BFH Urt. v. 23.2.2023 – V R 30/20
Die deutsche Sprache kennt viele Ausdrücke zum Thema „Maß“. Man ist entweder maßvoll oder maßlos und sollte bestrebt sein, das richtige Maß zu finden bzw. zu halten. Das Finanzamt berücksichtigt eine solche sprachliche Semantik (Wortbedeutung) nicht immer, sodass von Zeit zu Zeit eine Mahnung zum maßvollen Handeln durch den BFH nötig zu sein scheint.
Praxis-Info!
Problemstellung
Die Klägerin war zur Abgabe von monatlichen Umsatzsteuer-Voranmeldungen verpflichtet. Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung wurde festgestellt, dass die Klägerin ihre erklärten Umsätze stets dem Monat der Rechnungsstellung zugeordnet hatte, obwohl sie 90% ihrer Leistungen bereits im Vormonat erbracht hatte. Die Ursache hierfür lag in der späten Meldung rechnungsrelevanter Daten von den Subunternehmern.
Um die falsche Zuordnung der Umsätze zu korrigieren, ordnete die Außenprüfung jeweils 90% der im Januar angemeldeten Umsätze dem Vorjahr zu. Nach Auffassung des Finanzamts lag durch die monatsweise Verlagerung ein dauerhafter Liquiditätsvorteil vor, welcher entsprechend abzuschöpfen sei. Bei der Berechnung der Nachzahlungszinsen setzte das Finanzamt daher Zinszeiträume von bis zu 56 Monaten an, obwohl im konkreten Einzelfall lediglich eine Verlagerung von einem Monat vorlag.
Aus Sicht von Klägerin und erstinstanzlichem Finanzgericht war die Zinsfestsetzung sachlich unbillig. Die Neuzuordnung der jeweils im Januar gemeldeten Umsätze hat nicht nur zu einer Erhöhung der Vorjahresumsätze, sondern auch zu einer gleich hohen Reduzierung der Umsätze des Jahres, in dem die Voranmeldung erfolgt sei, geführt. Somit haben sich die Umsatzerhöhungen und -reduzierungen jahresübergreifend ausgeglichen. Da der Liquiditätsvorteil nur jeweils einen Monat bestanden hat, ist ein bis zu 56-monatiger Zinslauf unbillig. Zu Unrecht habe das Finanzamt die monatsweise Verlagerung als dauerhaften Liquiditätsvorteil berücksichtigt.
Lösung
Das Finanzamt scheitert mit seiner Revision gegen das erstinstanzliche Finanzgerichtsurteil. Laut dem Urteil des BFH hat das Finanzgericht zu Recht entschieden, dass ein Zinslauf von bis zu 56 Monaten bei einer Verlagerung von lediglich einem Monat unbillig ist. Bei einer von der ursprünglichen Steuerfestsetzung abweichenden zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes, welche gleichzeitig zu einer Steuernachforderung und einer Steuererstattung führt, liegt kein dauerhafter Zinsvorteil vor.
Im Ausgangsfall ist der Liquiditätsvorteil, welcher dem Steuerpflichtigen durch die verspätete Anmeldung des im Voranmeldungszeitraum Dezember ausgeführten Umsatzes erwachsen war, bereits mit Zahlung der für den Voranmeldungszeitraum Januar angemeldeten Steuer entfallen. Somit war der Liquiditätsvorteil bereits vor Beginn des Zinslaufs entfallen (Karenzzeit gemäß § 233a Abs. 2 S. 1 AO: 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist). Eine reine Festsetzung von Nachzahlungszinsen auf Basis der Jahressteuer ist hier nicht zutreffend. Zu Recht hat das erstinstanzliche Finanzgericht daher das Finanzamt zu einer Neubescheidung des Sachverhalts verpflichtet.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 7/2023
BC2023720