Dr. Hans-Jürgen Hillmer
BFH-Beschluss vom 11.11.2015, VII B 74/15
Für Steuerforderungen aus Umsatzsteuer-Voranmeldungen einer GmbH haftet ein GmbH-Geschäftsführer unabhängig vom Eintreten der Fälligkeit. Er hat vorausschauend zu planen und insbesondere in der Krise finanzielle Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuern bereitzuhalten.
Praxis-Info!
Problemstellung
Der konkrete Fall betraf einen Geschäftsführer (G) einer GmbH, die ihrerseits persönlich haftende Gesellschafterin und Geschäftsführerin einer GmbH & Co. KG war. Während der Amtszeit des G wurden für die GmbH & Co. KG am 5.11.2009 berichtigte Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate Mai bis September 2009 sowie erstmalig eine Voranmeldung für den Monat Oktober 2009 am 10.11.2009 abgegeben. Die errechneten und sofort fälligen Umsatzsteuerbeträge wurden nicht entrichtet.
Das hiermit befasste Finanzgericht Düsseldorf (FG) urteilte am 6.5.2015 (Az.: 7 K 3587/14 H), der G sei zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen im November 2009 zumindest grob fahrlässig der Steuerentrichtungspflicht nicht nachgekommen. Als Geschäftsführer war G bis Dezember 2008 und dann wieder ab Oktober 2009 für die GmbH tätig. Zur Begründung seiner Beschwerde gegen die FG-Entscheidung führte G insbesondere an, zum Zeitpunkt seiner Bestellung als Geschäftsführer der GmbH sei ihm überhaupt nicht bewusst gewesen, dass Umsatzsteuerverbindlichkeiten bestanden hätten. Das ließen die Düsseldorfer Richter nicht gelten, denn eventuelle Nachzahlungen aufgrund berichtigter Voranmeldungen müsse ein sorgfältiger und gewissenhafter Geschäftsführer in seine Planungen mit einbeziehen.
Lösung
Der BFH schloss sich der Sichtweise des FG an und wies die dagegen gerichtete Beschwerde des G wegen Nichtzulassung der Revision als unbegründet zurück. Im Rahmen der Begründung lautet der zentrale Satz: „Da die entsprechenden Voranmeldungen am 5.11.2009 und somit während seiner Amtszeit als Geschäftsführer abgegeben worden sind, kann er sich nicht darauf berufen, ihm sei weder Grund noch Höhe der Umsatzsteuerforderungen, für die er nun haftet, bekannt gewesen.“ Vielmehr treffe ihn die Haftung für die Steuerverbindlichkeiten der GmbH & Co. KG, weil er die Entrichtung der im November 2009 fällig gewordenen Umsatzsteuern nicht veranlasst habe. Vor diesem Hintergrund war die Frage, ob für eine Kapitalgesellschaft auch dann eine Mittelvorsorgepflicht besteht, wenn ihr im Zeitpunkt der Entstehung einer Steuerforderung weder deren Höhe noch deren Grund bekannt war, für den BFH im Streitfall nicht entscheidungserheblich und bedurfte damit keiner Klärung.
Dazu beruft sich der BFH auf seine ständige Rechtsprechung, wonach sich ein gesetzlicher Vertreter bereits vor Fälligkeit einer Steuer der Verletzung seiner Pflicht zur Bereithaltung von Mitteln schuldig machen kann: „Denn von ihm ist zu verlangen, dass er vorausschauend plant und insbesondere in der Krise finanzielle Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuern bereithält. Vom Eintritt der Fälligkeit der Steuern ist diese Pflicht unabhängig“.
- In der Praxis wird gerade bei Umsatzsteuer-Voranmeldungen häufig der vereinfachende Weg der Begleichung der Steuerschulden durch Erteilung einer Einzugsermächtigung beschritten. Gegebenenfalls hat der Geschäftsführer einer GmbH dafür Sorge zu tragen, dass von der Einzugsermächtigung auch Gebrauch gemacht werden kann und dass das Konto eine Deckung aufweist.
- Bei der haftungsbegründenden Pflichtverletzung im Sinne des § 69 AO geht es nicht um die steuerlichen Pflichten der vom Haftenden vertretenen Gesellschaft, sondern um die persönliche Pflicht des gesetzlichen Vertreters der Gesellschaft. Auch waren im Streitfall die Höhe und der Grund der Forderung in dem für die Haftung entscheidenden Zeitpunkt der Verletzung der dem Kläger obliegenden Entrichtungspflicht bekannt. Es mutet daher schon etwas seltsam an, weshalb der klagende G seiner Beschwerde Erfolgsaussichten mit der Begründung einräumte, ihm fehle das Bewusstsein für das Bestehen von Steuerverbindlichkeiten.
- Beteiligte an der Stellung eines offensichtlich aussichtslosen Antrags (ggf. auch einbezogene Bilanzbuchhalter) sollten sich der Gefahr bewusst sein, über das Instrument der Beraterhaftung selbst in Regresspflichten hineingezogen werden zu können.
- Das gilt insbesondere in Fällen, in denen – wie vorliegend – Insolvenztatbestände greifen und deshalb mit (anfechtungsrechtlichen) Forderungen eines Insolvenzverwalters zu rechnen ist, die auch und gerade vor der Rückforderung von Beraterhonoraren nicht Halt machen, zumal wenn diese auf Rechnung der GmbH ausgestellt worden sein sollten, aber die persönliche Geschäftsführerhaftung betreffen.
- Ob Letzteres im Streitfall vorlag, ist nicht ersichtlich. Bekannt ist aber, dass sich der G mit einer Berufung auf eine Rückforderung geleisteter Zahlungen durch die am 26.11.2009 bestellte Insolvenzverwalterin zu entlasten versucht hatte. Da diese alle Buchungen einschließlich der Lohnsteuerabbuchungen und sonstigen Steuerzahlungen bis zu einem Zeitpunkt von sechs Monaten wieder habe zurückbuchen lassen, wären dem Finanzamt – so die Einlassung des G im Rahmen seiner Beschwerde – „in jedem Fall … keine Vermögensmittel zugeflossen“. Dem klagenden G und offenbar auch den an der Abfassung seiner Beschwerde beteiligten Dritten fehlte also zunächst das Bewusstsein für das Bestehen von Steuerverbindlichkeiten, später nicht aber das Bewusstsein darüber, dass diese begleichenden Zahlungen im Rahmen der Insolvenzabwicklung zurückgebucht werden könnten: Bei solch hanebüchener Argumentation kann hier offenbleiben, ob eventuelle Bewusstseinstrübungen nun früher oder später aufgetreten sind. Es empfiehlt sich daher umso mehr, den oben genannten Hinweis auf Gefahren aus Beraterhaftung zu beachten.
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Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, Coesfeld
BC 2/2016
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