenkundiger Berechnung) und – ähnliche offenbare Unrichtigkeiten (z.B. Nichtberücksichtigung feststehender Tatsachen aufgrund von Unachtsamkeit oder irrtümlich unterlassene Umrechnung bzw. Verwechslung von Fremdwährungsangaben),
die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Im vorliegenden Streitfall liegt nach Auffassung des BFH hingegen kein mechanisch-technisches Versehen (z.B. auf Flüchtigkeit beruhender Fehler) vor.
- Interessant ist das Urteil mit Blick auf die Abgabe von elektronischen Körperschaftsteuer-, Umsatzsteuer- oder Gewerbesteuererklärungen. Gemäß den Grundsätzen des Organisationsverschuldens muss sich ein Mitarbeiter weder arbeits- noch schuldrechtlich ein alleiniges Verschulden zurechnen lassen, es sei denn, er handelt grob fahrlässig. Wird bei der Erstellung der Steuererklärung also eine Frage nicht beantwortet (grobe Fahrlässigkeit), könnte hier eine persönliche Haftung des Mitarbeiters für die daraus dem Arbeitgeber entstehenden Schäden folgen. Vorsicht ist insbesondere bei fehlerhaften bzw. unvollständigen Steuererklärungen von steuerrechtlich Vorgebildeten (wie Bilanzbuchhaltern) geboten. Bei ihnen werden noch weniger Ausnahmen gemacht als bei Personen mit mangelnder Kenntnis von steuerrechtlichen Vorschriften.
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Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Lead Auditor Europe in der Internen Revision, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 9/2014
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