Prof. Dr. Christian Zwirner
BFH Urt. v. 22.10.2024 – VIII R 33/21
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Der Bundesfinanzhof hat in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung klargestellt, dass offensichtliche Fehler in Steuerbescheiden auch dann berichtigt werden können, wenn der korrekte Wert nicht direkt erkennbar ist. Entscheidend ist, dass es sich um ein mechanisches Versehen handelt. Die Entscheidung stärkt die Rechte von Steuerpflichtigen und präzisiert die Voraussetzungen für die Anwendung von § 129 AO.
Praxis-Info!
In einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung hat der Bundesfinanzhof die Reichweite der Regelung nach § 129 Abgabenordnung (AO) präzisiert und klargestellt. Danach können auch offensichtliche Fehler in Steuerbescheiden berichtigt werden, selbst wenn der korrekte Wert nicht unmittelbar erkennbar ist. Diese Entscheidung kann künftig von großer Wichtigkeit für die Handhabung von steuerlichen Verwaltungsakten und die Rechte von Steuerpflichtigen sein.
Sachverhalt
Im konkreten Fall ging es um die Feststellung der Höhe eines steuerlichen Einlagekontos. Die Klägerin machte Fehler in der Berechnung geltend und beantragte eine Korrektur des Steuerbescheids.
Das Finanzamt lehnte dies mit der Begründung ab, der Fehler sei nicht offensichtlich gemäß § 129 AO. Der BFH hatte nun zu prüfen, ob es sich tatsächlich um eine „offenbare Unrichtigkeit“ im Sinne der gesetzlichen Vorgaben handelte.
Hintergrund: Was regelt § 129 AO?
Nach § 129 AO können offenbare Unrichtigkeiten, wie Schreib-, Rechen- oder Übertragungsfehler, jederzeit berichtigt werden. Dabei geht es um mechanische Versehen, die leicht zu erkennen sind und nicht auf rechtlichen oder komplexen sachlichen Überlegungen beruhen. Wichtig ist, dass der Fehler aus der Perspektive eines unvoreingenommenen Dritten als „offenbar“ erscheint, also durchschaubar, eindeutig und ohne Begründung nachvollziehbar ist.
Außerdem stellte der BFH in seiner Entscheidung klar, dass eine Korrektur nicht ausgeschlossen wird, nur weil der korrekte Wert selbst nicht direkt aus dem Steuerbescheid hervorgeht. Entscheidend ist vielmehr, dass der als fehlerhaft erkannte Sachverhalt einem mechanischen Fehler zugeordnet werden kann, ohne dass eine tiefergehende Überprüfung des Sachverhalts erforderlich ist.
Die rechtliche Auseinandersetzung
Der BFH knüpfte an seine ständige Rechtsprechung an, wonach auch sogenannte Übernahmefehler (also Fehler, die aus der unkritischen Übernahme fehlerhafter Angaben des Steuerpflichtigen resultieren) unter die Regelung des § 129 AO fallen können. In solchen Fällen liegt der Ursprung des Fehlers bei der Finanzbehörde, weshalb die Korrekturmöglichkeit greift.
Allerdings stellte der BFH eindeutig klar: Fehler, die aus fehlerhafter Tatsachenwürdigung, ungenügender Sachverhaltsaufklärung oder der falschen Anwendung von Rechtsnormen stammen, können nicht als „offenbare Unrichtigkeiten“ eingestuft werden. Diese seien keine rein mechanischen Fehler und fallen daher nicht unter die Regelung des § 129 AO.
Noch keine finale Entscheidung
Der BFH konnte im konkreten Fall noch keine finale Entscheidung treffen, da das Finanzgericht den Sachverhalt noch nicht vollständig ermittelt hatte (Vorinstanzliches Urteil: FG München Urt. v. 20.4.2021 – 6 K 1311/18). Die Sache wurde daher zurückverwiesen, damit geprüft werden kann, ob tatsächlich ein mechanisches Versehen vorliegt. Sollte dies der Fall sein, müsste die Finanzbehörde den Bescheid entsprechend berichtigen.
Haltung des BFH stärkt Steuerpflichtige
Die Entscheidung des BFH stellt klar, dass offenbare Unrichtigkeiten auch dann korrigiert werden können, wenn der richtige Wert nicht direkt im Steuerbescheid erkennbar ist. Dies stärkt die Rechte von Steuerpflichtigen und sorgt dafür, dass aufgedeckte mechanische Fehler in Steuerbescheiden behoben werden können – auch wenn der Sachverhalt zunächst komplex erscheint. Gleichzeitig betont der BFH, dass § 129 AO keine Möglichkeit bietet, Fehler zu korrigieren, die auf rechtlichen Fehlinterpretationen oder unvollständiger Tatsachenfeststellung beruhen.
Damit bleibt § 129 AO ein scharf umrissenes Instrument zur Fehlerkorrektur, das jedoch eine wichtige Funktion erfüllt: Steuerbescheide können nicht nur im Interesse der Finanzverwaltung, sondern auch im Sinne von Steuerpflichtigen angepasst werden.
WP/StB Prof. Dr. Christian Zwirner,
Dr. Kleeberg & Partner GmbH WPG StBG, München (www.kleeberg.de)
BC 6/2025
BC20250610