Dr. Hans-Jürgen Hillmer
BFH-Beschluss vom 7.6.2022, VIII B 105/21
Die Finanzbehörden sind auch bei Mittelbetrieben, Kleinbetrieben und Kleinstbetrieben weder durch die AO noch durch die Betriebsprüfungsordnung (Steuer) an einen bestimmten Prüfungsturnus gebunden und dürfen daher gleichermaßen solche Betriebe einer sog. Anschlussprüfung unterwerfen.
Praxis-Info!
Hintergrund
Auf Initiative des Finanzgerichts (FG) Hamburg hat sich der BFH mit der Zulässigkeit von Anschlussprüfungen bei sehr kleinen Betrieben befasst. Demnach ist in der Rechtsprechung des BFH geklärt, dass die Finanzbehörden auch bei Mittelbetrieben, Kleinbetrieben und Kleinstbetrieben weder durch die AO noch durch die Betriebsprüfungsordnung (Steuer) an einen bestimmten Prüfungsturnus gebunden sind und daher auch solche Betriebe einer sog. Anschlussprüfung unterwerfen können. Soweit statistische Ergebnisse ausweisen, dass bei Klein- und Kleinstbetrieben steuerliche Betriebsprüfungen – wenn überhaupt – nur alle 30 Jahre bzw. alle 100 Jahre angesetzt werden (siehe hierzu ECOVIS-Angaben unter Berufung auf BMF-Statistiken für 2018 unter https://www.ecovis.com/duesseldorf-koeln/blog/2020/09/22/was-unternehmer-zur-betriebspruefung-wissen-sollten/), schützt das im Einzelfall keineswegs. Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des FG Hamburg vom 23.8.2021, 3 K 53/21, hat der BFH als unzulässig verworfen.
Lösung
Ein bisschen Hoffnung gibt ein weiterer Leitsatz der Münchner BFH-Richter: „Zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung dieser Frage bedarf es des Vortrags neuer Gesichtspunkte, deretwegen eine erneute höchstrichterliche Befassung mit dieser Frage erforderlich erscheint.“ Im Streitfall hingegen sei vom Kläger nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 S. 3 FGO genügend dargelegt, dass die Voraussetzungen eines Zulassungsgrunds erfüllt sein können. Zwar halte der Kläger die Rechtssache für grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, weil seine freiberufliche Praxis als Kleinstbetrieb einzuordnen und ihm gegenüber für die Streitjahre eine nahtlos an die geprüften Vorjahre anknüpfende Anschlussprüfung angeordnet worden sei. Die Begründung der Beschwerde genügt jedoch nach Meinung des BFH den Anforderungen aus § 116 Abs. 3 S. 3 FGO nicht.
Bei seitens des BFH „wohlwollender Auslegung der Beschwerdebegründung“ formuliert der Kläger die von den Umständen des Streitfalls abstrahierte Rechtsfrage, ob die Finanzbehörden bei freiberuflichen Einzelbetrieben Anschlussprüfungen anordnen dürfen, die nahtlos an die geprüften Vorjahre anknüpfen. Er legt jedoch nicht dar, warum diese Rechtsfrage klärungsbedürftig sein soll. Der BFH beruft sich darauf, dass bereits entschieden worden sei, dass (wie oben bereits angeführt) die Finanzbehörden auch bei Mittelbetrieben, Kleinbetrieben und Kleinstbetrieben weder durch die Abgabenordnung (AO) noch durch die Betriebsprüfungsordnung (Steuer) an einen bestimmten Prüfungsturnus gebunden sind und sie daher auch solche Betriebe einer sog. Anschlussprüfung unterwerfen können (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14.3.2006, IV B 14/05, BFH/NV 2006, 1253, unter II.; vom 20.10.2003, IV B 67/02, BFH/NV 2004, 311). Deshalb fordert der BFH, dass sich der Kläger bei der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage mit dieser Rechtsprechung hätte auseinandersetzen und Gesichtspunkte verdeutlichen müssen, nach denen eine erneute höchstrichterliche Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage erforderlich ist. Daran fehle es, da der Kläger nur anführe, die aufgeworfene Rechtsfrage habe für alle Kleinstbetriebe Bedeutung.
Weiterhin führt der BFH detailliert aus, dass auch die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht den Anforderungen aus § 116 Abs. 3 S. 3 FGO entsprechend dargelegt wurden, also keine schlüssige Rüge einer Divergenz (Abweichung) vorliege.
Ebenso wurden die Voraussetzungen der vom Kläger behaupteten Verfahrensmängel im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht dargelegt. So hatte er sich dagegen gewendet, dass der Rechtsstreit durch Beschluss des Senats vom 28.6.2021 der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden war. Mit der pauschalen Behauptung, die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sei verfahrensfehlerhaft (wie sie vorliegend der Kläger erhebt), kommt – so der BFH in aller Klarheit – eine greifbare Gesetzeswidrigkeit jedenfalls nicht in Betracht (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2017, 50, Rz. 5, m.w.N.).
- Betroffen sind Freiberufler wie Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, aber z.B. auch als Unternehmensberater selbstständig tätige Bilanzbuchhalter und Controller sowie beispielsweise Fachjournalisten. Wer also in vergleichbaren Fällen Erfolg haben will, muss deutlich mehr vorbringen als die pauschale Behauptung, dass die angeordnete Anschlussprüfung unverhältnismäßig sei.
- Das Aufspringen auf den Europa-Rechtszug konnte im Streitfall ebenfalls nicht helfen. Denn mit der weiteren (pauschal erhobenen) Rüge, die Einzelrichterin habe gegen ihre Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) aus Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen, wird nach Ansicht des BFH schon dem Grunde nach kein Verfahrensfehler des FG dargelegt: Das FG ist als erstinstanzliches Gericht gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV nur berechtigt, nicht aber verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.
- Eine Unverhältnismäßigkeit darzulegen, erfordert folglich viel Fleiß hinsichtlich der Aufarbeitung von einschlägiger Rechtsprechung und Literatur. Letztlich stehen hier entsprechend belastete Freiberufler vor einem betriebswirtschaftlichen Entscheidungsproblem, inwieweit sich der jedenfalls beträchtliche Aufwand lohnen könnte. Dabei ist selbstverständlich auch in Rechnung zu stellen, in welchem Ausmaß das Begleiten einer steuerlichen Außenprüfung – den möglicherweise als Einzelkämpfer agierenden – Freiberufler in seiner eigentlichen Tätigkeit wie also z.B. der Abarbeitung von Beratungs- oder Publikationsaufgaben beeinträchtigt.
- Mehr Erfolg als der Versuch, eine Unverhältnismäßigkeit der häufigen Anordnung einer Prüfung oder gar einer nahtlosen Anschlussprüfung an sich vorzubringen, könnte vielleicht eher der Ansatz haben, eine Unverhältnismäßigkeit der Prüfungsdurchführung aufzudecken. Denn neben der ganz überwiegenden Zahl der einvernehmlich oder gar harmonisch ablaufenden Prüfungen zeigt die allgemeine Lebenserfahrung: So wie es Steuerpflichtige gibt, die dem Prüfer das (berufliche) Leben schwer machen, so gibt es auch Prüfer, die den – vielleicht im Falle eines Freiberuflers außergewöhnlich erfolgreichen – Steuerpflichtigen „piesacken“.
- Als Beispiel mag hier des Deutschen liebstes Kind passen: Der verschiedentlich von Steuerberatern zu hörende Tipp, auf die Führung von Fahrtenbüchern gänzlich zu verzichten, weil nicht gewogene Betriebsprüfer ohnehin „jedes Fahrtenbuch kaputtmachen könnten“, ist eigentlich Ausdruck eines Missstands, der dringend aufgearbeitet werden sollte. Was nutzen etwa im Rahmen der Pandemie gesetzlich gewährte Begünstigungen bei Investitionsabzugsbeträgen, wenn die 90%-Grenze der betrieblichen Verwendung eines Pkw nur mit einem Fahrtenbuch eingehalten werden kann, dessen Anerkennung aber in offenbar nicht geringem Rahmen Jahre später dem Augenmaß eines Prüfers bzw. einer Prüferin ausgeliefert ist? Hier mehr Verlässlichkeit bringende Rechtsprechung bzw. Gesetzgebung sowie Verwaltungsregelungen sind dringend erforderlich. Die Überfrachtung mit einem Übermaß an förmlichen Anforderungen dient letztlich keinem – weder dem, der sie einhalten muss, noch dem, der die Einhaltung prüfen muss.
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Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 8/2022
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