Insgesamt fielen die Anregungen für den Gesetzgeber abteilungsübergreifend eher zurückhaltend aus. Das sei auch so Tradition, sagte der Präsident des diesjährigen djt, Henning Radtke, in seiner Abschlussrede. Man entwickle das Recht vorsichtig und moderat weiter, dafür auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage.
Die Tagung war mit ca. 2.300 Teilnehmenden gut besucht, das Publikum vielfältig: Während etwa 20% Anwältinnen und Anwälte mitdiskutierten, war die Justiz mit 16% der Tagungsgäste ebenfalls stark vertreten, 11% kamen aus der Wissenschaft. In diesem Jahr hat der Kongress aber auch besonders viele Jurastudierende und Referendare angezogen. Mit 25% der Tagungsteilnehmenden stellten sie die größte Gruppe und diskutierten in den Abteilungen auch fleißig mit.
Zivilrecht: Bekenntnis zum vielfältigen Rechtsmarkt
Besonders umfangreich waren die Themen, die in der Abteilung Zivilrecht diskutiert wurden: Von der Rolle der Legal-Tech-Anbieter und Prozessfinanzierer im Rechtsmarkt über etwaigen Regulierungsbedarf und die Bewältigung von Massenverfahren bis hin zum Zugang zum Recht war die Debatte äußerst breit, die Ergebnisse entsprechend kleinteilig. Nicht weniger als 52 Beschlussvorschläge lagen zur Abstimmung vor.
Dabei hat sich die Abteilung grundsätzlich zu einem diverseren Rechtsmarkt bekannt. Obwohl kontrovers über die Rolle von Prozessfinanzierern und Legal-Tech-Anbietern in Massenverfahren diskutiert worden war, war man sich letztlich einig, dass diese Angebote dem Zugang zum Recht dienlich seien.
Eine große Mehrheit sprach sich allerdings dagegen aus, außergerichtliche Rechtsdienstleistungen erlaubnisfrei zu gestalten. Außerdem beschloss die Abteilung, sich beim Gesetzgeber für Anpassungen im Berufsrecht stark zu machen. So solle die Verschwiegenheitspflicht der Anwaltschaft künftig auch für Legal-Tech-Anbieter gelten. Auch die Regularien für Werbung sollen angeglichen werden.
Die berufsrechtlichen Pflichten und Regularien für die Anwaltschaft zu lockern, war dagegen nicht mehrheitsfähig. Weder das Fremdbesitzverbot noch Schranken bei der Prozessfinanzierung oder der Vergütung sollen nach dem Willen der Abteilung angetastet werden. Auch für die Prozessfinanzierung soll es keine weitreichenden Änderungen geben.
Niederschwellige Klagen und eine Musterbeweisaufnahme
Das Phänomen der Massenverfahren beleuchtete die Abteilung aus verschiedenen Perspektiven: Es ging um die Überforderung der Justiz, für die mehr Ressourcen gefordert werden, aber auch um die Frage, wie digital und niedrigschwellig Klagemöglichkeiten heute sein müssen – insbesondere im Bereich der Kleinstforderungen.
So hat die Abteilung eine Reihe von Vorschlägen angenommen, die den digitalen Zugang zum Recht betreffen, etwa die Schaffung eines Justizportals, einer Kommunikationsplattform für Verfahrensbeteiligte und einer elektronischen Dokumentenschnittstelle. Einen Anspruch auf Durchführung einer Videoverhandlung soll es aber nicht geben.
Um Massenverfahren besser bewältigen zu können, regt die Abteilung aber an, das neue Rechtsinstitut einer "Musterbeweisaufnahme" zu schaffen. Auch einige Vorschläge zur Strukturierung des Parteivortrags wurden angenommen.
Strafrecht: Mehr Transparenz für Beschuldigte
In der StPO ist die Beschlagnahme von Gegenständen als zentrales Instrument für Ermittlungsbehörden festgeschrieben. Jedoch stellt der Zugriff auf Smartphones und Laptops einen besonders schweren Grundrechtseingriff dar. Etwa 90 Personen diskutierten deshalb, wie der Schutz der Persönlichkeitsrechte Beschuldigter in der StPO gewährleistet werden könnte. Dabei stellten sie zunächst fest, dass die Beschlagnahme nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein sollte – weder im Bereich der Ordnungswidrigkeiten noch bei Straftaten mit geringem Strafmaß.
Die Abteilung einigte sich aber darauf, dass die Eingriffstiefe einer weiteren Regulierung bedürfe: So sollen die Ermittler nicht pauschal auf alle Daten zugreifen dürfen, sondern diese schon bei der richterlichen Anordnung konkretisiert werden. Auch wird die Abteilung dem Gesetzgeber vorschlagen, weitere Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung einzuführen. Zudem sollen Beschuldigte einige Informations- und Gehörsrechte erhalten: Sie sollen etwa erfahren, auf welche ihrer Daten zugegriffen wurde. Den Zugriff solle die Ermittlungsbehörde daher dokumentieren.
Schließlich hat die Abteilung noch festgehalten, dass auch auf der Seite der Ermittlungsbehörden Verbesserungsbedarf besteht: Die Datenauswertung werde immer umfangreicher und komplexer. Um diese zu bewältigen, brauche es mehr Personal und Ressourcen.
Öffentliches Recht: "Polykrise ist das neue Normal"
In allen relevanten Bereichen – vom Staatsorganisationsrecht über das Haushaltsrecht, den Katastrophenschutz und das Steuerrecht bis hin zum Sozialrecht - wollte die Abteilung Öffentliches Recht Antworten auf die Frage finden: Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen braucht es, damit der Staat effizient und effektiv auf Krisen reagieren kann?
In relativ kleiner Besetzung wurde dabei besonders intensiv über die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen debattiert. Einig war man sich dabei: Polykrise ist das neue Normal.
Es wurde deutlich: Obwohl die meisten Krisen heute national oder sogar global sind, ist die Bewältigung akuter Krisen die Stunde der Kommunen. Einer gesonderten Krisenkompetenzordnung bedürfe es aber nicht, entschieden die abstimmungsberechtigten Vereinsmitglieder einstimmig mit 35 Stimmen. Auch die Schaffung eines allgemeinen Krisengesetzes lehnten sie ab und schlagen stattdessen vor, notwendige Anpassungen u.a. im Notstandsrecht, Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz zu prüfen.
Für eine effektivere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen im Krisenfall wird die Abteilung dem Gesetzgeber empfehlen, in einem neuen Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. d) GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes bei der Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Katastrophenschutz zu verankern. Die Zuständigkeit des Bundes solle auch in anderen Bereichen klarer geregelt werden. Die Abteilung schlägt auch neue Kompetenzen für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz sowie für die Ministerpräsidentenkonferenz vor, der sie eine zentrale Rolle beim Krisenmanagement attestiert, diese solle aber nicht – wie vorgeschlagen – im GG festgeschrieben werden.
Von 30 detailliert vorbereiteten Beschlussvorschlägen wurden 29 angenommen, überwiegend einstimmig. Allein bei der Frage, ob eine obligatorische Krisennachbereitung im GG festgeschrieben werden sollte, war die Abstimmung zugunsten des Vorschlags mit 18:16 denkbar knapp. Insgesamt haben viele Vorschläge – insbesondere beim Thema finanzielle Hilfen – eine ähnliche Zielrichtung: Der Gesetzgeber solle Regelungen treffen und vorsorgen, statt in der akuten Krise vor unlösbaren Aufgaben zu stehen.
Arbeits- und Sozialrecht: "Maßvoll weiterentwickeln"
Die Thesen der Fachabteilung Arbeits- und Sozialrecht stießen beim djt auf ungemein großes Interesse. Neben der zivilrechtlichen Abteilung und der Abteilung Wirtschaftsrecht diskutierten hier mit Abstand die meisten Juristinnen und Juristen mit. Die Abteilung hatte sich die Frage gestellt, wen das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht eigentlich schützt. Die Arbeitswelt habe sich gewandelt. Was unterscheidet den Arbeitnehmer noch von der Selbstständigen? Diese und viele Anschlussfragen waren Gegenstand der Debatte.
Von den 23 Beschlussvorschlägen der Abteilung wurden zehn abgelehnt, die Diskutanten konnten sich aber in einigen Punkten einigen. Dazu trugen vermutlich auch die am Mittwoch bekannt gewordenen Pläne des Justizministeriums Schleswig-Holstein bei, mehrere Arbeits- und Sozialgerichts-Standorte zu schließen, die für einhellige Empörung sorgten.
Der Arbeitnehmerbegriff des § 611a Abs. 1 BGB solle im Grunde unangetastet bleiben, entschieden sie. Anwendungsfälle des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs solle der Gesetzgeber aber gesondert in einem § 611b BGB regeln. Keine Mehrheit fand sich außerdem für die Idee, den Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes auszuweiten.
Allerdings soll das Tarifrecht freier gestaltet werden. Außerdem hielt die Abteilung es für richtig, eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige einzuführen, soweit keine anderweitige Absicherung besteht.
Schließlich entschloss sich die Abteilung noch, bei der Feststellung des Erwerbsstatus gemäß § 7a SGB IV zu empfehlen, dass eine selbstständige Tätigkeit vermutet wird, wenn die Vertragsparteien ebenfalls von einer Selbstständigkeit ausgehen.
Wirtschaftsrecht: Klimaschutz lieber pragmatisch umsetzen
Die Thesen und Vorschläge, mit denen die Abteilung Wirtschaftsrecht in diesem Jahr an den Start gegangen sind, waren besonders kontrovers. Dementsprechend groß war auch das Interesse an der Debatte in Stuttgart, an der Abstimmung beteiligten sich gut 100 Personen.
Der Gutachter hatte die These vertreten, dass auch Unternehmen im Kampf gegen die Klimakrise einen Beitrag leisten müssen: eine verpflichtende Klimaquote für große Unternehmen, ein neuer Rechtsformzusatz "klimaneutral" und ein Mitspracherecht in Klimafragen für Leitungsorgane.
Die Debatte war von Spannungen geprägt, die Vorschläge gingen vielen zu weit: Immer wieder wurde die Rolle des Gesellschaftsrechts an sich und in Bezug auf den Klimaschutz thematisiert. Gleichzeitig war allen Anwesenden klar, dass die EU mit der CSRD und Lieferkettenrichtlinie ohnehin Vorgaben für Unternehmen machen wird.
Schließlich sprach sich eine Mehrheit der Abstimmenden dafür aus, der Gesetzgeber möge bei allen Maßnahmen verstärkt auf die Verhältnismäßigkeit achten und die Stimme Deutschlands in der EU nutzen, um für Pragmatismus in der Klimagesetzgebung zu werben. Dabei solle der deutsche Gesetzgeber nicht über die Vorgaben der EU hinaus Pflichten für Unternehmen etablieren.
So wurde der Vorschlag, einen neuen Rechtsformzusatz "klimaneutral" einzufügen ebenso abgelehnt, wie die Idee einer verpflichtenden Klimaexpertise im Aufsichtsrat großer Unternehmen. Ein "say on climate" der Hauptversammlung hielt die Abteilung dagegen für begrüßenswert. Die Abteilung stimmte auch für eine zeitnahe Umsetzung der Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und befürwortet eine Pflicht zur Erstellung eines Klimatransformationsplans für große Unternehmen. Darüber hinaus solle es aber keine Verpflichtung geben, Emissionen mithilfe einer Klimaquote zu reduzieren.
Medienrecht: Staatsfernegebot absichern – auch in der Union
Die Diskussionsrunde in der Abteilung Medienrecht war im Vergleich zu anderen Abteilungen dünn besucht. An der Abstimmung nahmen 19 Personen teil. Die Abteilung hatte sich mit der Frage befasst, wie Staat, öffentlich-rechtlicher Rundfunk und die Wissenschaft ihrer Informationsverantwortung in einer zunehmend digitalisierten und vielfältigen Kommunikationslandschaft gerecht werden können. Dabei stand im Fokus, welchen Rahmen der Gesetzgeber vorgeben darf, ohne die Programmautonomie der Sender einzuschränken. Auch um die Rolle privater Plattformbetreiber und dahingehender Regulierungsbedarf ging es in der Diskussion. Schließlich wurden von 18 Vorschlägen 17 angenommen.
Die Informationsverantwortung des Staates bedürfe normativer Leitplanken. Insbesondere das Gebot der Staatsferne der Presse – das die Abteilung auch auf eine „Unionsferne“ ausweitete – bedürfe der gesetzlichen Absicherung. Die Teilnehmenden stimmten auch für ein explizites Verbot staatlicher Telemedien und staatlicher sozialer Netzwerke.
Allerdings hielt die Abteilung bestimmte Vorgaben für Rundfunkanstalten für notwendig, damit der Staat seine Informationsverantwortung wahrnehmen kann: Der Gesetzgeber solle Rundfunkanstalten bestimmte Themenschwerpunkte vorgeben und sie außerdem dazu verpflichten, digitale und Videoformate auszubauen. Der Gesetzgeber solle schließlich der rückläufigen Entwicklung des Lokaljournalismus entgegenwirken.
Beim Thema Fake News sah die Abteilung wenig Handlungsbedarf: es solle "dem Selbstregulierungsprozess" überlassen werden. Jedoch wird die Abteilung ein generelles Verbot sogenannter manipulativer Verbreitungstechniken empfehlen.
Alle Beschlüsse können hier abgerufen werden.